Großbritannien

Regierung will durch Zentralapotheken sparen

Remagen - 26.04.2016, 09:20 Uhr

Von außen nach innen und zurück: In Großbritannien werden neue Modelle der Arzneimittelabgabe getestet. (Foto: Thomas Söllner / Fotolia)

Von außen nach innen und zurück: In Großbritannien werden neue Modelle der Arzneimittelabgabe getestet. (Foto: Thomas Söllner / Fotolia)


Die Briten haben mit so genannten „Hub and Spoke“ Modellen für die Abgabe von Medikamenten bereits einige Erfahrungen gesammelt. Sie sollen die Effizienz bei der Abgabe von Medikamenten steigern und Fehler vermeiden helfen. Aber wäre das Ganze auch billiger? Das wird zur Zeit geprüft.

Der Begriff „Hub and Spoke“ (Speichenarchitektur) wird im Transportwesen und in der Informationstechnik benutzt. Für die Arzneimitteldistribution bedeutet er, dass die Verschreibungen von einer Apotheke (spoke) elektronisch an eine Zentralapotheke als Verteilerzentrum (hub) gehen, dort zusammengestellt werden, und zur Abgabe an die Patienten an die Apotheke geliefert werden. In der aktuellen Ausgabe des Pharmaceutical Journal wird das Modell vorgestellt und diskutiert.

Alle fünf Sekunden eine Dossette

Celesio, die Muttergesellschaft des Großhändlers und Distributoren AAH Pharmaceuticals und der Apothekenkette Lloydspharmacy, beliefert auf diesem Wege bereits seit fast einem Jahrzehnt 228 Apotheken über vier Verteilerzentren. Eine Einrichtung in Warrington nutzt derzeit in der Erprobungsphase eine der weltweit ersten voll automatisierten Konfektionierungslinien, um hiermit zunächst einer Handvoll von Offizin-Apotheken im Norden von England die Rezeptbelieferung zu erleichtern. Bei voller Leistung soll eine Linie dazu in der Lage sein, alle fünf Sekunden eine Dossette (monitored dosage system, MDS) zu befüllen. Das sind zwölf Boxen pro Minute gegenüber sieben oder acht pro Stunde in manuellen Systemen. Sobald der automatisierte Knotenpunkt etabliert ist, soll er den bisherigen Prozess der Rezept-Zusammenstellung am Standort Warrington nach und nach ablösen.

Patientenkontakt bleibt voll erhalten

„Hub and spoke“ sollte nicht mit einer zentralen Dispensierung verwechselt werden. Hiervon grenzen die Befürworter des „Hub and spoke“-Modells sich ausdrücklich ab. Beim der zentralen Dispensierung käme der Patientenkontakt am Verteilerzentrum oder auch online zustande. Die Patienten würden ihre Medikamente dann an Sammelstellen abholen oder bekämen sie durch Kurierdienste zugeschickt. Darunter könne zwar die individuelle Beratung durch die Apotheker leiden, aber Patienten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr aus ihrer Wohnung kommen, könnten davon profitieren.

„Wir beschreiben das, was wir tun, als Zusammenstellung einer Verordnung und nicht als  aushäusige Dispensierung“, erläutert Tobin, Geschäftsführer von Celesio UK. „Wir packen die Dinge in Tüten, und die Apotheker geben sie dann vor Ort an die Patienten ab.” Die Beziehung zwischen Patient und Apotheker bleibe dabei erhalten, betont er.  

Gesetzliche Änderung anvisiert

Das hört sich überzeugend an, aber es gibt auch Skeptiker. „Die Hub-and-Spoke-Modelle sind komplex," sagt Michael Hewitson, Inhaber einer unabhängigen Apotheke. Hewitson führt eine Arbeitsgruppe, die von der National Pharmacy Association (NPA), dem Interessensverband der unabhängigen Apotheken, gegründet wurde. Sie soll die möglichen  Auswirkungen der „Hub-and-Spoke“-Dispensierung prüfen.  

Die Arbeitsgruppe ist eine Reaktion auf Pläne der britischen Regierung, dazu gesetzliche Änderungen einzuführen. Derzeit dürfen nur Verteilerzentren und Apotheken, die demselben Unternehmensverbund angehören, ein solches System betreiben. Nach den Vorschlägen der Regierung sollen sich auch unabhängige Apotheken über Dritt-Vereinbarungen daran anschließen können.  

