Gefährliche Wissenslücken 

Nutzen von Krebstherapeutika oft nicht erwiesen

Stuttgart - 21.12.2015, 14:44 Uhr

Mangel an Belastbaren Daten: Bei mehr als der Hälfte aller in der Onkologie eingesetzten Arzneimittel basiert die Zulassung einzig auf weichen Parametern.  (Bild: tashatuvango- Fotolia.com)

Mangel an Belastbaren Daten: Bei mehr als der Hälfte aller in der Onkologie eingesetzten Arzneimittel basiert die Zulassung einzig auf weichen Parametern. (Bild: tashatuvango- Fotolia.com)


Arzneimittel zur Krebsbehandlung  werden häufig auf Basis sogenannter Surrogat-Parameter zugelassen. Gemessen wird etwa die Zeit, bis es zu einer Progression kommt. Daten zu  harten Endpunkten wie Gesamtüberleben müssen in Postmarketingstudien nachgeliefert werden. Dieser Verpflichtung kommen Pharmahersteller aber oft nicht nach.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Medikamenten gilt in Studien zu onkologischen Präparaten das Gesamtüberleben (Overall Survival) als Goldstandard-Endpunkt. Immer häufiger werden neue Arzneimittel aber auf Basis sogenannter Surrogatparameter zugelassen. Das sind etwa das progressionfreie Überleben (Progression-free Survival) oder die Zeit bis zur Progression (Time to Progression). In den Neunzigerjahren basierten nach Angaben der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA noch 13 Prozent aller Neuzulassungen auf diesen Daten,  2006 bis 2011 waren es schon 43 Prozent.

Tatsächlich eignet sich das Gesamtüberleben nicht für alle Studien als primärer Endpunkt. So sind beispielsweise zum  Nachweis von Überlebensvorteilen meist größere Studien notwendig. Diese sind aber aus ethischen Gründen nicht immer so durchführbar, wie es für eine größtmögliche Aussagekraft wünschenswert wäre. Die Zulassungsbehörden lassen daher in vielen Fällen neue Präparate zur Tumorbehandlung auf Basis der Surrogat-Parametern zu. 

Benefit nicht immer feststellbar

Ob die Patienten dann tatsächlich von dem neuen Medikament profitieren, ist dann aber nicht immer feststellbar. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der Angiogenese-Inhibitor Bevacizumab (Avastin®). Bei HER-2-negativem metastasiertem Brustkrebs verlängerte der Antikörper in Kombination mit Chemotherapie das progressionsfreie Überleben signifikant. Die FDA ließ die Substanz daraufhin für diese Anwendung zu. Später wurde dem Präparat in den USA die Zulassung für diese Indikation wieder entzogen. Es gäbe nicht nur keinen erkennbaren Vorteil hinsichtlich des Gesamtüberlebens oder der Lebensqualität, sondern es könnten auch lebensbedrohliche Nebenwirkungen auftreten, so die Begründung er FDA. Für andere Tumorarten wird die Substanz in den USA aber weiterhin eingesetzt. In Europa ist Bevacizumab auch beim Mammakarzinom noch zugelassen

Daten zum Gesamtüberleben müssen folgen

Hersteller müssen in der Regel bei Zulassung auf Basis von Surrogat-Parametern Daten zum Gesamtüberleben nachreichen – theoretisch. Denn offensichtlich werden diese Daten in vielen Fällen nicht nachgeliefert und auch von den Zulassungsbehörden nicht immer eingefordert. Konsequenzen aus dem Versäumnis werden nicht gezogen. So sollen einem Bericht des US-Rechnungshofes zufolge im Jahre 2009 von den mehr 400 geforderter Postmarketingstudien 30 Prozent nicht nachgereicht worden sein. Kein einziges Präparat aber wurde vom Markt genommen.

Eine aktuelle Untersuchung, veröffentlicht in der Fachzeitschrift JAMA, bestätigt diesen Eindruck. Von den 54 neuen Krebsarzneimitteln, die in den USA zwischen Januar 2008 und Dezember 2012 zugelassen wurden, erhielten 36 (67 Prozent) den Marktzugang aufgrund von Surrogat-Parametern. Nach mehreren Jahren des Follow-ups sind für 31 dieser Arzneimittel die Effekte auf das Gesamtüberleben nach wie vor unbekannt oder es konnten diesbezüglich keine Vorteile gezeigt werden. Damit sind für mehr als die Hälfte (57 Prozent) der im Beobachtungszeitraum in den USA zugelassenen onkologischen Arzneimittel positive Effekte auf klinisch relevante Endpunkte nicht belegt oder nicht vorhanden.

Nicht nur ein amerikanisches Problem

Die Autoren der JAMA-Studie sind mit ihrer Kritik an der Situation in den USA nicht allein. Das Problem besteht offensichtlich auch in Europa. So hat sich 2011 das „Arzneitelegramm“ mit dem Thema „Surrogat-Endpunkte zur Nutzenbewertung in der Onkologie“ befasst. Anlass war die Einführung der frühen Nutzenbewertung im Rahmen des „Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG). Auch dort kamen die Autoren zu dem Schluss, dass für die Nutzenbewertung neuer Onkologika Überleben und Lebensqualität die zentralen patientenrelevanten Kriterien seien.

In der Vergangenheit habe es schon zu fatalen Irrtümern geführt, einen patientenrelevanten Nutzen für Arzneimittel aus Effekten auf Surrogat- Parameter abzuleiten. Lediglich wenn mit adäquaten Methoden, eine hohe Korrelation zwischen Änderungen des Surrogat- Parameters und Änderungen des patientenrelevanten Endpunkts belegt sei, könnten nach Ansicht des Arzneitelegramms Surrogate als validiert angesehen werden.

Erschwerend käme hinzu, dass die Validität eines Surrogat-Parameters nur  indikations- und interventionsspezifisch gelte. So stellten beispielwiese nach damaligen Kenntnisstand Parameter des Tumoransprechens wie krankheitsfreies oder progressionsfreies Überleben zumindest bei soliden Tumoren keine validierten Surrogate dar.

Die Autoren forderten daher, dass ein patientenrelevanter Nutzen, also Überleben und Lebensqualität,  auch bei neuen Onkologika bereits  vor der Zulassung belegt wird. Ausnahmen müssten einer stichhaltigen Begründung bedürfen.


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1 Kommentar

Hier wird mit zweierlei Maß gemessen

von Hummelmann am 23.12.2015 um 19:10 Uhr

Wären die genannten Artikel aus dem Bereich der Alternativmedizin oder Homöopathie und völlig ohne Nebenwirkungen, dann würde ein Sturm der Entrüstung über die Anbieter herziehen. Wären die Artikel freiverkäufliche Arzneimittel und unter 10 Euro teuer, dann gäbe es sofort einen telegenen Auftritt von Prof. Glaeske, der ganz Deutschland erklärt, warum die Apotheker wirkungslose Arzneimittel empfehlen. Aber hier handelt es sich ja um lebensbedrohliche Erkrankungen und die Hersteller (und deren Aktionäre!) verdienen sich eine goldene Nase. Da muss man nicht so genau hinsehen und haften muss der Hersteller für die Qualität seiner Produkte noch nicht mal mit seinem guten Namen. Denn er will ja nur helfen... Ach ja?

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