Entwickler von TGN1412

„Ich bin guten Mutes, dass wir auch in Europa wieder Studien durchführen können“

Stuttgart - 25.02.2016, 17:15 Uhr

Es soll vielversprechende Ergebnisse zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen geben: Nach den Zwischenfällen mit TGN1412 in London werden derzeit Studien in Russland durchgeführt. Inzwischen wird der Wirkstoff TAB08 (Theralizumab) genannt. (Abbildung: TheraMAB)

Es soll vielversprechende Ergebnisse zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen geben: Nach den Zwischenfällen mit TGN1412 in London werden derzeit Studien in Russland durchgeführt. Inzwischen wird der Wirkstoff TAB08 (Theralizumab) genannt. (Abbildung: TheraMAB)


Der Würzburger Immunologe Thomas Hünig hat den monoklonalen Antikörper TGN1412 entwickelt, mit dem es vor zehn Jahren bei einer Studie zu lebensgefährlichen Nebenwirkungen kam. DAZ.online sprach mit ihm angesichts des Zwischenfalls in Rennes über die weitere Entwicklung des Wirkstoffs – und die Situation der Probanden.

DAZ.online: Herr Hünig, der tödliche Zwischenfall bei der Phase-1-Studie in Rennes weckte bei vielen Erinnerungen an die fehlgelaufene Studie zu TGN1412. Im Jahr 2006 kam es bei sechs Probanden in London zu lebensgefährlichen Nebenwirkungen. Wie haben Sie von dem Todesfall in Rennes erfahren? Und wie geht es den Versuchsteilnehmern Ihrer Studie aus London inzwischen?

Thomas Hünig: Ich habe es abends in der Tagesschau gesehen und war ganz schockiert, dass so etwas Entsetzliches passiert ist. Natürlich ist bei mir auch die alte Geschichte um TGN1412 wieder hochgekocht. Ich habe nochmal bei dem Anwalt nachgefragt, der vier der sechs Probanden vertreten hat. Vor vier Jahren hieß es, dass einer gerade Vater geworden wäre und es allen gut ginge. Das wurde mir jetzt nochmals bestätigt – selbstverständlich mit der Einschränkung, dass einer der Probanden bleibende Schäden an Fingern und Zehen hat.

DAZ.online: Inwiefern waren Sie selber in die Studie von TGN1412 vor zehn Jahren involviert?

Hünig: Ich bin Biologe und habe nicht die Kompetenz, ein klinisches Protokoll aufzustellen – sondern habe die Grundlagenforschung für das Produkt gemacht. Das klinische Protokoll wurde nachher von einem Auftragsforschungsinstitut aufgestellt und umgesetzt, da war ich sozusagen Zuschauer.

Die Gründe sind inzwischen verstanden

DAZ.online: Nach dem Zwischenfall in London wurden Sie stark kritisiert, da sie kurz darauf gesagt hatten, dass Sie weiter an TGN1412 forschen wollten.

Hünig: Man ist natürlich voller Trauer und Entsetzen, was den Freiwilligen passiert ist – aber es ist auch aus der Sicht derjenigen schwierig, die den Patienten helfen wollten. Grundsätzlich kann man erst sagen, wie es weitergeht, wenn man die Ursachen verstanden hat. Im Fall von TGN1412 konnten wir gemeinsam mit Kollegen aus England herausfinden, was schiefgelaufen ist: Es wurde eine viel zu hohe Dosis eingesetzt, da bestimmte prä-klinische Tests versagt hatten. 

DAZ.online: Wie ging es dann weiter? Inzwischen laufen ja wieder Studien.

Hünig: Wenn man die Gründe verstanden hat und einen neuen Einstieg mit extrem geringer Dosis durchführt, kann man durchaus eine Chance haben. Ich kann es natürlich nicht auf die Situation in Rennes übertragen, weil ich das Arzneimittel und seine Pharmakologie nicht kenne. Aber bei TGN1412, das von der Firma TheraMab weiterentwickelt wird und nun den Namen TAB08 trägt, konnten wir zeigen, dass man über die Dosis den gewünschten vom unerwünschten Effekt trennen kann.

Wenn man TAB08 niedrig dosiert, kann man den gewünschten Zelltyp aktivieren, die regulatorischen T-Zellen. Bei hoher Dosis hingegen konnten wir nun auch den Zytokinsturm in Zellkulturen nachvollziehen. Und zweitens konnten wir zeigen, dass die Co-Medikation mit Corticosteroiden in klinisch eingesetzten Dosen die Freisetzung der toxischen Zytokine vollständig unterdrücken konnte und immer noch eine Restaktivierung dieser erwünschten regulatorischen T-Zellen vorhanden war. Das war eine gute Grundlage dafür, nochmal ganz niedrig zu starten. Beim neuen Test mit gesunden Probanden wurde mit einer 1000-fach kleineren Dosis gestartet als damals in London, die dann ganz langsam und vorsichtig bis zu einem vierzehntel der damaligen Dosis gesteigert wurde. Das hat funktioniert.

