Kossendeys Gegengewicht

Ich verstehe nur Bahnhof

Stuttgart - 23.03.2016, 20:00 Uhr

(Foto: Edenwithin / Fotolia)

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Wie hättem Sie es denn gern, liebe Frauenärzte? In Sachen Beratung „Pille danach“ lassen Apotheker nichts unversucht, sagt Ann-Katrin Kossendey-Koch. Wirklich nichts. Zur Not beraten sie auch auf Persisch, Türkisch und Russisch, aber lesen Sie selbst.  

Eine der eher aufwendigeren Beratungen in der Apotheke sind die zur „Pille danach“. Anhand des BAK-Leitfadens werden die Fragen an die Patientin dokumentiert und dann entschieden, ob, und wenn ja, welcher Wirkstoff abgegeben wird. Das kann mitunter schon zu längeren Gesprächen führen, wenn man denn die Hauptperson überhaupt zu fassen bekommt.  Richtig interessant wird es dann, wenn die Frau kein Deutsch spricht. Und ein fast unlösbarer Balanceakt ist es, wenn die Frau nur arabisch spricht. 

In meinem Fall kam eine Frau Mittwochmorgen zu uns in die Apotheke, begleitet durch einen ehrenamtlichen Helfer. Er erklärte mir die Situation. Die junge Syrerin hätte am Sonntag Besuch von ihrem Ehemann gehabt, der sich noch in einem Auffanglager in Braunschweig befindet. Im Rahmen dieses Treffens sei es zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr gekommen. Ich sagte, dass die Abgabe der „Pille danach“ ein ausführliches Beratungsgespräch erfordere, nur spreche ich leider genauso wenig arabisch wie der ehrenamtliche Begleiter. 

Hilfe beim „Deutschkurs für Flüchtlinge“

Eine unserer Kundinnen, eine Yesidin, ist auch aktiv in der Flüchtlingshilfe, also rief ich sie an - in der Hoffnung, dass sie übersetzen könne. Leider spricht sie nur Kurdisch, womit uns auch nicht geholfen war. Meine nächste Idee war der Deutschkurs für Flüchtlinge, der vormittags in unserem Seminarraum stattfindet. Ich klopfte an die Tür und erklärte der Lehrerin mein Anliegen. Und tatsächlich, einer ihrer Schüler, der schon zumindest ein paar Brocken Deutsch kann, wollte helfen.  

Auf meine Frage, ob es schlau sei, in dieser sehr privaten Angelegenheit einen Mann als Übersetzer zu nehmen, forderte die Lehrerin dessen Ehefrau auf, mit uns mit zu kommen. Nur leider verstand die so gut wie gar nichts, was die Lehrerin dazu animierte, körpersprachlich eine Kopulation darzustellen - ich wäre in diesem Moment gern im Erdboden verschwunden, zumal die junge Frau jetzt vollends verwirrt war.  

Aber sie folgte mir tapfer, um uns irgendwie zu helfen. Am HV-Tisch wieder angekommen, hatte der Betreuer nun einen männlichen Übersetzer am Telefon - nun gut. Ich begann also, meine Fragen zu stellen, die der Betreuer wiederum dem Übersetzer stellte, der dann auf arabisch mit der jungen Frau sprach, um dann über den gleichen Umweg zu antworten. 

Express-Abstillung

Schnell wurde klar, dass ich eine junge Mutter vor mir hatte, die erst vor vier Monaten ihr viertes Kind per Kaiserschnitt geboren hat. Meine Frage, ob denn das Baby gestillt wird, wurde erst bejaht und nachdem ich sagte, dass das problematisch sein könnte, hieß es erst, man habe in der Flüchtlingsunterkunft mehrere Frauen, die stillen, so dass immer genug Milch da sei.  

Fünf Minuten später wurde das Kind nicht mehr gestillt - das schnellste Abstillen aller Zeiten. Vor nur einer Woche hatte die Betroffene zum ersten Mal nach der Schwangerschaft wieder ihre Periode, ob zu dem Zeitpunkt begonnen oder beendet, war nicht herauszufinden. Ebenso wenig, ob die Periode anders war als sonst - bei der ersten Monatsblutung nach einer Schwangerschaft ist diese Frage aber ja sowieso nicht aussagekräftig.  

(Foto: privat)
Ann-Katrin Kossendey-Koch

Um mich abzusichern, rief ich meine Frauenärztin an, die nur sagte: „Geben Sie der Frau bloß die Pille danach, eine weitere Schwangerschaft ist im Vergleich dazu das viel größere Risiko!“  

Beruhigt holte ich die Ella One, um sie der Frau mit dem guten Gefühl zu geben, ihr nun ausreichend geholfen zu haben. Entsetzt starrte sie mich an und fragte per arabischem Telefonjoker, warum ich ihr nur eine Tablette geben würde. Aus Syrien würde sie es kennen, dass sie solche Tabletten für einen Monat bekommen würde. Es folgte eine endlose Diskussion zwischen einer Apothekerin, die sich bemühte den Unterschied zwischen Notfallverhütung und regulärer Kontrazeption zu erklären, und einer mittlerweile wild gestikulierenden Syrerin, die partout wissen wollte, wie lange die Ella One denn nun wirke.  

Beratung mit vereinten Kräften

Das Hin und Her per Übersetzer wurde langsam zäh, so dass das Telefonat beendet wurde, aber die junge Frau gab nicht auf. Sie wolle nicht nur eine Tablette und schon gar keine, die nicht den ganzen Monat wirke. Der ehrenamtliche Begleiter und auch ich versuchten ihr mit Händen und Füßen klar zu machen, dass die normale Pille und die Pille danach zwei unterschiedliche Arzneimittel seien. Sie blieb skeptisch. Der Betreuer sagte nur, dass die Syrer manchmal ganz schön stur sein könnten.  

