Indien

Pharmakonzerne unterwandern „Health Camps‟

Delhi / Indien - 05.01.2016, 13:07 Uhr

Health Camp nahe des Ausstellungsgeländes Pragati Maidan in Delhi, 15. November 2015. (Quelle: Ministry of Health, India)

Health Camp nahe des Ausstellungsgeländes Pragati Maidan in Delhi, 15. November 2015. (Quelle: Ministry of Health, India)


Health Camps zur Gesundheitsvorsorge sind in Indien sehr beliebt - viele Menschen lassen sich dort untersuchen, weil sie sich einen Arztbesuch nicht leisten können. Nationale und internationale Pharmafirmen nutzen dies aus, wie ein Journalist im Fachmagazin British Medical Journal berichtet. 

Selbst eine notdürftige medizinische Versorgung können sich viele Inder nicht leisten. Sie nutzen deshalb für Gesundheitschecks gern die kostenlos angebotenen Health Camps, die großzügig von verschiedenen Pharmakonzernen unterstützt werden. Die Firmen stellen technische Geräte umsonst zur Verfügung und führen Screenings mit Patienten durch. Allerdings geht es dabei nicht um Wohltätigkeit, wie Frederik Joelving im Fachmagazin BMJ berichtet: Ärzte, die die Camps organisieren, müssen im Gegenzug die Präparate der Pharmahersteller verschreiben. 

"So macht es jeder heute"

Beispielsweise berichtete ein Mitarbeiter der indischen Pharmafirma Ipca Laboratories dem BMJ-Autor, dass er in Health Camps Besuchern aus purem Eigeninteresse heraus EKG-Untersuchungen anbietet. Seine eigentliche Aufgabe war es, Blutdrucksenker des Konzerns zu verkaufen. „Ich mache das EKG-Camp und dann verschreibt der Doktor meine Marke‟, so der Vertriebler, „das ist der Hauptzweck des Camps.‟ 

Etliche weitere indische Pharma-Firmen bieten Mittellosen auf Health Camps Screenings zu Herz- und Lungenleiden, Diabetes und anderen Krankheiten an, berichtet der BMJ-Redakteur.

Der dabei übliche Deal: Die Konzerne rücken mit teuren Diagnosegeräten oder Mitarbeitern an, um Arme kostenlos zu untersuchen. Dafür verpflichten sich die behandelnden Ärzte, Rezepte für Arzneimittel der Hersteller auszustellen. „So macht es heute jeder‟, bestätigt auch ein Arzt des B. P. Poddar Hospital in Kalkutta, der mehrmals im Monat Camps veranstaltet – mit Vertretern mehrerer globaler Firmen. Würde er deren Arzneimittel nicht verschreiben, würden sie nicht auf den Camps erscheinen, berichtet das BMJ.

Über- und Fehldiagnosen

Dem BMJ liegen Beweise vor, dass nicht bloß indische Firmen, sondern auch multinationale Konzerne Health-Camp-Patienten auf Krankheiten testen lassen, oder ließen. Genannt werden in dem BMJ-Bericht die indischen Zweige von Abbott, Bayer, Glaxo Smith Kline, Roche und Sanofi. Mit den staatlichen Vorschriften in Indien sei das System nicht konform, und so leugnen offizielle Sprecher der Unternehmen, Arzneimittel mit Hilfe von Health Camps auf den Markt zu drücken – wenn sie sich überhaupt dazu äußern. Gespräche, die Frederik Joelving mit ehemaligen oder aktiven Mitarbeitern führte, ergaben, dass dies gängige Praxis ist.  

Wenn Screenings vor allem dazu dienen, Arzneien zu verkaufen, drohten Über- und Fehldiagnosen, mit denen man Gesunde zu Kranken macht, warnt Glyn Elwyn, eine Expertin des Dartmouth Center of Health Care Delivery Service. Die Organisation setzt sich für eine weltweite Optimierung der Gesundheitssysteme ein. Einen Nutzen der Screenings für das indische Gesundheitswesen sieht die Expertin nicht. Im Gegenteil: Dem Staat drohten hohe Folgekosten, wenn Menschen unnötigerweise Arzneimittel nehmen.

