Diabetes-Behandlung

Insulin zu teuer und in armen Ländern knapp

Remagen - 11.02.2016, 15:00 Uhr

Insulin-Analoga sind in reichen Ländern Standard, in armen ist oft nicht einmal Humaninsulin verfügbar. (Foto: Sherry Young / Fotolia)

Insulin-Analoga sind in reichen Ländern Standard, in armen ist oft nicht einmal Humaninsulin verfügbar. (Foto: Sherry Young / Fotolia)


Insulin wurde vor mehr als 90 Jahren entdeckt. Seit 2007 steht es auf der Essential Medicines List der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Trotzdem ist das lebensrettende Diabetes-Medikament immer noch teuer und für viele Zuckerkranke weltweit nicht zugänglich. Dies beklagen führende Experten in dem Fachjournal „The Lancet Diabetes & Endokrinologie“.

Um herauszufinden, welche Barrieren dem Zugang zu Insulin auf der ganzen Welt entgegenstehen, sichtete ein Gremium von Wissenschaftlern die medizinische Literatur und anderer relevante Quellen zu der Thematik. Die Ergebnisse wurden in einem umfangreichen Review bekannt gemacht.

Drei Unternehmen beherrschen den Markt

Warum das Hormon über all die Jahre durchweg teuer geblieben ist, darüber sei wenig bekannt, stellen die Forscher fest. „Eine mögliche Erklärung ist die Marktbeherrschung durch drei multinationale Firmen, die wertmäßig 99 Prozent und in Bezug auf das Volumen 96 Prozent des globalen Insulin-Marktes kontrollieren." erklärt Autor David Beran von den Genfer Universitätskliniken und der Universität Genf. Die drei (Novo Nordisk, Sanofi und Merck) hätten damit nahezu das Monopol. Preiswettbewerb könne es deshalb kaum geben. Weiterhin hin trieben Einfuhrzölle, Steuern und Handelspannen den Preis  in die Höhe.

Lilly, Sanofi, Novo Nordisk / Montage: DAZ

Drei große Player: Lilly, Sanofi und Novo Nordisk beherrschen den Insulin-Markt.

Immer mehr Insulin-Verwender

Wie im Review weiter ausgeführt wird, ist Insulin vor allem in armen Ländern kaum erschwinglich. In Subsahara-Afrika liege die Lebenserwartung eines Kindes mit Typ 1 Diabetes deshalb bei nur einem Jahr. Aber auch in einkommensstarken Ländern wie den USA könne das Diabetesmittel bis zu 400 US-Dollar pro Monat kosten. Außerdem habe die Anzahl der Verwender stark zugenommen. Allein in Großbritannien sei die Zahl von 1991 bis 2010 auf das Dreifache angestiegen, hauptsächlich durch den Einsatz bei Patienten mit Typ-2-Iabetes. Zwischen 2000 und 2010 soll der National Health Service des Landes 2,7 Milliarden britische Pfund für Insulin ausgegeben haben.   

Innovationsschutz nicht das Problem

Am Nachahmerschutz der Präparate liege es jedenfalls nicht, dass Insuline so teuer sind, konstatieren die Autoren. Mehr als die Hälfte der aktiven Patente zu Insulin-Präparaten bezögen sich auf die Pens zur Verabreichung und nicht auf das Hormon selbst.  Aber es gibt einen anderen Hemmschuh für billigere Insulin-„Generika“: „Obwohl die Patente auf das erste Insulinanalogon im Jahr 2014 ausgelaufen sind, sind diese neueren Formen wie viele biologische Arzneimittel schwer zu kopieren, und die Kosten für die Biosimilar-Entwicklung sind immens.“  erklärt Richard Laing, Co-Autor und Professor an der Boston University School of Public Health.

