Abgelenkt am Steuer

Handys treiben Unfallstatistik in die Höhe

Berlin - 24.02.2016, 08:46 Uhr

Autofahrer lassen sich sehr häufig ablenken, ergab eine US-Studie. Dies trage zu 68 Prozent der Unfälle bei. Hauptproblem: Das Handy. (Foto: rocketclips / Fotolia)

Autofahrer lassen sich sehr häufig ablenken, ergab eine US-Studie. Dies trage zu 68 Prozent der Unfälle bei. Hauptproblem: Das Handy. (Foto: rocketclips / Fotolia)


Das Hantieren mit Handys trägt offenbar massiv zu Autounfällen bei. Eine große US-Studie deutet darauf hin, dass der Umgang mit Mobiltelefonen am Steuer derjenige Einzelfaktor ist, der Crashs besonders stark zunehmen lässt. Das könne auch die gestiegene Zahl an Verkehrstoten in Deutschland erklären, sagt ein Experte.

Die Suche nach dem Handy, das Telefonieren und insbesondere das Lesen und Texten treibt das Unfallrisiko im Straßenverkehr um insgesamt fast das Vierfache in die Höhe, schreiben die Forscher in den „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“ (PNAS). Dies gebe vor allem deshalb Anlass zu Sorge, weil sich Autofahrer mehr als sechs Prozent der Fahrzeit mit solchen Geräten beschäftigten. 

Gefährliche Ablenkung

Die Studie der Verkehrsforscher um Thomas Dingus vom Virginia Tech Transportation Institute (VTTI) in Blacksburg beruht auf einer bislang beispiellosen Datenbasis. Das Team stattete Tausende Autos mit Kameras, Sensoren und Radar aus, die Daten des Fahrzeugs ebenso aufzeichneten wie das Verhalten der Fahrer. Die mehr als 3500 Fahrer im Alter von 16 bis 98 Jahren verursachten im Zeitraum von drei Jahren 905 größere Unfälle mit Personen- oder Sachschaden. Knapp 88 Prozent davon gingen auf menschliches Versagen zurück.

Bei der Suche nach deren Ursachen unterschieden die Wissenschaftler drei Gruppen:

  •  Beeinträchtigungen der Fahrtüchtigkeit etwa durch Müdigkeit, Alkohol, Drogen oder sichtbare Emotionen wie Wut oder Trauer
  •  Fahrfehler wie Missachten der Vorfahrt, plötzliches Bremsen oder beim Abbiegen keinen Blinker setzen
  • Ablenkung etwa durch Mitfahrer, Essen, Schminken oder Handys
  • Fahrfehler steigerten die Unfallgefahr zwar mit Abstand am meisten, passierten aber vergleichsweise selten: So erhöhte etwa Missachten der Vorfahrt die Unfallgefahr um den Faktor 936, kam aber nur in 0,01 Prozent der Fahrzeit vor. Sichtbar starke Emotionen wie Wut oder Weinen steigerten die Wahrscheinlichkeit etwa um das Zehnfache und traten in 0,22 Prozent der Fahrzeit auf.

„Ein bemerkenswertes Ergebnis dieser Analyse ist, wie oft Fahrer sich ablenkenden Tätigkeiten widmen”, schreibt das Team. In insgesamt 52 Prozent der Zeit am Steuer waren die Fahrer demnach abgelenkt – auch durch Mitfahrer. Ablenkungen trugen zu gut 68 Prozent der Unfälle bei. „Wenn Fahrer sich für ablenkende Aktivitäten entscheiden, gehen sie mehr als die Hälfte der Fahrzeit ein verdoppeltes Unfallrisiko ein”, berechnen die Autoren. Ohne Ablenkung könnten vier Millionen der jährlich fast elf Millionen Unfälle in den USA vermieden werden.

