Diabetes-Kontrolle

Werden Diabetiker zu oft getestet?

Remagen - 18.12.2015, 07:45 Uhr

Blutzuckerspiegel messen - wie oft ist es sinnvoll? (Foto:  Dan Race/Fotolia)

Blutzuckerspiegel messen - wie oft ist es sinnvoll? (Foto: Dan Race/Fotolia)


Patienten mit kontrolliertem Typ-2-Diabetes bekommen ihren Blutzuckerspiegel vielleicht  zu oft getestet und könnten deswegen übertherapiert werden. Dies lässt eine große US-Studie vermuten, die im British Medical Journal veröffentlicht wurde.

Der Standard-Test für die langfristige Überwachung der Blutzuckerspiegel von Diabetikern ist der HbA1c-Test. Er misst den Anteil des Hämoglobins am Gesamthämoglobin, an den sich Zuckermoleküle angelagert haben, und wird in Prozent ausgedrückt. Je stärker und länger der Blutzuckerspiegel erhöht ist, umso mehr Hämoglobin kann sich mit Zucker verbinden und umso höher wird HbA1c-Wert. Er unterliegt keinen tageszeitlichen Schwankungen, sondern gibt den mittleren Plasmaglukosespiegel der vorangegangenen acht bis zwölf Wochen wieder. Der Wert dient damit als Maß für die durchschnittliche Blutzuckerkontrolle.  

Nicht öfter als zweimal pro Jahr

Die Autoren des Fachartikels im BMJ verweisen auf Empfehlungen von Fachgesellschaften und Regulierungsbehörden, nach denen der Test bei Patienten mit guter Blutzuckereinstellung und ohne Hypoglykämie-Geschichte einmal oder zweimal im Jahr durchgeführt werden sollte. Eine häufigere Überwachung sei nicht repräsentativ für die fortlaufende Kontrolle und daher klinisch nicht informativ, meinen sie.

Umfangreiche Datenanalyse

Aus früheren Studien gibt es aber offenbar Hinweise, dass HbA1c-Tests vielfach trotzdem öfter durchgeführt werden. Um herauszufinden, inwieweit das wirklich zutrifft, führten die Wissenschaftler von der Mayo Clinic in Rochester im US-Bundesstaat Minnesota zusammen mit Kollegen aus New Haven in Connecticut eine umfangreiche retrospektive Datenanalyse durch. Sie sichteten die Daten von 31.545 privat versicherten Erwachsenen aus einer US-Datenbank über den Zeitraum 2001 - 2013. Die erfassten Patienten waren über 18 Jahre alt, hatten Typ-2-Diabetes mit einer stabilen Blutzuckereinstellung (zwei HbA1c-Folgetests innerhalb von 24 Monaten mit einem Wert < 7 Prozent), bekamen kein Insulin, hatten keine Hypoglykämie-Geschichte und waren nicht schwanger. 

Je mehr Tests, umso mehr Arzneimittel

Erhoben wurde die Prüffrequenz innerhalb von 24 Monaten nach dem zweiten HbA1c-Test, der einen normalen Blutzuckerspiegel angezeigt hatte. Dieser wurde als Index-Test genommen. Änderungen in Behandlungsregime wurden innerhalb von drei Monaten nach dem Index-Test erfasst. Die Ergebnisse zeigten, dass mehr als 60 Prozent der Patienten öfter als ein- bis zweimal pro Jahr getestet worden waren. Insgesamt hatten 55 Prozent der Patienten drei bis vier und sechs Prozent sogar fünf oder mehr Tests. Trotz guter Blutzuckerkontrolle erhielten sieben Prozent der Richtlinien-konform überwachten Patienten mehr Antidiabetika oder zusätzlich Insulin. Von den Patienten mit drei bis vier Tests pro Jahr bekamen neun Prozent und von denen mit fünf oder mehr Tests pro Jahr sogar 13 Prozent mehr Diabetesmittel. 

Schlussfolgerung „besorgniserregend“

Die Autoren räumen ein, dass es sich bei ihrer Untersuchung um eine Beobachtungsstudie handelt. Schlüsse über Ursache und Wirkung könnten damit nicht gezogen werden. Immerhin sei sie aber die größte Studie dieser Art bisher in den USA. Unter dem Strich bezeichnen sie den Zusammenhang zwischen Wiederholungs-Tests und potenzieller Übertherapie als „besorgniserregend", vor allem im Hinblick auf mögliche gesundheitliche Folgen einer Übertherapie.

Im Editorial zu der BMJ-Ausgabe, in der die Studie veröffentlicht wurde, wird diese Auffassung bestätigt. Dort schreibt  Rodney  Hayward von der Universität Michigan: „Es gibt zunehmende Hinweise darauf, dass eine übermäßig aggressive Behandlung von Diabetes-Patienten als Problem unterschätzt wird.“  

Die heutigen Richtlinien seien bereits vor 25 Jahren entwickelt worden, als Diabetes-Komplikationen noch häufiger waren, kommentiert Hayward weiter. Das engmaschigere glykämische Monitoring sei deswegen nicht mehr so nützlich wie früher. Heute habe man das Fortschreiten der Erkrankung und Komplikationen erheblich besser im Griff. Damit steige die Gefahr, dass etwaige Schädigungen durch eine Behandlung größer sind als deren Nutzen. 

McCoy RG, Van Houten HK, Ross JS, Montori VM, Shah ND. HbA1c overtesting and overtreatment among US adults with controlled type 2 diabetes, 2001-13: observational population based study. BMJ. 2015 Dec 8;351:h6138. doi: 10.1136/bmj.h6138.


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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