Kossendeys Gegengewicht

Wer schreibt, der bleibt...

Stuttgart - 17.02.2016, 17:30 Uhr

Schon faszinierend: Alles wird dokumentiert - schriftlich in doppelter Ausfertigung - bekommen Apotheker jetzt ein Fleißbienchen? (Foto: DOC RABE Media / Fotolia)

Schon faszinierend: Alles wird dokumentiert - schriftlich in doppelter Ausfertigung - bekommen Apotheker jetzt ein Fleißbienchen? (Foto: DOC RABE Media / Fotolia)


Ann-Katrin Kossendey-Koch ist jedesmal wieder aufs Neue fasziniert, was Apotheker alles dokumentieren dürfen - von der Temperatur im Schubladenschrank, im Keller, im Labor, im Kühlschrank, dazu Hygienepläne, Rezepturen, Defekturen... Bei jeder Revision kommt etwas Neues hinzu. Es zeigt ihr, woran der Berufsstand krankt. 

Es gibt so einen Spruch: „Aurich ist traurig...“ Letzte Woche stimmte das so ganz und gar nicht. Wieder genesen war ich für 1,5 Tage in Aurich bei einem Seminar, zusammen mit einigen sehr netten Apothekenleitern, wir kennen uns von einer lokalen Kooperation. Wir diskutierten angeregt und kreuz und quer über die Themen, die uns selbstständigen Apothekern unter dem Aesculap-Stab brennen. Personalführung, Personalmangel, Kundenbindung und Zukunftsvisionen, moderiert von Emanuel Winkelhofer. Beim Mittagessen kamen wir auf das Thema „Revision“, wie sollte es auch anders sein, wenn mehr als zwei Pharmazeuten in einem Raum sind. Da kochten die Emotionen bei dem einen oder anderen schon mal hoch, wenn er oder sie von seiner letzten Erfahrung mit der standeseigenen Inquisition berichtete.

Der typisch vorauseilende Gehorsam unseres Standes sorgt auch für einen übernatürlichen Respekt vor den Herren und Damen Pharmazierat. Ich versuchte es scherzhaft mit einem „Hey, das sind Kollegen und nicht das SEK“, aber damit sollte ich nicht wirklich durchdringen.

Jeder lauschte bei Erzählungen von überstandenen Besichtigungen, in der Hoffnung etwas zu erfahren, was dann in der eigenen Apotheke schon mal nicht beanstandet werden kann. Dabei ist es bei den Kollegen der Revision doch nicht anders als beim Finanzamt - irgendwas müssen die finden!

Vielleicht ist es auch unser verschultes Studium, das uns darauf getrimmt hat, möglichst nur mit Einsern abzuschließen. Da treibt es uns Apothekenleitern schon Schweißperlen auf die Stirn, wenn ein Bereich der eigenen Apotheke mit einer 2 benotet wird, bei einer 3 sehen wir uns schon frierend und hungernd vor der geschlossenen Apothekentür sitzen. 

Angemeldetes Kommando

Ich hatte auch etwas zu dem Mittagsplausch beizutragen, bei mir war die Revision Ende November letzten Jahres. Mittlerweile melden sich die Pharmazieräte in Niedersachsen ja vorher an, man ist also weg vom plötzlichen Überfall-Kommando. Die wichtigsten Ordner stehen bereit, alle Unterlagen sind nochmal durchsortiert und das QMS-Handbuch wurde entstaubt. Und dann kommen ein oder zwei Kollegen und ehe man sich versieht, ist man mitten in einer Diskussion um die Funktionalität seines eigenen Unternehmens, die an der einen oder anderen Stelle absurde Formen annimmt.

„Darf ich Ihre Notdienstklingel sehen?“ Gerne, links oben neben der Apothekentür ist ein Klingelknopf. Im Notdienst hängt ein Schild in der geschlossenen Tür, was auf die Lage des Knopfes hinweist und auch die Bedienung erklärt, denn meine Notdienstklingel ist auf die Telefonanlage geschaltet, so dass ich mit dem Patienten sprechen kann, sobald die Klingel betätigt wird. „Was ist mit Rollstuhlfahrern?“ Diese Frage machte mich doch tatsächlich sprachlos. Grundsätzlich eine berechtigte Frage - dieser Fall ist bei uns in 47 Jahren nur noch nicht vorgekommen. Und wurde auch in den vergangenen Revisionen noch nie beanstandet.

