Entzündung und Erinnerungsvermögen

Astrozyten beeinträchtigen das Gedächtnis

Remagen - 08.01.2016, 15:34 Uhr

Kognitive Beeinträchtigungen bei MS-Patienten: Astrozyten spielen wohl eine Rolle. (Bild: freshidea - fotolia.com)

Kognitive Beeinträchtigungen bei MS-Patienten: Astrozyten spielen wohl eine Rolle. (Bild: freshidea - fotolia.com)


Bei multipler Sklerose oder anderen Entzündungen des Gehirns sind die kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt. Forscher der Universitäten Zürich und Lausanne konnten nun zeigen, dass die Astrozyten diesen Effekt auslösen.

Astrozyten machen etwa die Hälfte der Gehirnmasse aus. Sie zählen zu den Gliazellen. Diese bilden ein Stützgerüst für die Nervenzellen und sind maßgeblich am Stofftransport und Flüssigkeitsaustausch sowie an der Aufrechterhaltung der Homöostase im Gehirn beteiligt. Außerdem wirken sie am Prozess der Informationsverarbeitung, -speicherung und -weiterleitung mit. Normalerweise sorgen die Gliazellen eher dafür, dass die Nervenzellen ordnungsgemäß funktionieren. Dies kann aber auch anders sein, wie die Wissenschaftler gezeigt haben.  

Mechanismus aufgeklärt

Dass Gehirnentzündungen, zum Beispiel bei Autoimmun-Erkrankungen wie der multiplen Sklerose (MS) oder bei Alzheimer die kognitiven Funktionen beeinträchtigen, wurde bereits vermutet, aber ein direkter Zusammenhang mit der Entzündung war bislang nicht klar.  Jedenfalls wurde das Phänomen mit erhöhten Spiegeln des Zytokins Tumornekrosefaktor-α (TNF-α) assoziiert. In Zusammenarbeit mit Tobias Suter von der Klinik für Neurologie des Universitätsspitals Zürich sowie Adriano Fontana und Christopher Pryce, Universität Zürich, hat Andrea Volterra von der Universität Lausanne den schädlichen Mechanismus in einem Maus-Modell von Multipler Sklerose (MS) nachgewiesen: Das bislang fehlende Bindeglied sind die Astrozyten.

TNF-α als Schlüssel

„Die Astrozyten spüren TNF-α, den Botenstoff der Entzündung“, erklärt der Neurobiologe  Volterra. Im gesunden Hirn sei dessen Konzentration sehr niedrig. Trete aber eine Entzündung auf, zum Beispiel im Fall von MS oder einer Infektion, so nehme die Menge an Tumornekrosefaktor stark zu, und die Astrozyten reagierten darauf mit einer Veränderung der neuronalen Funktion. Passiere dies in Bereichen des Gehirns, die für das Gedächtnis zuständig sind, wie zum Beispiel im Hippocampus, so werde die Speicherung von Informationen und somit die Erinnerungsfähigkeit beeinträchtigt. „Wie bei MS-Patienten tritt diese Beeinträchtigung auch im Modell schon in asymptomatischen Phasen auf, wenn noch keine typischen MS-ähnlichen Bewegungseinschränkungen auftreten“, fügt der Immunologe Suter an.

Die Wissenschaftler halten ihre Erkenntnisse für höchst relevant, denn sie konnten auch spezifische Rezeptoren identifizieren, die im Krankheitsverlauf essentiell sind. Dies eröffne die Möglichkeit, die Rezeptoren mit Medikamenten zu blockieren, um den schädlichen Mechanismus zu unterbinden. „Dadurch könnten die kognitiven Beeinträchtigungen bei MS-Patienten und womöglich auch bei anderen entzündlichen neurologischen Erkrankungen gemildert werden“, hofft Pryce.

Quelle: Habbas S, et al. Neuroinflammatory TNFα Impairs Memory via Astrocyte Signaling. Cell. 2015 Dec 17;163(7):1730-41. doi: 10.1016/j.cell.2015.11.023. Epub 2015 Dec 10.




Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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