HIV-Behandlung

Tenofovir-Resistenz in manchen Regionen überraschend hoch

Remagen - 02.02.2016, 08:00 Uhr

Der HI-Virus lässt sich schlechter bekämpfen, denn Resistenzen gegen das Virostatikum Tenofovir nehmen zu. (Foto: Ezume Images / Fotolia)

Der HI-Virus lässt sich schlechter bekämpfen, denn Resistenzen gegen das Virostatikum Tenofovir nehmen zu. (Foto: Ezume Images / Fotolia)


In einer groß angelegten weltweiten Erhebung haben Forscher bei Patienten nach virologischen Versagen der WHO-Erstlinientherapie mit Tenofovir gegen HIV einen hohen Anteil an Medikamentenresistenz gefunden. In Europa ist die Situation aber offenbar weniger „dramatisch“.  

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte zuletzt im November 2015 eine revidierte Fassung ihrer Leitlinien zur antiretroviralen HIV-Therapie als Vorab-Version bekannt gemacht. Sie soll in diesem Jahr als endgültige Leitlinie erscheinen. Hiernach empfiehlt die WHO die antiretrovirale Therapie für alle Menschen mit HIV, und zwar so bald wie möglich nach der Diagnose und ohne Einschränkungen in Abhängigkeit von ihrer CD4-Zellzahl. CD4-Zellen (T-Zellen) steuern die Antwort des Immunsystems auf Infektionen. Ihre Zahl liefert damit einen Hinweis auf den Zustand des Immunsystems. Außerdem sollen Menschen mit hohem Risiko für eine HIV-Infektion als Teil der kombinierten Präventionsmaßnahmen eine orale medikamentöse Prä-Expositions-Prophylaxe erhalten. 

Tenofovir

Tenofovir gehört zur Gruppe der nukleotidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NtRTI) und ist gegen HIV-1 und Hepatitis B wirksam. Eingesetzt wird es in Form des Tenofovirdisoproxilfumarats. Das Prodrug Tenofovirdisoproxil wird nach Resorption zum Nukleotid-Analogon Tenofovir, das strukturell dem Adenosinmonophosphat ähnelt, umgewandelt. Es hat einen dualen Wirkmechanismus: Nach Phosphorylierung zum Tenofovirdiphosphat blockiert es für die Virusreplikation essentielle Enzyme, die reverse Transkriptase beim HI-Virus, die DNA-Polymerase beim Hepatitis-B-Virus. Zudem wird es statt des natürlichen Substrats in die DNA eingebaut und führt zum Kettenabbruch. Tenofovir wird gemeinsam mit anderen Wirkstoffen zur im Rahmen einer antiretroviralen Kombinationstherapie zu Behandlung einer HIV-Infektion und zur PrEP (derzeit noch Off-Label) sowie zur Hepatitis-B-Behandlung eingesetzt. Handelsnamen: Viread® (in Kombination mit anderen Substanzen: Atripla®, Eviplera®, Stribild®, Truvada®)

Weltweite Daten aus mehr als 15 Jahren erhoben

Für die Regionen, die am stärksten von HIV-Pandemien betroffen sind, gibt es wenige Daten zur Häufigkeit und zu den Risikofaktoren erworbener Resistenzen. Wissenschaftler der internationalen „TenoRes Collaboration“ haben nun in der Fachzeitschrift „The Lancet Infectiuous Diseases“  erstmals nach Vorliegen der neuen WHO-Leitlinien eine globale Gesamtbeurteilung der Resistenz nach virologischen Versagen mit Tenofovir-Erstlinientherapie veröffentlicht. Die retrospektive multizentrische Kohortenstudie erfasste Untersuchungen mit 1926 erwachsenen Patienten aus 36 Ländern in Europa, Lateinamerika und Nordamerika, Subsahara-Afrika und Asien, die zwischen 1999 und Juni 2015 publiziert wurden. Die Patienten  hatten eine Erstlinien-Therapie mit Tenofovir plus Cytosin-Analogon (Lamivudin oder Emtricitabin) plus einem nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI, Efavirenz oder Nevirapin) erhalten. Außerdem war bei ihnen eine genotypische Resistenzbestimmung durchgeführt worden. 

Drei wesentliche Schlussfolgerungen

Nach der Analyse der Wissenschaftler liefert ihre Untersuchung drei wesentliche neue Erkenntnisse zur Prävalenz und zu den Risikofaktoren für die Übertragbarkeit der Tenofovir-Resistenz: Zunächst waren die Anteile der Resistenz je nach Region sehr unterschiedlich. Sie reichten von maximal 20 Prozent in Europa bis hin zum mehr als 50 Prozent im subsaharischen Afrika. Zweitens war die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhang mit der Tenofovir-Resistenz bei Patienten mit Therapieversagen für drei Konstellationen erheblich größer: bei einer CD4-Zellzahl von weniger als 100 Zellen pro μL, bei Behandlung mit Nevirapin statt mit Efavirenz und beim Einsatz von Lamivudin anstelle von Emtricitabin. Außerdem gab es hinsichtlich der mittleren Plasma-Viruslast bei virologischen Versagen bei Personen mit und ohne Tenofovir-Resistenz keine großen Unterschiede. 

Oft mehrere Resistenzen vorhanden

Die Autoren bezeichnen die Verbreitung der Tenofovir-Resistenz bei Patienten mit Therapieversagen vor allem nach den Studien in einkommensschwachen Regionen der Welt als „überraschend hoch“. Die betroffenen Patienten hätten vielfach auch bemerkenswerte Resistenzen gegenüber anderen Medikamenten ihres Therapieregimes, so dass der gesamte Erfolg der Kombinationstherapie auf dem Spiel stehe. Besorgniserregend ist für sie zudem das erhebliche Übertragungspotential der Tenofovir- resistenten Viren.  


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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