Innerlich fragte ich mich sofort, ob es überhaupt erlaubt sei, mein Hinweisschild in der Tür nur in Deutsch aufzuhängen - politisch korrekt müsste ich doch eigentlich noch in 47 anderen Sprachen über den Gebrauch der Notdienstklingel informieren. Was ist, wenn der Rollstuhlfahrer Kisuaheli spricht... oder noch schlimmer nur lesen kann, weil er taubstumm ist und mir so auch gar nicht an der Gegensprechanlage antworten kann? Ich sah mich schon mit einem Bein im Knast und konnte gar nicht glauben, dass mich eine einfache Funkklingel auf Hüfthöhe retten sollte. 

(Foto: privat)
Ann-Katrin Kossendey-Koch

Faszination Revision

Abgesehen von weiteren Kleinigkeiten, bin ich bei jeder Revision wieder fasziniert, was wir alles dokumentieren dürfen - jedes Mal kommt etwas dazu. Die Temperatur im Schubladenschrank, im Keller, im Labor, im Kühlschrank (wo wir uns natürlich Dummies basteln, in dem wir Temperaturfühler in Leerpackungen fummeln, um authentischere Bedingungen zu haben), in der Warenschleuse, der Hygieneplan für das Labor, die sanitären Einrichtungen, wer hat was wann womit warum mit wem gereinigt, Rezepturen, Defekturen, Plausibilität, Herstellung, Freigabe - und das in einem Fünf-Mann-Team!

Ich frage mich ja immer, wann wir endlich die komplette Beratung, jeden Kundenkontakt dokumentieren und vom Patienten gegenzeichnen lassen müssen, um die Qualität auch zu garantieren. Und Pläne im Pausenraum aufhängen müssen, welcher Mitarbeiter wann was gegessen und getrunken hat, um auch hier einen lückenlosen Nachweis gegenüber der Berufsgenossenschaft zu haben.

Bürokratie statt Sicherheit und Menschenverstand

Die offiziellen Besichtigungen zeigen uns so eindrucksvoll, woran unser Berufsstand krankt. Immer mehr Arbeit, immer mehr Auflagen und immer mehr Bürokratie für immer weniger Entlohnung, immer weniger unternehmerische Sicherheit und immer weniger gesunden Menschenverstand. Das pharmazeutische Personal hat sehr gute Ausbildungen und arbeitet auf einem hohen Niveau und trotzdem meinen wir, dass wir die Qualität unserer Arbeit durch das 10. Protokoll sichtbar machen und beweisen können. Um endlich ein Verhandlungspfand zu haben.

„Seht her, wir kontrollieren den kontrollierten Ausgangsstoff und dokumentieren schriftlich in doppelter Ausfertigung - bekommen wir jetzt endlich mal einen Pfennig mehr? Und ein Fleißbienchen?“ Wir diskutieren uns tot, haken alles penibel ab und verlieren unser Ziel aus den Augen: Ein selbstbewusster Experte im Gesundheitswesen zu sein.

Gebraucht werden wir nämlich vorne im HV, am Kunden - denn da wird Politik gemacht. 


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13 Kommentare

Nötige Wende des DAV

von Wolfgang Müller am 18.02.2016 um 11:13 Uhr

Es bleibt dabei, fast alle QM- und sonstigen Vorschriften-Obszönitäten sind hausgemacht, niemand Anderes als Arbeitsgruppen besonders beflissener (ABDA-, Kammer-?) Apotheker/innen hat den heutigen Quatsch-Regulationsstand erzeugt. "Die Politik" stünde einer gravierenden Modernisierung keinesfalls im Wege, das zeigt der ApoBetrO-2012 Gesetzgebungsprozess.

Aber schafften WIR ganz locker mit kompetenter, an den anderen europäischen Staaten orientierter Argumentation z. B. WE-Identitätsprüfung und "Fertigarzneimittelprüfung in der Öffentlichen Apotheke" ab, entrümpelten den ganzen "Das muss aber nach Fließschema gehen, und dann natürlich dokumentiert werden"-Jargon-Wahnsinn zugunsten eines modernen, weil angemessenen QM ab: Tausende schöne Möglichkeiten, Kolleg/innen zu schikanieren/ruinieren, zu finden und zu melden, aufgeblasene Fachliteratur, Seminare und Beratungen, ja Studieninhalte zu verkaufen würden entfallen. Von Verkäufen vieler lecker Gerätschaften (NIR!) ganz zu schweigen.

AVOXA, WEPA, manche in den Behörden, manche Ehrenamtler/innen, Autoren, Professor/innen werden nachvollziehbarerweise meinen, das nicht wollen zu können ....... Es wird also ein wenig schwierig werden.

Aber: Wir haben ja glücklicherweise über All dem stehend zur Vertretung unserer Interessen (zur Erinnerung: der unwesentlichen Interessen derer, die inkl. ihrer Mitarbeiter/innen den Laden schmeißen) den DAV. Dort wird es sicher demnächst eine Umkehr geben, die Lage ist besonders wegen des Nachwuchsmangels zu prekär, diese ganze hausgemachte Bürokratie- und Inquisitionsmisere länger konsequent zu ignorieren.

