Wegen Milliardenschaden

Bundesregierung will Pflege-Abrechnungen schärfer kontrollieren

Berlin - 18.04.2016, 16:30 Uhr

Umgeleitete Geldflüsse: Nach Recherchen der „Welt am Sonntag“ führen betrügerische Abrechnungen bei den Sozialkassen zu Milliardenschäden. (Foto: sudok1 / Fotolia)

Umgeleitete Geldflüsse: Nach Recherchen der „Welt am Sonntag“ führen betrügerische Abrechnungen bei den Sozialkassen zu Milliardenschäden. (Foto: sudok1 / Fotolia)


Aufgeschreckt durch Recherchen über Abrechnungsbetrug in Milliardenhöhe will die Politik jetzt bei der Kontrolle von Pflegediensten eingreifen. Rufe nach gesetzlichen Änderungen noch in dieser Legislatur werden laut.

Die Bundesregierung will die Kontrollen in der Pflege verschärfen, um Abrechnungsbetrug konsequenter verfolgen zu können. Darüber soll in Kürze mit den Gesundheitsministern der Länder sowie mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gesprochen werden. Es gelte dabei auch, mögliche Lücken in der häuslichen Pflege zu schließen, sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums am Montag in Berlin.

Am Wochenende waren Einschätzungen des Bundeskriminalamts (BKA) bekannt geworden, wonach den deutschen Sozialkassen durch betrügerische Abrechnungen russischer Pflegedienste erhebliche finanzielle Schäden entstehen. Nach Informationen der „Welt am Sonntag“ und des Bayerischen Rundfunks beläuft sich der jährliche Schaden offenbar auf mindestens eine Milliarde Euro. Regionale Schwerpunkte gibt es den Berichten zufolge in Berlin, Niedersachsen und Bayern.

Betrüger nutzen Gesetzeslücke aus

Das Gesundheitsministerium wollte weder zur Höhe des Schadens etwas sagen noch zu regionalen Schwerpunkten. Die Forderung der Deutschen Stiftung Patientenschutz nach Schwerpunktstaatsanwaltschaften sei Angelegenheit der Länder, sagte eine Sprecherin des Justizministeriums.

Nach Darstellung des GKV-Spitzenverbands macht unter anderem eine Lücke im Gesetz die Betrügereien möglich. „Es gibt einen ganz klaren Hinweis, dass der Gesetzgeber den Krankenkassen die Möglichkeit geben müsste und dafür auch eine gesetzliche Grundlage schafft, dass wir auch bei häuslicher Krankenpflege ein unangemeldetes Prüfrecht bekommen - und zwar insbesondere, wenn sie in Kombination mit Leistungen der Pflegeversicherung auftaucht“, sagte der Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, Gernot Kiefer, der „Welt“ und dem BR.

„Ob die Leistungen der Krankenversicherung korrekt erbracht werden, darüber haben wir keine Prüfrechte“, argumentierte Kiefer und fügte hinzu: „Und genau in diese Lücke gehen offenbar die russischen Pflegedienste.“ 

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach bestätigte im ARD-„Morgenmagazin“: „Im Bereich der Krankenkassen, die also die Intensivpflege organisieren, da darf überhaupt nicht unangemeldet überprüft werden.“ Das müsse dringend geändert werden. Er hoffe, dass dies noch in der laufenden Legislaturperiode geändert werde. Die Patienten und auch die Angehörigen hätten einen Anspruch darauf.

Es wird nicht zu wenig kontrolliert - sondern nur das Falsche

Der „Passauer Neuen Presse“ (Montag) sagte Lauterbach: „Im Pflegebereich stehen wir grundsätzlich vor dem Problem, dass zwar viel kontrolliert wird, aber oft das Falsche.“ Nötig seien unangemeldete und gezielte Prüfungen der Qualität der Leistungen und Abrechnungen, aber auch der Identitäten des Pflegepersonals. „Es muss sichergestellt werden, dass das, was im Pflegeheim passiert, auch mit dem übereinstimmt, was auf dem Papier steht.“

Der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Stephan Mayer, verlangte gesetzliche Grundlagen, um „unangemeldet Kontrollen bei ambulanten Pflegediensten vornehmen zu können“.


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