Rezepte erst nach Arzt-Patient-Kontakt?

DrEd will europarechtliche Klärung

Berlin - 14.03.2016, 15:45 Uhr

Jedenfalls bei einer Erstverordnung muss für die Apotheke feststehen: Arzt und Patient hatten bereits persönlichen Kontakt. (Foto: Syda Productions/ Fotolia)

Jedenfalls bei einer Erstverordnung muss für die Apotheke feststehen: Arzt und Patient hatten bereits persönlichen Kontakt. (Foto: Syda Productions/ Fotolia)


Apotheken sollen Rx-Arzneimittel grundsätzlich nur noch abgeben dürfen, wenn es zuvor einen direkten Arzt-Patienten-Kontakt gab. Die Bundesärztekammer begrüßt die geplante gesetzliche Klarstellung, die in London ansässige Online-Arztpraxis DrEd sieht dies erwartungsgemäß anders.

„Es ist richtig, dass die Bundesregierung der Verordnung verschreibungspflichtiger Medikamente über Online-Praxen einen Riegel vorschiebt“,  erklärte Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, nachdem das Bundeskabinett letzte Woche beschlossen hat, das Arzneimittelgesetz entsprechend zu ändern.

Der Entwurf für das Vierte Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften sieht eine Änderung in § 48 Arzneimittelgesetz (AMG) vor. Demnach soll eine Apotheke ein verschreibungspflichtiges Arzneimitteln grundsätzlich nicht abgeben dürfen, wenn vor der Verschreibung „offenkundig kein direkter Kontakt“ zwischen der verschreibenden Person und dem Patienten stattgefunden hat.

Ausnahmen bestätigen die Regel

Abweichungen in begründeten Ausnahmefällen sind aber vorgesehen: insbesondere wenn der Patient dem (Zahn-)Arzt aus einem vorangegangenen direkten Kontakt hinreichend bekannt ist und es sich lediglich um die Wiederholung oder die Fortsetzung der Behandlung handelt. Zudem soll das Bundesgesundheitsministerium mittels einer Rechtsverordnung bestimmen können, in welchen Fällen Ausnahmen bestehen sollen. Während die Begründung zum Gesetzentwurf darlegt, dass das Abgabeverbot dem Patientenschutz dienen soll, da Ferndiagnosen das Risiko von Fehldiagnosen bergen, wird zu den per Verordnung festzulegenden Ausnahmen nichts gesagt.

DrEd in Bedrängnis

Eine ganz andere Meinung zur Änderung hat die Online-Arztpraxis DrEd in London. Ihr würde mit der Regelung das Deutschlandgeschäft zerstört – und immerhin rund 8.000 ihrer monatlich rund 30.000 Online-Sprechstundenbesuche kommen aus Deutschland.

DrEds Geschäftsmodell ist es gerade, Patienten leicht Rezepte zu vermitteln. Und zwar in ausgesuchten Indikationen, vorzugsweise solchen, über die Patienten ungern sprechen. Dazu zählen etwa die erektilen Dysfunktion, der vorzeitige Samenerguss, der Haarausfall, aber auch Genitalwarzen und Chlamydien. Ebenso bietet DrEd Verordnungen für Verhütungsmittel sowie Folgerezepte für Blutdruck- und Cholesterinsenker sowie Asthmamittel an. Neun bis 49 Euro kostet eine solche Onlinesprechstunde. Das ausgestellte Rezept – ein Privatrezept – kann sich der Patient entweder schicken lassen und selbst einlösen. Oder es wird direkt an eine Versandapotheke weitergeleitet.  

Europarecht verletzt?