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AW: Bei...

von Bernd Jas am 18.02.2016 um 15:04 Uhr

...dem Thema fällt mir gerade noch dazu ein, das wir in regelmäßigen Abständen die "Gesetzlich vorgeschriebenen Aushänge für Apotheken" zugestellt bekommen. Kostenpunkt 34.80€ für 14 doppelseitig bedruckte Din A4-Seiten für 20.441 Apotheken (Ende 2014).
Macht für den Gofi-Verlag......,kann jeder selbst ausrechnen während ich mir ´ne Druckmaschine kaufen gehe.

Schade...

von Thorsten Dunckel am 18.02.2016 um 9:15 Uhr

...daß diese tollen Artikel dieser "Super-Frau" nur hier im Nirwana erscheinen.
Frau Kossendey erklärt in einfachen Worten und für JEDEN verständlich mit was für einem Moloch wir täglich "zugeschi..." werden. Warum schafft es niemand von offizieller Seite, als erstes sicherlich das "unbekannte Pressesprecher-Luft-Dingsbums", solche Artikel in die bunte Presse zu bringen?

Was diese durchgeknallten, dokuphilen Inquisitoren angeht, möchte ich den Tag noch erleben, wo wir in Deutschland einfach einmal Dienst nach deren schwachsinnigen Vorschriften machen. Wir stehen doch mit unserer Arbeit jeden Tag mit einem Bein im Knast.
Lang lebe der "FREIE HEILBERUF". (Den sehe ich im übrigen schon genauso lange nicht mehr wie unseren Pressesprecher)

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AW: Jau

von Bernd Jas am 18.02.2016 um 9:25 Uhr

Ein "like" ( zu gut deutsch und ungefeatured ...JAU...) von mir zu diesem Kommentar.

AW: "Schade"

von Elisabeth Dötz am 18.02.2016 um 16:36 Uhr

Ich kann mich dem Kommentar nur anschließen.Sic!

Drum prüfe, wer sich ewig bindet . . .

von Uwe Hansmann am 18.02.2016 um 8:58 Uhr

Wenn der Wahnsinn weiter Schule macht, dann werden wir den Berufsnachwuchs am Ende nicht mehr in die Apotheken bekommen. Die jungen Kolleginnen und Kollegen sehen sich zu recht die Dinge vorher sehr genau an und entscheiden sich dann vielfach für eine andere berufliche Laufbahn als in der öffentlichen Apotheke.

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AW: Give More Paper

von Sven Gallinat am 18.02.2016 um 10:03 Uhr

Glauben Sie nicht, daß in der Industrie weniger dokumentiert wird ;-)

AW: @sven gallinat

von Uwe Hansmann am 18.02.2016 um 10:16 Uhr

Glaube ich schon, nur läuft das unter anderen Vorzeichen und zu anderen Konditionen. Immer mehr Bürokratie in den Apotheken zu immer schlechteren Konditionen - das ist es doch, was AKK meint.

AW: QM in Inndustrie und Apotheke

von Wolfgang Müller am 18.02.2016 um 12:00 Uhr

In der Industrie ist das Missverhältnis zwischen Wertschöpfung und Gemeinkosten durch QM um mindestens zwei Größenordnungen günstiger als in der Apotheke. Auch sind durch besseren Gestaltungsspielraum und ein ganz anderes Standing bei den Aufsichtsbehörden vollkommene Absurditäten viel seltener. Eher ist dann schon "Die FDA" das Problem.

Als Anfang der Neunziger Jahre QM-Auswüchse auch uns in der Industrie ein wenig zu irritieren begannen, witzelten wir: "Irgendwann wird das auch noch in den Apotheken eingeführt!" Wir hielten das WIRKLICH für völlig absurd.

Aber: Es ist umgekehrt, und VIEL SCHLIMMER gekommen. Wir in der Öffentlichen werden - vollkommen im Gegensatz zur Industrie - in Teilbereichen davon SURREAL und vollkommen INHALTSLEER beherrscht, es wird damit unangemessene "fachliche" und merkantile Macht gegen uns ausgeübt