Zweifel am Nutzen

Wie fragwürdig – und zugleich effektiv – die Praxis der Konzerne auch aus medizinischer Sicht ist, zeigen laut BMJ-Bericht zwei weitere Beispiele: So hat Abbott India nach eigenen Angaben bereits im Jahr 2011 die Schilddrüse von über 240.000 Menschen untersucht und ist seitdem weiterhin ständig an Health Camps beteiligt. Vieles deutet darauf hin, dass dort vor allem Sales-Mitarbeiter präsent sind, um auf Verschreibungen der Ärzte Einfluss zu nehmen. Inzwischen wird Abbotts Schilddrüsenmedikament Thyronorm öfter verkauft als günstigere Alternativen und gehört in Indien zu den insgesamt meistverkauften Arzneimitteln.  

Nicht nur, dass Millionen eingespart werden könnten, wenn preiswertere Mittel verschrieben würden. Auch ist der gesundheitliche Nutzen eines Screenings zur Schilddrüsenfunktion bisher unklar. Noch dazu gibt Abbott India die Beteiligung an Health Camps als eine Art soziales Engagement aus. Die Firma betreibe Aufklärungsarbeit und informiere über Krankheiten, bei denen es Informationsbedarf gebe, so eine Sprecherin des Konzerns gegenüber dem BMJ. 

Zweifel am medizinischen Nutzen stellen sich auch bei Diabetes-Screenings, die ebenfalls von Abbott India Mitarbeitern auf Health Camps angeboten werden. Dabei werden teilweise schon nach einem einzigen Glucosetest Antidiabetika verschrieben, wie das BMJ berichtet. Pankaj Shah, Diabetes-Spezialist an der Mayo-Klinik in Minnesota, kritisiert das Vorgehen scharf: Bis zur Hälfte aller positiver Diagnosen könnten falsch sein, wenn man sich auf einmalige Messungen verlasse. Ebenso könnten Tests, die von anderen Firmen durchgeführt werden, auf Hämaglobin A1c zu Fehldiagnosen führen. Insbesondere weil viele Inder an Anämie leiden, die HbA1c-Werte fälschlicherweise erhöhen kann.

Internetseite von Novo Nordisk zum Health Camp in Deutschland (Screenshot)

Health Camps auch in Deutschland

Mediziner, die die Camps organisieren, lassen sich nicht bloß vor den Karren der Konzerne spannen. Einige schlagen sogar finanziellen Profit aus den Marketing-Angeboten – indem sie Patienten für die Tests zahlen lassen, die die Pharmaindustrie kostenlos anbietet, wie die Recherchen des BMJ ergaben.

Für die ohnehin oft mittellosen Patienten ein doppeltes Problem. Sie werden nicht nur für den Test zur Kasse gebeten, sondern später auch noch für ein teures Arzneimittel, das sie vielleicht gar nicht brauchen. Ärzte und Pharmakonzerne hingegen profitieren zweifach: Sie gewinnen Patienten und Kunden und verleihen ihrer Arbeit den Anstrich von Wohltätigkeit. 

Pharma-gesponserte Health Camps gibt es übrigens auch in Deutschland. Der Konzern Novo Nordisk richtet regelmäßig das „Camp-D‟ für Jugendliche und junge Erwachsene Typ-1-Diabetiker aus. Die mehrtägige Veranstaltung lockt nicht mit Screenings, sondern mit einem großen Sport- und Freizeitprogramm. Offiziell geht es auch in diesem Fall um Gemeinnützigkeit: Novo Nordisk engagiere sich „für mehr Wissen und Aufklärung über die Erkrankung‟ heißt es in einer Broschüre. Nebenbei werden auf „Seminaren‟ Insulinrechner und Pumpen beworben – die auch zur Produktpalette von Novo Nordisk gehören, oder zu der von Roche Diabetes Care, dem „Platinsponsor‟ des Events. 


Irene Habich, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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