Straftaten in der Apotheke

Nepper, Schlepper, Bauernfänger

Berlin - 04.02.2016, 17:00 Uhr

Nach dem Überfall auf eine Apotheke: Polizeibeamte protokollieren den Tathergang. (Foto: Frank Fuchs/dpa)

Nach dem Überfall auf eine Apotheke: Polizeibeamte protokollieren den Tathergang. (Foto: Frank Fuchs/dpa)


Raubüberfall, Diebstahl oder gefälschte Rezepte: Kriminelle machen vor öffentlichen Apotheken nicht Halt. Wer besonnen reagiert, vermeidet Schlimmeres – und hilft der Polizei, Täter dingfest zu machen.

Jagdszenen aus Nordrhein-Westfalen: Am 29. Januar überfiel ein bewaffneter Täter eine Apotheke in Petershagen. Er bedrohte die anwesende Mitarbeiterin, erbeutete alle Tageseinnahmen und flüchtete. Eine aufmerksame Kollegin beschrieb den Verbrecher und sein Auto so genau, dass er bald darauf verhaftet werden konnte. Beamte durchsuchten die Wohnung des Täters und stellten die Beute sowie eine Softairwaffe sicher. Solche Schreckensszenarien sind verglichen mit anderen Branchen eher selten.

„Bloß nicht den Helden spielen“

Aus Daten einzelner Landeskriminalämter ergeben sich bundesweit 60 bis 70 Raubüberfälle auf Apotheken pro Jahr – ein extrem niedriger Wert, gemessen an der Gesamtzahl von 45.475 Raubdelikten (2014). Die Polizei summiert unter diesen Tatbestand Diebstahl (§ 242 Strafgesetzbuch; StGB) und Nötigung (§ 240 StGB). Juristen sprechen von der Wegnahme einer Sache mittels Gewalt oder Gewaltandrohung. Zum Vergleich: In 2014 ereigneten sich 193 Raubüberfälle auf Geldinstitute und 681 auf Tankstellen. 

Schlimm für die Betroffenen sind Überfälle in jedem einzelnen Fall. Gerade seltene Ereignisse werden zur Gefahr, falls das Apothekenteam falsch reagiert. Iris Wüster, Sprecherin der Polizei Nordrhein-Westfalen aus Aachen, warnt vor dem Einsatz von Gegenständen zur Selbstverteidigung, etwa Pfefferspray: „Man sollte nichts tun, was die Gewaltspirale weiter dreht, sondern alles an Wertsachen herausgeben und bloß nicht den Helden spielen.“ 


„Man sollte nichts tun, was die Gewaltspirale weiter dreht, sondern alles an Wertsachen herausgeben und bloß nicht den Helden spielen.“


Besser ist, während eines Raubüberfalls ruhig und höflich zu bleiben und den Täter ernst zu nehmen. Mit hastigen Bewegungen oder Gegenwehr bringen sich Opfer in Gefahr. Sie sollten besser versuchen, sich das äußere Erscheinungsbild gut einzuprägen. Steht vielleicht ein Fluchtfahrzeug in der Nähe? Hier kann auch ein Gedächtnisprotokoll mit den Namen aller Zeugen, sprich Mitarbeitern und Kunden, wertvolle Hilfe leisten. Ist der Täter verschwunden, muss sofort die Polizei informiert werden, um keine Zeit zu verlieren. Erst danach geht ein Anruf an den Apothekenleiter. Beamte nehmen alle Aussagen vor Ort auf. Termine im Polizeipräsidium sind möglich, um weitere Aussagen zu protokollieren oder Verdächtige zu identifizieren.  

Doch zu einem Raub muss es gar nicht kommen, falls Mitarbeiter wachsam sind. Wie die Polizei berichtet, erkunden Kriminelle mögliche Objekte vorab, um ihren Überfall zu planen. Erscheinen unbekannte Kunden an wenigen Tagen hintereinander in der Offizin - ohne etwas zu kaufen - sollten bei den Mitarbeitern und dem Apotheker Alarmglocken läuten. Personen, die stundenlang vor einer Apotheke warten, machen sich ebenfalls verdächtig. 

Foto: François Destoc / picture-alliance / PHOTOPQRLE TELEGRAMME

Langfinger in der Freiwahl

Wachsamkeit ist auch bei Ladendieben gefragt. An einem durchschnittlichen Verkaufstag entwenden Kriminelle im Einzelhandel Waren für sechs Millionen Euro, berichtet die Industrie- und Handelskammer (IHK). Besonders begehrt sind leicht transportable, hochpreisige Artikel wie apothekenexklusive Kosmetik. „Jeder Diebstahl ist einer zu viel, schlussendlich bezahlen die ehrlichen Kunden im Rahmen der Mischkalkulation den Schaden mit“, sagt Gerald Grusser, Hauptgeschäftsführer der IHK Erfurt. Bei der Prävention versuchen Ladenbau-Experten in der Freiwahl „tote Winkel“ und schlecht ausgeleuchtete Bereiche zu vermeiden. Sind Regale maximal 1,70 Meter hoch, gelingt es Kunden nicht einfach, zu verschwinden. Angestellte können vermeintlich suspekte Personen im Auge behalten. 