Insulin-Analoga hauptsächlich in reichen Ländern

Hinsichtlich der weltweiten Gebrauchsmuster von Insulin von 1999 bis 2009 beschreibt der Review einige klare Trends: Tierisches Insulin ist in diesem Zeitraum vom Markt verschwunden. Ihm folgte das Humaninsulin. An dessen Stelle sind wiederum die Insulin-Analoga getreten, aber nicht überall, sondern offenbar nur dort, wo man es sich leisten konnte. So soll der Einsatz von Humaninsulin in Ländern mit hohem Einkommen bis 2009 auf ein Drittel und in Ländern mit mittlerem Einkommen auf zwei Drittel geschrumpft sein. In Ländern mit niedrigem Einkommen gab es dagegen bis 2009 nach wie vor fast ausschließlich Humaninsulin.  

Zu dieser Trendwende kam es trotz einer gegenteiligen Empfehlung eines WHO-Expertenausschusses aus dem Jahr 2011. Er hatte die Wirksamkeit und Kosteneffizienz von Analog-Insulinen (Insulin Glargin, Insulin Detemir, Insulin Aspart, Insulin Lispro und Insulin Glulisin) mit Humaninsulin, verglichen und festgestellt, dass Insulin-Analoga keinen signifikanten klinischen Vorteil gegenüber rekombinantem Humaninsulin bieten.

Keine globale Stimme

Die Autoren hoffen, dass ihr neuer Review für das Thema sensiblisieren und Massnahmen zur Abhilfe anschieben wird. Co-Autorin Margaret Ewen von Health Action International (HAI) in Amsterdam betont: „Für das Problem des Zugangs zu Insulin gibt es keine weltweit Stimme und es werden keine Ressourcen dafür mobilisiert. In den letzten drei Jahrzehnten hat HIV/AIDS die globale Aufmerksamkeit erregt. Die Lehren aus der erfolgreichen Behandlung der Immunschwächekrankheit müssen nun genutzt werden, um den allgemeinen Zugang zu Insulin zu gewährleisten

Die ACCISS-Studie und die 100 Kampagne

Der neue Review ist die erste Stufe der Studie „Addressing the Challenge and Constraints of Insulin Sources and Supply“ (ACCISS)  , die von Health Action International (HAI) in Zusammenarbeit mit der Boston University School of Public Health, den Genfer Universitätskliniken und der Universität Genf durchgeführt wird. Die dreijährige Studie wurde im Januar 2015 gestartet. Sie soll erstmalig eine umfassende Analyse der Ursachen für die schlechte Verfügbarkeit und die hohen Insulin-Preise liefern. Hieraus sollen dann Strategien und Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs zu der lebensrettenden Medizin vor allem in den bislang unterversorgten Regionen der Welt abgeleitet werden.

Neben dieser Initiative hat die International Insulin Foundation die „100 Kampagne“ gestartet. Das Ziel:  Im Jahr 2022, einhundert Jahre, nachdem der erste Mensch auf der Welt Insulin bekommen hat, soll es zu 100 Prozent, das heißt für alle, die es brauchen, verfügbar sein.

David Beran, Margaret Ewen, Richard Laing. Constraints and challenges in access to insulin: a global perspective. Lancet Diabetes Endocrinol 2016. Published Online February 5, 2016. 


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Insulin zu teuer und in armen Ländern knapp

von Andreas Wiegand am 12.02.2016 um 8:20 Uhr

In einigen Ländern Afrikas wird Insulin für einen günstigeren Preis in Gesundheitseinrichtungen verkauft. Für Menschen mit geringem Einkommen dennoch viel. Viele Gesundheitssysteme sind unterfinanziert, die Menschen müssen fast immer zahlen, Krankenversicherungen oder staatliche, kostenlose Gesundheitsdienste sind eher die Ausnahme. Unzureichendes Management der Arzneimittelversorungskette, dessen Unterfinanzierung, fehlende Fachkenntnis bis hin zu Korruption erschweren nachhaltige Änderung. Eine riesen "Baustelle". Aber kein Grund zum Aufgeben. Die Übersicht der Autoren ist ein guter Anfang.

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