Kamillenblütentee

von Stefan Siebert am 18.02.2016 um 8:17 Uhr

"In Aurich ist es traurig, in Leer noch viel mehr". Besonders schönes Beispiel für die sinnfreie Umsetzung von QMS in Apotheken, ist das Abfüllen von Kamillenblütentee in der Defektur. Hier kam doch der Hinweis, man müsse sich dafür Inprozesskontrollen überlegen und die natürlich dokumentieren. Bei den hakt es total. Vorauseilender Gehorsam war noch nie gut!
Was wäre mit echtem Bürokratieabbau? Beispiel:
1.) Abschaffung der Identitätsprüfungen für die Rezeptur (die Schweiz macht das auch nicht!),
2.) Fertigarzneimittelprüfung halte ich für völlig überflüssig. Das ist in der Industrie schon gemacht worden.
3.) Abschaffung des Notdienstes, Notversorgung nur noch über Kliniken oder auf freiwilliger Basis.
4.) Vereinfachung der BTM-Dokumentation.
5.) QMS generell hinterfragen und wieder abschaffen! Dafür hätte ich lieber ein vernünftiges Medikationsmangement in Zusammenarbeit mit den Ärzten.
6.) Direktes Abrechnen der Medikamente mit den Patienten, als Folge keine Retaxationen mehr und freie Wahl des Medikaments. Somit wieder patientennahe Versorgung und Wunscharznei möglich. Zudem Konzentration auf wenige Hersteller möglich. Ganz zu Schweigen von pharmakokinetischen Aspekten (AUC).
etc.

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Übers Ziel geschossenen

von Sabine Ergezinger-Dettmeier am 17.02.2016 um 22:32 Uhr

Liebe Frau Kossendey-Koch,
Sie sprechen mir aus der Seele!
Dokumentation bis zu einem gewissen Sinn macht ohne Frage Sinn. Ich gehöre sicher nicht zu den Fortschrittsverweigerern. QMS gefällt mir grundsätzlich.
Aber Dokumentation um der Dokumentation willen ist spaß- und sinnfrei, weil sie von unserer eigentlichen und wichtigen Arbeit, der Beratung und Hinwendung zum Patienten, abhält.
Und insbesondere kleine Apotheken brechen unter der Dokumentationsflut schier zusammen. Die Bürokratie darf unseren Job nicht auffressen.
Und mindestens genauso unsinnig sind die Auflagen für barrierefreie Zugänge.
Neue Apotheken/Praxen so zu bauen, dass auch Rollstuhlfahrer selbstständig Zugang haben. Völlig klar!
Was früher versäumt wurde, kann heute von vornherein bedacht werden.
Aber alte, teilweise denkmalgeschützte Apotheken mit diesen Vorgaben zu ruinieren ist lächerlich.
Auch in jeder anderen Branche gibt es nicht barrierefreie Immobilien, die eben nicht nachrüstbar sind. Schaden diese denn nicht hauptsächlich sich selbst, indem sie auf einen Teil der Kundeschaft verzichten müssen?
Oder aber sie finden kreative Lösungen im Einzelfall.
Ich erinnere mich z.B. an einen auf den Rollstuhl angewiesenen Kunden, der mit dem Auto vorfuhr, hupte und dann eben draußen bedient und beraten wurde (wahrscheinlich auch strengstens verboten!).
Kann nicht mit Sinn, Verstand und Augenmaß vorgegangen werden?
Es wird am grünen Tisch entschieden und praxisferne Lösungen einfach nicht korrigiert.
Das ist schlimm genug, wenn es von der Politik oder den Krsnkenkassen kommt.
Dass aber auch aus der eigenen Kollegenschaft bei Revisionen stets eine neue Sau durchs Dorf (respektive die Apotheke) getrieben werden muss, ist wirklich traurig und völlig überflüssig.

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Das Ende...

von gabriela aures am 17.02.2016 um 19:28 Uhr

...der Fahnenstange ist noch nicht erreicht !
- Locher vom AVOXA- eigenen Austatter mit Tüv-Siegel, kostenpflichtigem Präqualistempel und GS-CE-Aufkleber
- Dokumentation des Kartuschenwechsels im Brita-Filter im Personalraum
- Nachweis des regelmäßigen Entkalkens der Kaffeemaschine im Personalraum ( warum, wenn wir das Wasser vorher durch den Brita gießen ? Aus dem gleichen Grund, aus dem wir bereits geprüfte und entsprechend teuer bezahlte Rezeptursubstanzen NOCHMAL in der Apotheke prüfen: weil das so zu sein hat)
Freut Euch, denn es hätte schlimmer.
P.S. Vorbild für die Hygiene-und Putzpläne waren nicht zufällig die Aushänge auf Toiletten amerikanischer Schnellimbisse ?

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Dokumentationswahn

von Wolf am 17.02.2016 um 18:34 Uhr

Mit der Einführung des QMS haben wir die Dokumentationspflichten derart erhöht, dass ein normaler Arbeitstag einen fast ständig vor die Wahl stellt, zu dokumentieren oder Kunden zu beraten. Entweder- oder!

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