Darüber hinaus arbeiten Apothekenleiter immer häufiger mit Kameras, was im Freiwahlbereich bei deutlichem Hinweis auch legitim ist. Begrüßen Angestellte potenzielle Kunden schon beim Eintreten, wissen potenzielle Gauner sofort, dass sie mit aufmerksamem Personal zu rechnen haben.

Käufer, die lange zögern und suchend umherblicken, sollten direkt angesprochen werden. Reagieren sie auf Beratungsangebote abweisend, kann es sich um Ladendiebe handeln. Weite Mäntel, Kinderwägen, Regenschirme oder offene Einkaufstaschen zählen möglicherweise zur straflosen Handlungsvorbereitung eines Diebstahls. 

Auf frischer Tat ertappt

Doch was tun, falls Apothekenangestellte einen Diebstahl beobachten? Die eigene Sicherheit steht an erster Stelle. Gibt es Hinweise, dass eine Person gewaltbereit ist oder unter Alkohol- beziehungsweise Drogeneinfluss steht, bleibt nur der Griff zum Telefon, um die 110 zu wählen. Ansonsten können Mitarbeiter selbst handeln. „Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen“, heißt es in der Strafprozessordnung (StPO), Paragraph 127. Leibesvisitationen oder das Feststellen von Personalien bleibt der Polizei vorbehalten.

Einbrüchen wirksam vorbeugen

Ladendiebstähle sind nicht das einzige Eigentumsdelikt. Gerade in abgelegenen Gegenden suchen Einbrecher Apotheken häufig auf. Dazu zwei Beispiele der letzten Wochen aus Niedersachsen. In Hannoversch Münden gelang es Tätern, einen kompletten Tresor mit Medikamenten zu erbeuten. Ähnlich gingen Täter in Wolfsburg vor. Auch sie entwendeten einen Wertschrank mit Pharmaka. Der Sachschaden beläuft sich im zweiten Fall auf mehrere tausend Euro, während Gangster aus Hannoversch Münden ihre Beute einfach entsorgten. Mit Präventionskampagnen wie „K-EINBRUCH“ wollen Polizei, Versicherungen und Wirtschaftsvertreter erreichen, dass sich jeder seiner Verantwortung bewusst wird und sich mit dem Thema Einbruchschutz befasst. Polizeiliche Beratungsstellen helfen Inhabern, um technisch sinnvolle Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, bevor es zu spät ist. 

Rezepte Marke Eigenbau

Nicht immer stehen Bargeld oder sonstige Wertsachen im Fokus. Bei Rezeptbetrügern handelt es sich meist um Patienten, die von Diazepam, Flunitrazepam, Tilidin oder sonstigen Opioiden abhängig sind. Sie versuchen, ihre Verschreibungen am Abend oder am Samstag einzulösen, wenn kein Arzt mehr für Rückfragen erreichbar ist.  

In größeren Apotheken lassen sich Betrüger gern von jungen, unerfahrenen Mitarbeitern beraten. Fälscher ergänzen Verordnungen handschriftlich oder versuchen, den kompletten Vordruck zu kopieren. Oft unterlaufen ihnen Fehler beim Abgleich der lebenslangen Arztnummer und der Betriebsstättennummer.  

Ende 2009 überführte die Kölner Polizei nach eigenen Angaben den mutmaßlichen Anführer einer bundesweit agierenden Bande. Über eine Zahnarzthelferin gelangten Betrüger an Vordrucke, die mit Genotropin® und Norditropin® bedruckt wurden. Einer Krankenkasse fiel auf, dass Zahnärzte entsprechende Präparate nicht hätten verschreiben dürfen. Sie retaxierte mehrere Apotheker auf null. Besonders fatal: Wie das Deutsche Apotheken Portal berichtet, kursierten Mitte 2015 immer noch Fälschungen.  

Falls Kollegen manipulierte Rezepte erkennen, rät die Polizei auch hier, im Back Office sofort die 110 zu wählen. Verbrecher sollten mit dem Hinweis vertröstet werden, ihr Präparat werde in 30 Minuten vom Großhändler oder von einer Partnerapotheke geliefert.

Riskante Chemikalien

Ermittlungsbehörden haben derzeit weitere größere Sorgen als Rezeptfälschungen. Angesichts der wachsenden Terrorismusgefahr vermuten sie, Gewalttäter könnten versuchen, Chemikalien in öffentlichen Apotheken zu erwerben. Besonders begehrt sind Wasserstoffperoxid, diverse Nitrate, Chlorate, Perchlorate und Permanganate. Kunden, die sich weigern, einen plausiblen Verwendungszweck anzugeben oder ihre Personalien zu nennen, verhalten sich verdächtig. Teilweise versuchen sie, mit offiziellem Briefkopf einer Hochschule Lieferungen an ihre Privatadresse umzuleiten und bargeldlos zu bezahlen. Landeskriminalämter empfehlen Apothekern, keine Substanzen abzugeben, sondern umgehend die Polizei zu verständigen. Zeugenbeschreibungen oder Aufzeichnungen der Videokamera helfen Beamten bei ihrer Arbeit. 


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