(Foto: privat)

Thomas Hünig

Probanden in Russland seien genau aufgeklärt worden

DAZ.online: Tegenero meldete nach den Zwischenfällen in London Insolvenz an. Haben Sie noch eine offizielle Funktion bei den weiteren Untersuchungen an dem Wirkstoff bei TheraMAB? Und wissen Sie, wie die Probanden aufgeklärt wurden, bei denen der Wirkstoff nun getestet wird?

Hünig: Ich bin Leiter des wissenschaftlichen Beirats der neuen Firma TheraMAB – sozusagen der wissenschaftliche Chefberater der Firma. Das betrifft allerdings nicht die Durchführung der Studien, dafür hätte ich gar nicht die Kompetenz. Die Freiwilligen wurden sehr detailliert über das Produkt und seine Geschichte aufgeklärt – und auch darüber, was man jetzt für Sicherheitsmaßnahmen ergreift. Ich habe mir eine englische Erklärung des Aufklärungsblatts angesehen und kann nur sagen, dass da alles sehr genau dargelegt wurde.

DAZ.online: Wie ist denn der aktuelle Stand?

Hünig: Für rheumatoide Arthritis ist eine open-label Studie an 18 Patienten mit sehr eindrucksvollen Erfolgen gelaufen. Im Moment läuft eine Phase-2-Studie mit Placebokontrolle, Ende des Jahres werden wir mehr wissen.

Werden Studien in Europa wieder zugelassen?

DAZ.online: Nach dem Zwischenfall 2006 in London sagte ein Pharmakologe, dass weitere Tests wohl höchstens in Nordkorea zugelassen würden. Denken Sie, dass sie statt in Russland auch in Europa möglich gewesen wären?

Hünig: Das kann ich so nicht sagen. Die Prüfung des Antrags in Russland war sehr streng und langwierig, wie ich weiß – und ich bin guten Mutes, dass wir auch in Europa wieder Studien durchführen können. Wir wissen über den Wirkstoff nun sehr viel mehr als über viele andere in der Entwicklung befindliche Substanzen. Der berühmte Spruch von Paracelsus, dass die Dosis die Wirkung macht, trifft hier absolut zu – ähnlich wie bei Interleukin-2, bei dem es bei der klinischen Erprobung in den 80er Jahren auch schlimme Nebenwirkungen gab, und das jetzt niedrig dosiert zur Behandlung unerwünschter Immunreaktionen eingesetzt wird. Es ist durchaus beabsichtigt, auch in Westeuropa wieder Studien durchzuführen.

DAZ.online: Nach dem Zwischenfall in Rennes wurde ja kritisiert, dass die Sicherheit der Probanden nicht ausreichend gewährleistet wurde. Wurden aus den Problemen mit TGN1412 nicht die richtigen Schlüsse gezogen?

Hünig: Es ist immer leicht zu sagen, dass vielleicht etwas falsch gemacht wurde. Das wandelt sich in den Medien schnell zu einem „da wurde etwas falsch gemacht“. Daher möchte ich dies nicht kommentieren.

  Die wechselvolle Geschichte des Antikörpers

Im Jahr 2006 wurde der monoklonale Antikörper TGN1412 als neues Wundermittel für Autoimmunerkrankungen gehandelt, bis es zu lebensbedrohlichen Zwischenfällen durch einen fatalen Zytokin-Sturm kam. Sechs Studienteilnehmer erhielten am 13. März 2006 im Abstand von zehn Minuten Infusionen mit dem Verum, schon anderthalb Stunden später traten generalisierte Entzündungsreaktionen auf. Es kam zu Nierenversagen und Lungenschäden. Wohl nur durch intensivmedizinische Behandlung konnten die Probanden am Leben erhalten werden. Bei einem mussten Teile der Zehen und Finger amputiert werden.

Der Immunologe Thomas Hünig hatte zusammen mit Thomas Hanke das kleine Biotechnologie-Unternehmen TeGenero aus der Universität Würzburg ausgegründet, mit TGN1412 als erfolgversprechendstem Kandidat. Im Juli 2006 musste die Firma Insolvenz anmelden.

Sechs Jahre später konnte Hünig im Fachmagazin Nature Reviews of Immunology aufzeigen, warum alle drei präklinischen Tests versagt hatten. Details hierzu finden Sie in der DAZ 27/2012.

Angesichts der Aufklärung des Zwischenfalls könnten „Millionen von Patienten“ neue Hoffnung schöpfen, schrieb die Welt im Mai 2015. Die Entwicklung des Wirkstoffs ging überraschend weiter. Hünigs russischer Kollege Sergey Chuvpilo, der mit ihm in Würzburg forschte, fand innerhalb von wenigen Monaten Investoren in Russland, 2009 wurde die FirmaTheraMAB gegründet. Chuvpilo leitet nun die Würzburger Filiale.

Der Wirkstoff wird inzwischen TAB08 (Theralizumab) genannt. Nachdem eine erste Studie mit gesunden Probanden abgeschlossen war, läuft nun eine kombinierte Phase-1- und Phase-2-Studie mit Rheuma-Patienten in Russland. Zuerst wurden zweimal neun Patienten unverblindet behandelt, laut Hünig sprachen zahlreiche der Patienten sehr gut an. Die Ergebnisse würden demnächst veröffentlicht. In einem weiteren Teil der Studie werden aktuell ungefähr 100 Patienten randomisiert und mit Kontrollarm untersucht.


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