Forensische Toxikologie

Verbrechensaufklärung im toxikologischen Labor

Berlin - 20.03.2016, 16:30 Uhr

Auch die Haarentnahme gehört dazu: Der forensische Toxikologe Jörg Teske stellt auf seinem INTERPHARM-Festvortrag die spannenden Möglichkeiten chemischer Detektivarbeit vor. (Fotos: as / DAZ.online)

Auch die Haarentnahme gehört dazu: Der forensische Toxikologe Jörg Teske stellt auf seinem INTERPHARM-Festvortrag die spannenden Möglichkeiten chemischer Detektivarbeit vor. (Fotos: as / DAZ.online)


Die moderne Forensik hält Methoden bereit, die noch vor zehn oder 20 Jahren kaum vorstellbar waren: In seinem Festvortrag zeigte Jörg Teske auf der INTERPHARM, wie Jahre nach einem Mord die tödliche Substanz identifiziert werden kann – oder welche Aufschlüsse einzelne Haare ermöglichen.

Mysteriöse Morde, forsche Toxikologen und seltsame Befunde: Die Arbeit in der Forensik ist Großteils von Fernsehserien und Medienberichten geprägt. Dabei landen viel mehr Fälle von lebenden Probanden in den Laboren, wie der forensische Toxikologe Jörg Teske von der Medizinischen Hochschule Hannover in seinem INTERPHARM-Festvortrag klarstellte: Nur 270 von mehr als 4000 Fällen gehörten im Jahr 2015 zur Sektionstoxikologie, also Obduktionen und Todesfälle. Doch die Bestimmung der Blutalkohol-Werte ist schnell erledigt, während nicht-natürliche Todesfälle deutlich interessanter für die Forensiker sind – und ungleich aufwendiger.

Toxikologen haben in den vergangenen Jahren verschiedene neue Werkzeuge an die Hand bekommen. „Die Tandem-Massenspektrometrie ist eine wichtige Methodik – und in der Lage, sehr sensitive und selektive Untersuchungen vorzunehmen“, sagt Teske. „So kommen wir in Bereiche, die vor 15 Jahren kaum vorstellbar waren.“ Eine Wirkstoffmenge zu detektieren, die einem Stück Zucker in einem großen Schwimmbad entspricht, sei so Standard geworden. So können Toxikologen beispielsweise kleinste Mengen von Cannabinoiden im Blut erkennen. Wenn nötig, seien auch noch niedrigere Konzentrationen möglich.

Kein körperlicher Eingriff

Seit dem Drogenskandal des Fußballtrainers Christoph Daum gibt es laut Teske viele Anfragen für Haaranalysen. Zwei Vorteile sind hiermit verbunden: Im Gegensatz zum Blut und Urin sind Substanzen nicht nur über Stunden gut zu nachzuweisen, sondern teilweise über Monate und Jahre. Und: „Der Haareingriff ist kein körperlicher und muss nicht von Ärzten vorgenommen werden“, so Teske. „Im Deckhaar geht es ohne relevante kosmetische Probleme – und man muss sich keine Gedanken machen, dass Patienten völlig verstört die Untersuchungen verlassen.“

Toxikologe: Jörg Teske auf der INTERPHARM

Bei einer Frau, bei der eine Zeugenaussage aufgrund von möglichen Drogenkonsum angezweifelt wurde, war aufgrund ihrer langen Haare noch zwei bis drei Jahre später Aufklärung möglich: „Ihre Aussage, dass sie nie etwas mit Drogen zu tun gehabt hat, war nicht glaubwürdig“, sagt Teske – denn es wurden Kokain-Spuren gefunden.

Trotzdem müssen die Forensiker vorsichtig sein: „Die Interpretation solcher Befunde ist nicht einfach“, sagt der Toxikologe. Denn wie kamen die Wirkstoffe in die Haaren? Der Kontakt zur Haarwurzel ist nicht die einzige Möglichkeit – auch aus der Umwelt können sie per Staub oder Rauch an die Haare gelangen.

Per Jointdreh in die Haare

Und auch die Hände können Schuld sein: Eine Studie aus Freiburg zeigte, dass THC-Vorstufen zu einem relevanten Teil daher rühren, dass Menschen sich Joints drehen und die Haare berühren, sagt Teske. Außerdem fand Teske bei Kindern von Opiatabhängigen, die substituiert werden, Abbauprodukte von Methadon. „Diese Prozesse muss man berücksichtigen – das kann unter Umstände eine Quelle bei positiven Befunden sein“, sagt der gelernte Chemiker.