Dieses Geschäftsmodell hatte die Große Koalition bereits vor Augen, als sie 2013 in ihrem Koalitionsvertrag versprach, klarzustellen, dass Voraussetzung für die Erstverschreibung von Arzneimitteln ein direkter Arzt-Patienten-Kontakt sein muss. Schon damals hat DrEd das Vorhaben kritisiert – nun sieht es nicht anders aus. Jens Apermann, Sprecher der Online-Praxis, erklärt, dass mit der Änderung im Arzneimittelgesetz gegen Europarecht verstoßen werde. Auch ein juristisches Gutachten hierzu hat DrEd in der Tasche. Zum einen sehe die EU-Richtlinie zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung vor, dass bei telemedizinischen Behandlungen das Recht maßgeblich sei, in dem der behandelnde Arzt seinen Sitz hat – im Fall von DrEd also das britische, nach dem Verordnungen aus der Ferne kein Problem sind. DrEd hält der Bundesregierung vor, sie versuche durch die Hintertür wieder ihre eigenen Regeln einzuführen und damit die Rechte der Leistungserbringer im Ausland einzuschränken – nachdem sie mit ihrer Unterschrift der EU-Richtlinie dieser bereits zugestimmt hatte.

Ärzte als Bremse moderner Technologien?

Darüber hinaus sieht DrEd die Dienstleistungsfreiheit – eine der Grundfreiheiten des Binnenmarktes – eingeschränkt. Und eine Rechtfertigung aus Gründen des Gesundheitsschutzes können die Hintermänner der Praxis selbstverständlich nicht erkennen. Nicht zuletzt sieht DrEd auch die deutschen Ärzte durch die Regelung eingeschränkt. Apermann spricht von einem „Rücksprung ins vergangene Jahrtausend“. Der einstige DocMorris-Mitgründer und Marketing-Chef kann nicht verstehen, wie moderne Methoden und Technologien schlicht negiert werden können. Telemedizin ist für ihn etwas, das nicht mehr zu stoppen ist. Dabei ist aber auch Apermann klar: Sie kann nur Ergänzung, kein Ersatz für den persönlichen Arztkontakt sein.

DrEd sieht auch für Apotheken Probleme

Und auch die Apotheker sieht man bei DrEd durch das Gesetzesvorhaben beeinträchgt: Sie müssten künftig jedes ärztliche Rezept dahingehend hinterfragen, ob es als Folge eines physischen Arztkontaktes ausgestellt wurde. „Wie diese nicht honorierte Prüfpflicht bei einem Verordnungsvolumen von mehr als 850 Millionen Arzneimittel-Packungen pro Jahr praktisch umgesetzt werden soll, lässt die Bundesregierung offen“, heißt es einem Argumentationspapier. Die ABDA hatte in einer Stellungnahme zum ersten Referententwurf die beabsichtigte Neuregelung jedoch begrüßt. Allerdings hatte sie auch eine Umformulierung angeregt und gefordert, zumindest in der Begündung des Gesetzenwurfs Beispiele aufzuzählen, die einen „erkennbaren“ Verstoß (im Gesetzentwurf: „offenkundig“) begründen. Tatsächlich wurde der neue Satz 2 in  § 48 Absatz 1 AMG für den Kabinettsenwurf nochmals neu formuliert, wenn auch nicht ganz nach dem Vorschlag der ABDA.

Sicher ist: Die geplante deutsche Regelung wird auf den Prüfstand kommen. DrEd kann nach ihrem Inkrafttreten Beschwerde bei der Europäischen Kommission einlegen. Diese hat den Einwänden dann nachzugehen. Oder aber ein Wettbewerber oder ein Wettbewerbsverein in Deutschland werden einen Rechtsstreit gegen DrEd in die Wege  leiten. Wenn ein Gericht dann meint, hier gibt es Fragen, die der Europäische Gerichtshof klären muss, so wird es diesen anrufen müssen.

BÄK-Präsident Montgomery weist nun darauf hin, dass es dem Arzt schon jetzt berufsrechtlich verboten ist, einen Patienten zu behandeln, ohne dass er persönlich und physisch in Kontakt mit ihm getreten ist. Auch er ist überzeugt, dass Behandlungen und Diagnosen ausschließlich über das Telefon oder das Internet nicht ausreichen. „Dass nun eine gesetzliche Klarstellung erfolgen soll, sorgt für noch mehr Rechtssicherheit auf diesem Gebiet.“


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Dr. Ed, online-Rezepte

von Dr. Carl MIchael Ruyter am 17.11.2016 um 18:28 Uhr

Die rechtliche Bewertung der privaten Rezepte aus Großbritannien muss nach dem Brexit neu bewertet werden. Der Binnenmarkt in Europa wird in Zukunft ohne GB auskommen.

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