Appell des GKV-Spitzenverbands

„Ethisch kaum vertretbare Mondpreise“

Berlin - 04.04.2016, 17:00 Uhr

 Nicht im Sinne der Versicherten: Der GKV-Spitzenverband stellt Forderungen auf.  (Foto: Zerbor / Fotolia)

Nicht im Sinne der Versicherten: Der GKV-Spitzenverband stellt Forderungen auf. (Foto: Zerbor / Fotolia)


Pünktlich zum nahenden Ende des Pharmadialogs hat der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbands einen Beschluss verfasst, mit dem strengere Regelungen im AMNOG-Prozess gefordert werden. Eigentlich geplante Einsparziele seien anders nicht erreichbar.

Bereits seit Monaten verlangen die gesetzlichen Krankenkassen eindringlich eine Verbesserung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG). Dadurch will man der Kostensteigerung im Arzneimittelbereich entgegen steuern, was letztlich auch den Anstieg der Zusatzbeiträge für die Versicherten dämpfen könne, wie GKV-Vorstandsvorsitzende Doris Pfeiffer bereits mehrfach in Interviews erklärte.

Pharmaunternehmen würden bestimmte Regelungen im AMNOG zur Gewinnmaximierung nutzen, was aber zu „ethisch kaum vertretbaren Mondpreisen“ führe, wie jetzt in einem Beschluss des Verwaltungsrates des Kassen-Spitzenverbandes nachzulesen ist, der DAZ.online vorliegt. Ein Appell in Richtung Politik, der in derart deutlicher Form nicht von ungefähr kommt: In wenigen Tagen naht der offizielle Abschluss des Pharmadialogs – Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat sich in den verschiedenen Gesprächsrunden in den Monaten zuvor insbesondere mit Vertretern der Industrie zusammengesetzt. Zukünftige Prozesse für den Pharmamarkt in Deutschland wurden diskutiert und geplant. Nicht nur der Vertreter des GKV Spitzenverband befürchten daher, dass die nächsten Maßnahmen stark industriegeprägt ausfallen werden.

Kritikpunkte und Vorschläge

Seit 2011 müssen sich neue Arzneimittel einer frühen Nutzenbewertung unterziehen. Damit wird geprüft, ob der Wirkstoff einen Zusatznutzen gegenüber der bereits verfügbaren zweckmäßigen Vergleichstherapie bietet oder nicht. Die 2011 eingeführte Preisregulierung für neue Medikamente habe sich zwar grundsätzlich bewährt, heißt es jetzt in dem GVK-Papier, doch das damals avisierte Einsparziel von zwei Milliarden Euro pro Jahr werde nicht erreicht. 2014 habe es lediglich Einsparungen von 450 Millionen Euro gegeben, 2015 waren es 800 Millionen Euro. „Das Ziel des Gesetzgebers, den Ausgabenanstieg im Arzneimittelbereich zu bremsen, ist nicht gelungen“, schreibt der Verwaltungsrat.

Nach Meinung des GKV-Spitzenverbands müsse das AMNOG als „lernenden Systems“ betrachtet werden – und es bedürfe einzelner Korrekturen im AMNOG-Verfahren:

  • Überprüfung des Bestandmarkts: Aus Sicht der GKV habe sich das AMNOG-Verfahren grundsätzlich bewährt. Das Ziel des Gesetzgebers, den Ausgabenanstieg im Arzneimittelbereich zu bremsen, sei allerdings nicht gelungen. Hierfür wäre der gleichzeitige Aufruf des gesamten Bestandsmarktes ebenso erforderlich gewesen, wie eine fiktive 100-prozentige Marktdurchdringung von neuen Arzneimitteln unmittelbar nach Markteinführung.  

  • Erstattungsbetrag muss rückwirkend gelten: Die aktuellen Entwicklungen zeigten, schreibt des Spitzenverband, dass die freie Preisbildung im AMNOG-Verfahren mit dem Ziel der Gewinnmaximierung von Pharma-Unternehmen ausgenutzt wird und zu ethisch kaum vertretbaren „Mondpreisen“ führt. Diesem Trend müsse entgegengewirkt werden, indem künftig der verhandelte Erstattungsbetrag rückwirkend ab dem ersten Tag gelte.   

  • Keine Ausnahmen vom Verfahren der frühen Nutzenbewertung: „Echte“ Arzneimittel-Innovationen müssen weder die Nutzenbewertung noch die Erstattungsbetragsverhandlungen fürchten. Alle Erkenntnisse des Herstellers gehen in die Bewertungen seines Arzneimittels ein.

