Studie in „Nature“

Korrupter Staat, korrupte Bürger

München - 10.03.2016, 08:45 Uhr

Wie ehrlich Menschen beim Würfelspiel sind, hängt laut einer aktuellen Studie mit vom Grad der Korruption des Landes ab, wo sie wohnen. (Foto: M. Schuppich / Fotolia)

Wie ehrlich Menschen beim Würfelspiel sind, hängt laut einer aktuellen Studie mit vom Grad der Korruption des Landes ab, wo sie wohnen. (Foto: M. Schuppich / Fotolia)


Wie das Land, so seine Bürger: Wo es im Großen korrupt zugeht, werden auch im Kleinen mehr Regeln gebrochen, haben Wissenschaftler ermittelt. Wie sieht es also für Ärzte und Apotheker in Deutschland aus?

In unehrlichen und korrupten Systemen neigen auch die Bürger zu Unehrlichkeit. Dort, wo die Schattenwirtschaft blüht oder Steuerbetrug als Kavaliersdelikt gilt, beugen die Menschen auch im Kleinen eher mal die Regeln, berichten die Wissenschaftler Simon Gächter und Jonathan Schulz im Fachblatt „Nature“. Schwache politische Institutionen und eine Kultur der Regelverletzung schadeten nicht nur der Wirtschaft, sondern beeinträchtigten auch die Ehrlichkeit der Bürger, die für das Funktionieren einer Gesellschaft unerlässlich sei. Die Deutschen sind der Studie zufolge ganz vorn dabei beim Einhalten von Regeln.

Gächter und Schulz, beide unter anderem an der University of Nottingham tätig, hatten für 159 Länder zunächst einen „Vorkommen-von-Regelverletzungen“-Index erstellt. Dazu nutzten sie vorhandene demografische und Wirtschafts-Daten aus dem Jahr 2003 - etwa zum Ausmaß von Steuerbetrug und Korruption und zur Qualität der politischen Institutionen eines Landes. Ein hoher Indexwert bedeutet ein vergleichsweise hohes Maß an Betrug und Unehrlichkeit.

Wie ehrlich sind wir beim Würfelspiel?

Zusätzlich führten sie mit insgesamt 2568 Menschen aus 23 exemplarischen Ländern ein Experiment durch: Die Teilnehmer sollten völlig unbeobachtet zwei Mal einen Würfel rollen lassen und den Forschern dann die jeweils erste gewürfelte Zahl mitteilen. Für ihren Wurf bekamen sie Geld, und zwar umso mehr, je höher die gewürfelte Zahl war. Lediglich eine 6 brachte keinen Gewinn. Mit dem Experiment stellten die Forscher die Ehrlichkeit der Teilnehmer auf die Probe: Warum nicht einfach eine 5 melden, auch wenn man eine 1 gewürfelt hat?

Anhand der Verteilungswahrscheinlichkeiten berechneten die Forscher, wie oft beim Ergebnis gelogen wurde. „Grundsätzlich waren die Leute aus allen untersuchten Ländern verblüffend ehrlich“, erläutert Simon Gächter das Test-Ergebnis. „Sie lügen nicht maximal, um ihren Gewinn zu vergrößern. Das entspricht einer gängigen Theorie, die besagt, dass Menschen ein positives Selbstbild von sich bewahren wollen und deshalb nicht einfach so lügen.“ 

Was allerdings quer durch alle Länder dennoch zu beobachten war, ist Folgendes: Die Teilnehmer nahmen es mit der Wahrheit nicht ganz genau. Sie nannten häufiger die höhere der beiden Würfelzahlen, auch wenn sie als zweites gefallen war. Statistisch lässt sich diese Form der Wahrheitsdehnung vom reinen Erfinden einer Zahl unterscheiden. „Die Teilnehmer betrogen nicht frei heraus, aber sie legten die Tatsachen etwas zu ihren Gunsten aus“, sagt Gächter.

Individuelle Ehrlichkeit und Korruptionsindex hingen zusammen

Und diese sogenannte gerechtfertigte Unehrlichkeit stand in eindeutigem Zusammenhang zum zuvor bestimmten Indexwert eines Landes, fanden die Wissenschaftler. „Je verbreiteter Steuerbetrug, Korruption oder andere Regelverletzungen in einem Land sind, desto eher beugen auch die Bürger die Regeln.“

Besonders viele völlig aufrichtige Menschen - die eine 6 nannten, obwohl sie dann kein Geld bekamen - stammten dementsprechend aus Ländern mit einem niedrigen Index und gut funktionierenden politischen Institutionen. Dazu gehörten etwa Deutschland, Österreich, Großbritannien oder Schweden.

Keine Probleme also in Deutschland?

Dürfen Ärzte und Apotheker hierzulande also aufatmen - und Politiker angesichts des geplanten Antikorruptionsgesetzes einfach darauf verweisen, dass es ja woanders doch viel schlimmer ist? Ihre persönliche Verantwortung werden sie hierdurch wohl kaum los. Und Politiker lassen sich auch nur selten durch einzelne Studien überzeugen.

Die Untersuchung könnte bei einigen interessanten Fragen Anregungen geben: Etwa, wie sich der Kontakt der Bürger zu anderen Nationen, auf Reisen, über Geschäftskontakte oder bei Migrationsbewegungen, auf ihre innere Ehrlichkeit auswirke, schreibt Shaul Shalvi von der Universität Amsterdam in einem Kommentar zur Studie. Die Arbeit mache deutlich, dass die Kosten von Korruption nicht rein finanzieller Natur seien und den Menschen ökonomischen Reichtum und ökonomisches Wachstum vorenthalte. Vielmehr gefährde sie auch ihre Ehrlichkeit insgesamt.


dpa / DAZ.online
redaktion@daz.online


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