Nun gut, dass kann ich ja auch. Also sagte ich ihr kurz und knapp in Gesten, entweder nimmt sie jetzt die „Ella One“ oder gar nichts. Das wirkte, sie nahm daraufhin die Tablette sogar noch in der Apotheke. Die junge Frau aus dem Deutschkurs hatte die ganze Zeit aus gebührender Entfernung mitgehört, konnte aber leider gar nicht helfen. 

Zum Glück stand für die Syrerin in Kürze sowieso ein Frauenarzt-Besuch auf dem Plan, sodass ich den Begleiter bat, doch das Thema Verhütung dort bitte noch einmal anzusprechen. Ich erwähnte auch, dass es bei erneutem Besuch des Ehemannes bitte nicht wieder zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr kommen möge. Daraufhin erwiderte der Ehrenamtliche, dass man erst mal klären werde, ob das überhaupt der Ehemann gewesen sei, das hätte man schon öfter gehabt und wenn ja, wolle er mit dem Familienoberhaupt sprechen, der das dann klären werde.  

Beratung jetzt in allen Sprachen

Das Frauenbild, welches in der arabischen Kultur in vielen Familien gelebt wird, hat mich noch länger beschäftigt - das männliche Familienoberhaupt, das über die Verhütungsmethoden einer erwachsenen Frau wacht und ein Ehemann, der mit der frischgebackenen Kaiserschnittmutter seines Kindes ungeschützten Geschlechtsverkehr hat, ohne sich über mögliche Folgen Gedanken zu machen. Hier in Deutschland haben wir auch noch keine wirkliche Gleichberechtigung, aber dagegen wirkt das Frauenbild der ABDA, die teilzeitarbeitende, milchkaffeeschlürfende Pharmazeusen-Glucke ja direkt fortschrittlich. 

Liebe Frauenärzte, an dieser Stelle nochmal der dezente Hinweis, dass ich mich um solche Beratungsgespräche wahrlich nicht reiße. Aber mir per se zu unterstellen, dass ich bei der Pille danach schlecht beraten und zum Beispiel den Zyklusstand nicht abfragen würde, ist eine Frechheit. Ich frage den ab und wenn es sein muss auch auf Arabisch. 

Zehn Minuten, nachdem die Syrerin mit ihrem Betreuer gegangen war, kam der Postbote und brachte unseren neuen HV-Helfer: Linguapharm. Jetzt kann ich auch Persisch, Türkisch und Russisch. Aber auch nur, wenn mein Kunde lesen kann. 

Kleiner Hinweis an alle Fans des Gegengewichts: Das nächste Stück von Ann-Katrin Kossendey-Koch gibt es wieder am 6. April. 


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5 Kommentare

Kommentar

von Alexander Zeitler am 09.04.2016 um 3:13 Uhr

Das Gesagte zeigt Ihr Bemühen. Welche Apotheke kann sich diesen Aufwand leisten? Und wenns dann doch ein Missverständnis gab? Wäre das gedeckt von der Betriebshaftpflicht?
Wäre da nicht dann was für einen der kritischen Frauenärzte?
Wir haben nicht für ALLES eine Lösung.

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Kommentar

von Alexander Zeitler am 05.04.2016 um 2:14 Uhr

Kommt dieser nölende Dolmetscher dann soinntag früh um 03.00 mit an die Klappe? Ist das mit den Sprachen eigentlich unser Problem oder das der Nachfragenden?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Dolmetschen ist ein Beruf

von Reinhard Pohl am 24.03.2016 um 15:49 Uhr

Hier kann man wieder sehen, wie Laien mit einer Beratungspflicht umgehen. Da wird irgend was gefragt, irgendwas in eine andere Sprache übertragen, und die angebliche Antwort kommt ungefähr wieder im Deutschen an. Das mag bei Apothekern ja angehen, sie brauchen bekanntlich nur eine Theke, um die Medikamente rüberzuschieben. Aber Dolmetschen ist ein Beruf, den nur Dolmetscherinnen und Dolmetscher ausüben können – weder "Bekannte" noch SprachkursteilnehmerInnen. Die sollen lieber ehrenamtlich Medikamente verteilen, das Dolmetschen aber bitte den Profis überlassen.

Hoffenlich hat die Laienspielschar in der Apotheke eine ausreichende Haftpflichtversicherung.

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AW: Selbstüberschätzung

von Reinhard Rodiger am 24.03.2016 um 22:46 Uhr

Sie sollten zurückhaltend sein, wenn Sie die Lösung eines Problems nur über die Nichtverfügbarkeit EINER Möglichkeit erreichen wollen.Hilfe ist angesagt-und die gab es.
Nach Ihrem Modell eben nicht.

AW: Dolmetschen ist ein Beruf

von Brigitte Hillner am 26.03.2016 um 16:19 Uhr

Frau Kossendey hätte sicherlich mit Kußhand Ihre Dienste als Dolmetscher in Anspruch genommen - so wie jeder von uns in der Apotheke, der vor dem selben Problem steht. Gebe Sie uns bitte Ihre Telefonnummer, damit wir Sie dann anrufen können? Bezahlung dürfen Sie aber bitte schön keine erwarten, von wem auch. Ich denke, die Glosse hat genau die Problematik, die Sie monieren herrlich anschaulich dargestellt.

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