Einsparungen beim Personal, meint die Regierung

Laut Darlegung in dem Beitrag im Pharmaceutical Journal kommt das „Hub-and-spoke dispensing” vor allem für Wiederholungsverordnungen, inklusive der Belieferung in Dosier-Boxen in Frage, und nur dann, wenn sie im Voraus planbar sind, denn der Vorgang dauert üblicherweise 48 Stunden. Im Rahmen der Konsultation geht die Regierung von der Kosten-Effizienz des Modells aus.

Sofern 60 Prozent der Medikamente über „Hub and Spoke“ dispensiert werden können, rechnet sie vor, könnten hierdurch 10 Prozent an Arbeitskosten für die Apotheker gespart werden und weitere 25 Prozent an Arbeitskosten für die PTA in den „Spoke“-Apotheken. Dem stünden 2,5 bis 5 Prozent höhere Arbeitskosten für Apotheker und 6,25 bis 12,5 Prozent für die PTA in den Zentralapotheken gegenüber.

Keine Einsparungen, glauben die Praktiker

Die Erfahrungen sagen allerdings etwas anderes: „Ich habe keine Kosteneinsparungen bemerkt, und es gab auch keine Kürzungen bei den Arbeitsplätzen", berichtet Paul Mayberry, Geschäftsführer der Mayberry Apotheke, einer Hub-and-Spoke-Gründung mit sieben Apotheken in Wales. „Zwar arbeiten weniger Leute in den Spoke-Apotheken, dafür brauchen wir am Verteilerzentrum mehr.” Gleichwohl gesteht er zu, dass die Offizin-Apotheker vor Ort mit dem System mehr Zeit für die Betreuung der Patienten gewinnen.

In beiden Punkten pflichtet ihm Celesio-Chef Tobin bei: „Wir haben bislang keine Beweise dafür erheben können, dass man damit Geld sparen kann. Aber es setzt für unsere Apotheker zeitliche Kapazitäten frei, die sie nun den Patienten zuwenden können. Damit könnte auch die Allgemeinärzte und die Notfallambulanzen entlastet werden“, fügt Tobin an.

Der unabhängige Apotheker Hewitson sieht dies ebenso: „Es gibt kaum veröffentlichte Informationen über die möglichen Ergebnisse, und ich kenne keine Beweise für die Behauptung, dass damit die Betriebskosten gesenkt werden könnten.”

Hub and Spoke schränkt Freiheiten ein

Nach Untersuchungen der NPA könnten Hub-and-Spoke-Systeme für unabhängige Apotheken sogar mit höheren betrieblichen Ausgaben verbunden sein. Im Moment können sie ihre Medikamente nämlich von verschiedenen Großhändlern beziehen und damit die Ausgaben so gering wie möglich halten. Beteiligen sie sich als Dritt-Partei an einem Hub-and-Spoke-System, so müssen sie sich wahrscheinlich an einen einzigen Großhändler binden, um Zugriff auf den „hub“ zu bekommen, so die Befürchtung. Dies könnte sich letzten Endes auch auf den Wettbewerb im Großhandelsmarkt negativ auswirken.


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Zentralapotheken auch bei uns?

von Heiko Barz am 26.04.2016 um 10:19 Uhr

Bei diesem System wird nicht ein Wort über KKassen verloren.
In einem solch hochkapitalistisch aufgestellten Apparat wird auch nur eine KKaase benötigt, wenn überhaupt.
Es wird mit Sicherheit Nichts billiger, es werden Arbeitsplätze abgebaut und das immer wieder patientenfreundlich anmutende Beratungsgespräch ist so lächerlich vordergründig.
Bei dieser Art konzernbetriebener Gesundheitspolitik - man liest ja immer wieder mit Grauen den Namen Celesio, war der nicht damals im Saarland auch mit dem Namen Hecken in juristisch sehr merkwürdige Verbindung zu bringen?- wird, nachdem man den weißen Unschuldskittel weggerissen hat, doch wieder nur die schmutzige Fratze der Geldgier in den Vordergrund gerückt.
Immer wieder müssen die Gesundheits-Politiker, denen man Eiinsparungen anbiedert, erkennen, dass sich danach auf ihrem Rücken die buntesten sozialen Verirrungen Bahn brechen.
Es wird doch nur noch auf TTIP gewartet, dann wird sich unsere Gesundheitslandschaft genauso verändern, wie es uns Aldi, Liedel, Deichmann etc. in anderen Bereichen vorleben.

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