Retaxwahnsinn

Geht Wirtschaftlichkeit über Hygiene?

Stuttgart - 16.12.2015, 14:32 Uhr

Nasenspray-Rezeptur für ein Kind: die DAK sieht Einsparpotenzial (Foto: photophonie- Fotolia.com)

Nasenspray-Rezeptur für ein Kind: die DAK sieht Einsparpotenzial (Foto: photophonie- Fotolia.com)


Der Sparwahn mancher Krankenkassen nimmt absurde Ausmaße an. So fordert beispielsweise eine Krankenkasse bei einer regelmäßig verordneten Nasenspray-Rezeptur die Wiederverwendung des Sprühkopfes. 

Krankenkassen unterliegen dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. An vielen Stellen scheint aber die Pflicht, wirtschaftlich zu handeln, in einen teilweise absurden Sparzwang umgeschlagen zu haben. So wie im folgenden Fall, der dem DeutschenApothekenPortal vorliegt.

Ein Kind benötigt eine individuelle Dosierung eines Desmopressin-Nasensprays. Die Rezeptur wird in der Apotheke aus dem Fertigarzneimittel Minirin® hergestellt. Um größtmögliche Dosiergenauigkeit zu gewährleisten, empfiehlt der behandelnde Arzt, immer das validierte Sprühsystem des Originalherstellers zu verwenden. Das Kind sei sehr schwer einzustellen und reagiere sehr sensibel auf das Hormon, so seine Begründung. Das hat allerdings zur Folge, dass bei jeder Rezepturherstellung die nicht benötigte Restmenge verworfen wird. Unnötigerweise, wie das Fachzentrum Arzneimittel der DAK findet. Die Apotheke wurde retaxiert.

Originalsprühkopf ist nicht notwendig

Laut Retaxschreiben des DAK-Fachzentrums Arznei- und Heilmittel  ist es ohnehin nicht notwendig, den Originalsprühkopf zu verwenden: „Die von [...der Kasse] in Ansatz gebrachten Dosieraufsätze erfüllen ebenfalls den Anspruch der Dosiergenauigkeit.“ heißt es in der Retaxbegründung. Eine Aussage, die allgemein richtig sein mag, aber in diesem besonderen Fall nicht von großem Wert ist. Denn die von vielen Apotheken in der Rezeptur verwendeten Sprühköpfe der Firma Wepa Apothekenbedarf sind laut Produktkatalog mit einer Ausbringung von 0,05 ml/Hub oder max. 0,15 ml/Hub zu haben. Der Original-Minirin®-Sprühkopf fördert laut Fachinfo aber 0,1 ml/Hub. Um einen der gängigen Köpfe zu verwenden, müsste die Rezeptur oder die Dosierungsanweisung geändert werden.

Mehrfachverwendung um zu sparen

Besteht die Apotheke aber weiterhin darauf, den Originalsprühkopf zu verwenden, ist ein Verwurf der Restmenge nach Ansicht der Krankenkasse nicht nötig. Laut Retaxbegründung ist „die Mitgabe weiterer Originalflaschen Minirin, die nur wegen des Dosieraufsatzes mitgegeben werden, unwirtschaftlich und nicht notwendig“. Die Restmenge soll stattdessen gelagert werden und bei erneuter Rezepturherstellung in das alte, vorher gereinigte Gefäß mit dem alten Sprühkopf gefüllt werden. Die Kasse weist in ihrem Schreiben immerhin darauf hin, dass „aus hygienischen Gründen der Aufsatz natürlich vor dem weiteren Gebrauch zu reinigen und ggf. zu desinfizieren ist.“ Ein neues Originalgefäß ist dann aber laut Krankenkasse nicht erforderlich. Das soll die Kosten für die Kasse gering halten.

Fragen bleiben offen

Diverse Fragen lässt die Kasse dabei allerdings offen: So ist beispielsweise nicht erwiesen, ob die Dosiergenauigkeit nach Reinigung und Desinfektion des Sprühsystems noch gegeben ist. Und wie lange ist die Restmenge nach Entnahme der benötigten Teilmenge eigentlich haltbar und wie muss sie gelagert werden? Die vom Hersteller angegebenen Lagerungsbedingungen und Aufbrauchfrist von zwei Monaten gelten bei Entnahme über den Sprühkopf, nicht aber wenn die Flasche geöffnet wird. Zur Orientierung: Das DAC/NRF gibt für konservierte Lösungen zur nasalen Anwendung im Pipettenglas, was noch am ehesten mit der geöffneten Flasche vergleichbar ist, eine Aufbrauchfrist von zwei Wochen an. Verordnet wird die Rezeptur laut den Daten den DAK nur „mindestens einmal im Monat“.


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3 Kommentare

Dritte Welt Deutschland

von Sven Larisch am 23.12.2015 um 7:33 Uhr

.. und wer soll sie die Sprüheinheiten desinfizieren und wie?
Wird der Mehraufwand bezahlt und macht sich das dann auch noch für die Krankenkasse bezahlt (Sterilisation der Ausgangsgefäße). Hygienisch und organisatorisch ein Rückfall in Dritte Welt Niveau.
Aber das sieht die KK nicht.

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Herr Prof. Glaeske - übernehmen Sie!

von C. Beck am 18.12.2015 um 7:01 Uhr

Das wäre nun ein Thema, bei dem ich auf die Meinung von z.B. Frau Fischbach, Frau Widmann-Mauz, Herrn Prof. Glaeske, Herrn Prof. Lauterbach etc. großen Wert legen würde - NUR - es kommt nix?!
Warum so schweigsam? Ihnen geht es doch immer um DEN Patienten - oder?
Von der betroffenen kranken Kasse könnte ich mir gut vorstellen, dass alle Mitarbeiter (vom Sachbearbeiter bis zum Vorstand) solche "Recycling-Packmittel und Pseudo-GMP-Massnahmen" natürlich für sich selbst und die zugehörigen Kinder (!) akzeptieren würden.
Meine verstorbene Oma (Baujahr 1908) sammelte noch während meines Pharmaziestudiums in den 1990/2000er-Jahren alte Tropffläschen und spülte die, weil es nach dem 2. Weltkrieg beim Apotheker aus Mangel die Rezepturen nur in mitgebrachte Gefässe gab - wir schreiben allerdings das Jahr 2015 - oder?

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Irrenhaus

von Stavenhagen-Neumann am 16.12.2015 um 23:33 Uhr

Was bin ich froh, dass ich mich aus diesem Irrenhaus ausgeklinkt habe. Die armen Kollegen, die noch so viele Jahre bis zur Rente in diesem "tollen" System arbeiten müssen!

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