Besonders gefährlich sind demnach jene Ablenkungen, bei denen ein Fahrer den Blick von der Straße weg richtet. Der Griff zum Handy steigerte die Unfallgefahr etwa um das Fünffache, das Lesen und Schreiben von Botschaften sogar um das Zehnfache. Insgesamt erhöhte das Hantieren mit einem Handy die Wahrscheinlichkeit um den Faktor 3,6.

„Das ist zwar nicht das höchste Risiko, aber die Häufigkeit von 6,4 Prozent der Fahrzeit gibt Anlass zu besonderer Sorge. Die Resultate dieser Studie liefern harte und schlüssige Belege dafür, dass Unfälle und Verletztungen reduziert würden, wenn Fahrer nicht mit Mobiltelefonen hantieren würden.” Handys seien vermutlich jener Einzelfaktor, der US-Verkehrsunfälle in den vergangenen Jahren am stärksten habe steigen lassen.

Zahl der Verkehrstoten in Deutschland steigt wieder an

Gesetzgeber, Fahrlehrer, Polizei, Autohersteller und die Öffentlichkeit sollten die Erkenntnisse zur Kenntnis nehmen, betonen die Autoren. „Diese Resultate sind wichtig, weil wir eine jüngere Gruppe von Fahrern haben, die stärker zu ablenkenden Tätigkeiten am Steuer neigt”, wird Dingus in einer Mitteilung seines Instituts zitiert. „Wenn wir nichts unternehmen, um die Zahl der ablenkenden Aktivitäten in einem Fahrzeug zu verringern, wird die nächste Genration von Fahrern weiterhin einem erhöhten Unfallrisiko ausgesetzt sein.“

Die Studie, die statt Simulationen am Computer erstmals reelle Daten vom Autofahren auswerte, liefere einen umfassenden Überblick, wie auf US-Straßen gefahren werde, sagt Prof. Lars Hannawald, Geschäftsführer der Verkehrsunfallforschung (VUFO) an der Technischen Universität Dresden. „Anders kann man das kaum rausfinden.” Trotz Unterschieden zwischen den USA und Deutschland seien die Daten für viele Fragestellungen übertragbar – insbesondere auch zum Risiko durch Handy-Gebrauch.

„Nach langem stetigem Rückgang steigt die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland seit Kurzem wieder an”, sagt Hannawald. Eine der vermuteten Ursachen sei das Hantieren mit Mobiltelefonen. 


Wenn man sich im Straßenverkehr umschaut, sieht man, dass das wahnsinnig oft passiert. Wir können den Zusammenhang zwar aktuell nicht beweisen, aber diesem Anhaltspunkt müssen wir unbedingt nachgehen.”


Allerdings steigerte in der Studie nicht jede Ablenkung das Unfallrisiko: Wenn fahrende Eltern sich mit ihren Kindern auf der Rückbank beschäftigen, sank die Gefahr etwa um die Hälfte. Das überrascht Hannawald nicht: „Eltern fahren mit Kindern deutlich defensiver und vorsichtiger. Kinder im Auto sind somit gut für die Verkehrssicherheit.“

In Deutschland wurde der bisherige Tiefststand an Verkehrstoten im Jahr 2013 mit 3339 erreicht. 2014 starben 3377 Menschen im Straßenverkehr, für 2015 deuten vorläufige Zahlen auf eine weitere Zunahme hin.


Walter Willems, dpa
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Verkehr

von Heiko Barz am 25.02.2016 um 12:05 Uhr

Natürlich sind die 'eigenen' Kinder ein wichtiger Indikator für die "Verkehrssicherheit" Aber wenn man dann die Verhaltensweisen derselben Fahrer vor Schulen, Kindergärten und anderen Sozialeinrichtungen analysiert, sieht man große und kleine Autos vor und auf den Fußgängerüberwegen verkehrswidrig stehen und auch parken, damit die "eigenen" Kinder möglichst keinen Schritt zuviel laufen müssen. Das Leben und die Sicherheit der " Anderen " ist dabei doch völlig egal.
Dazu kommt noch die Zügellosigkeit der Geschwindigkeitsangleichung vor typischen Gefahrenstellen.

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