  • Bottom-up Verfahren bei Erstattungspreisen: Die Bewertung des Zusatznutzens eines neuen Arzneimittels könne nur im Vergleich mit bereits vorhandenen Therapien erfolgen. Die Verhandlungen zum Erstattungsbetrag seien daher ebenfalls auf Basis der zweckmäßigen Vergleichstherapie zu führen. Auf dieses Preisniveau müsse – in Relation zum ermittelten Zusatznutzen – ein Zuschlag festgelegt werden. Die von Pharmaunternehmen vorgeschlagenen Abschläge auf von ihnen selbst festgesetzte Preise spiegelten hingegen nicht den Zusatznutzen und seinen finanziellen Mehrwert eines neuen Arzneimittels wider. Dies sei im Gesetz klarzustellen. 

  • Nutzenbewertung auch bei einer Erweiterung der Arzneimittelzulassung für neue Indikationen: Derzeit erfolge keine Nutzenbewertung für Arzneimittel, die mit bereits bekannten Wirkstoffen vor dem Jahr 2011 im Markt waren und nun mit einer anderen oder neuen Indikation zugelassen werden. Dies widerspreche dem Ziel, die Patientensicherheit und Wirtschaftlichkeit bei neuen Arzneimitteln sicher zu stellen, schreibt der GKV-Verwaltungsrat. Daher müsse künftig die Nutzenbewertung auch für jedes Arzneimittel mit einer Neuzulassung für eine andere Indikation oder mit einer Zulassungserweiterung erfolgen und ein Erstattungsbetrag in den Verhandlungen festgelegt werden.  

  • Vollständige Dossiers sind Voraussetzung für AMNOG-Verfahren: Im Verfahren der frühen Nutzenbewertung könne sich ein Arzneimittelhersteller durch die Nichtvorlage oder unvollständige Vorlage eines Dossiers besserstellen, als wenn er vollständige Unterlagen zur Verfügung stellt. Diese Strategie führe in den Fällen zum Erfolg, wenn der Hersteller antizipiert, dass sein Produkt einen geringeren Nutzen hat, als die zweckmäßige Vergleichstherapie. Diese Umgehungsstrategie müsse ein Ende haben, so der GKV-Verwaltungsrat. 

  • Wissenstransfer für Ärzte sicherstellen: Bei der Verordnung von neuen Arzneimitteln müssten Ärzte nicht selten im „Blindflug“ agieren, da die notwendigen Informationen nicht gut handhabbar oder zeitnah in der Praxissoftware hinterlegt sind, schreibt der Verwaltungsrat. Ärzten müssen aber verlässliche und objektive Informationen in ihren Praxen zur Verfügung stehen. Damit der Wissenstransfer aus G-BA-Beschlüssen in die Versorgungsrealität gelingt, muss die Praxissoftware aktuell sein und eine geeignete, detaillierte Abbildung der relevanten Informationen aus den G-BA-Beschlüssen – analog der Apothekensoftware – ermöglichen. 

Der Pharmadialog ist ein Projekt, das sich Union und SPD 2013 in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hatten. Viel ist von den verschiedenen Veranstaltungen, die seitdem stattgefunden haben, nicht nach außen gedrungen – das Bundesgesundheitsministerium hat sich selbst und auch den sonstigen Teilnehmern Stillschweigen verordnet. Spekuliert wird jedoch nicht zu knapp. 

Während sie der GKV-Spitzenverband dafür einsetzt, dass das AMNOG in seinem Sinne verschärft wird, haben die Vertreter der Pharnaindustrie schon im Vorfeld des Dialogs erklärt, dass sie das Verfahren der Nutzenbewertung beim Gemeinsamen Bundesausschuss und die Übermacht des GKV-Spitzenverbandes in den Preisverhandlungen geändert sehen wollen. 

Weitere Themen des Dialogs waren die gute und sichere Arzneimittelversorgung – natürliches Anliegen und Alltag der Apotheker – doch kein Vertreter war zu einer der Sitzungen des Dialogs geladen. Am 21. Januar fand die vierte und damit letzte große Runde statt, zur Abschlussveranstaltung am 12. April soll ein Bericht vorgelegt werden.  


Nicola Kuhrt, DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Erzeugte Marspreise

von Reinhard Rodiger am 05.04.2016 um 9:40 Uhr

Wer Dumping ,Erpressung und Patientenschaden fördert, erntet Marspreise in ethisch nicht anfechtbaren Mini-Indikationen. Das ist der Preis für den Entzug der Geschäftsgrundlage in Massenindikationen. Wer Wind sät, wird Sturm ernten.
Statt mit schräger Ideologie den Ideenwald abzuholzen, sollten sich die Kassen /Politik mal mit der selbst nerzeugten Negativdynamik befassen.

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