Teilweise wird empfohlen, per Wasserstoffperoxid Drogenspuren aus den Haaren zu entfernen. Doch laut Teske hilft das nicht wirklich: „Generell können wir alles nachweisen“, sagt er. „Oxidativer Stress führt zu einem Abbau der Substanzen – aber auch die Zerfallsprodukte können teilweise nachgewiesen werden.“

Nicht nur für die Frisur sind ist es eine faszinierende Möglichkeit, dass inzwischen einzelne Haare analysiert werden können. Dies half bei einem tragischen Beispiel aufzuklären, ob Vorwürfe sexuellen Missbrauchs stichhaltig waren. Ein 13-jähriges Mädchen hatte angegeben, ihr Vater hätte ihr bitteren Tee mit Tablettenresten gegeben, die sich nicht aufgelöst hatten – und hätte sie missbraucht, nachdem sie eingeschlafen war. Um zu klären, dass die Aussage stimmte, untersuchte Teske mit Kollegen ein Einzelhaare, die sie in 5 Millimeter lange Abschnitte aufteilten. Und tatsächlich fanden sie in einigen Stücken hohe Konzentrationen von Doxylamin, was dem Gericht als Basis für sein Urteil diente.

Aufklärung per Exhumierung

Auch bei Verstorbenen kann noch lange Zeit nach dem Tod herausgefunden werden, ob sie vergiftet wurden. Bei Exhumierungen sei es wichtig, Bodenproben zu nehmen und einige andere Regeln einzuhalten, so Teske. „Sonst kann der Rechtsanwalt die Frage stellen, ob sie sicher sind, dass die Substanz nicht irgendwie eingetragen wurde – zum Beispiel aus dem Nachbargrab.“ Gifte wie Arsen kommen außerdem natürlicherweise auch im Boden vor.

Bei einem älteren Ehepaar, das innerhalb von 24 Stunden verstorben war, konnte der Forensiker aus Hannover Vorwürfe gegen einen Pfleger aufklären: Hatte dieser die beiden mit dem Herzmittel Digitoxin vergiftet? Zehn Monate nach der Beerdigung war es noch möglich, exhumiertes Leber- und Nierengewebe per Tandem-Massenspektrometrie zu untersuchen. Bei der mit Digitoxin behandelten Frau wurden nur übliche Dosen gefunden, während beim Mann die Substanz nicht detektiert wurde. „Dieser unspektakuläre Fall zeigt, was man mit diesen Methoden leisten kann“, sagt Teske.

Mord per Antiarrhythmikum?

Bei einem anderen Krankenpfleger halfen sie, ihn des mehrfachen Mordes zu überführen. Eine Krankenschwester war alarmiert, als sie im Zimmer eines Intensivpatienten einen Perfusor mit kreislaufstabilisierenden Arzneimitteln abgestellt vorfand – und gleichzeitig vier Ampullen des Antiarrhythmikums Ajmalin. Daraufhin wurde eine sechs Jahre zuvor verstorbene Patientin exhumiert. „Per Massenspektrometrie konnte auch bei ihr Ajmalin in durchaus relevanten Konzentrationen nachgewiesen werden“, sagt Teske.

Der Pfleger wurde in zwei Fällen wegen Mordes verurteilt, in zwei weiteren wegen versuchten Fällen sowie auch wegen gefährlicher Körperverletzung – mit lebenslanger Freiheitsstrafe. Derzeit erfolgen weitere Exhumierungen. „Man kann sagen, dass der Fall als einer der schlimmsten Massenmörder in die Kriminalgeschichte der Nachkriegszeit eingehen wird“, so Teske.

Abnehmende Wertschätzung für die Toxikologie

Doch die Detektivarbeit der forensischen Toxikologen wird immer weniger geschätzt: „Die Hochschule möchte, dass wir neben Forschung und Lehre möglichst kostenneutral arbeiten“, sagt Teske. Und auch das Justizministerium möchte nicht viel zuschießen. Daher würden die Untersuchungen zunehmend ausgeschrieben – der billigste kriegt es. „Das führt dazu, dass die aktuell existierenden Strukturen der forensischen Toxikologie in Frage gestellt werden“, so Teske.


Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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