Grossbritannien

Verschreibung durch Apotheker lohnt sich nicht

Remagen - 30.10.2015, 09:16 Uhr

Apotheker in der Beratung: "Kein positiver Nettonutzen"

Apotheker in der Beratung: "Kein positiver Nettonutzen"


Großbritannien wird vielfach für seine Initiativen gelobt, was die Kompetenzen der Apotheker anbelangt. Dazu gehört auch die Erlaubnis, unter bestimmten Voraussetzungen Arzneimittel zu verordnen. Dabei zahlen diese aber offensichtlich selbst drauf, wie eine neue Studie feststellt.

Eine Untersuchung zur Kosten-Nutzen-Analyse der Selbstbehandlung in Europa von „Gesundheit Österreich“ sollte den Mehrwert von etablierten Selbstbehandlungssystemen erkunden – inklusive der Therapie mit Arzneimitteln unter der eigenen Verantwortung in Europa. Die Selbstbehandlung, deren Umfang nach der Studie sehr breit ausgelegt ist, soll nicht nur die Patientenbeteiligung fördern, sondern auch zu Einsparungen bei den Gesundheitskosten führen. Diesen Aspekt untersucht die Studie erstmals.

Im Rahmen der Arzneimitteltherapie geht es dabei im Wesentlichen um chronische Erkrankungen, die Patienten und deren Angehörige laut Aussage des Studienberichtes vielfach schon recht gut selbst managen, und zum anderen um selbstlimitierende, geringfügige Gesundheitsstörungen.

Zusätzlich: Sieben Selbstbehandlungsinitiativen untersucht

Für die Studie wurden zu fünf ausgewählten Beschwerden systematischen Literaturrecherchen durchgeführt. Die wichtigsten Ergebnisse: Hinsichtlich Fußpilz zeigt die Datenlage eine gute Evidenz für die Wirksamkeit von fast allen topischen Behandlungen, die von den Patienten selbst angewendet werden können. Starke Evidenz liegt für Allylamine und Azole vor. Für Butenafin, Ciclopiroxolamin, Tolciclat und Tolnaftat sowie Terbinafin war der Evidenzgrad niedriger.

Klare Belege soll es außerdem für die Wirksamkeit der Selbstbehandlung bei Erkältungssymptomen (z. B. mit Acetylsalicylsäure, Nasensprays, topischen Behandlungen, Echinacea etc.) geben, nicht jedoch für die Wirksamkeit rezeptfreier Arzneimittel gegen Husten.

Bei Sodbrennen sollen Daten für die Wirksamkeit des Protonenpumpen-Hemmers Lansoprazol und der H2-Rezeptorantagonisten in der Selbstmedikation vorliegen. Keine Evidenz konnte dagegen hinsichtlich präventiver Selbstbehandlungsstrategien identifiziert werden, die das Risiko einer (wiederkehrenden) Harnwegsinfektion reduzieren. Als Gründe hierfür werden eine mangelnde Einnahmetreue bei Saft- und Sirup-Produkten oder mangelnde Klarheit hinsichtlich der aktiven Wirkstoffmenge (falls vorhanden) in Nicht-Saft-Produkten vermutet.

NHS Choices und Non-Medical Prescribing im Check

Auch der Mehrwert der effektivsten Therapie mit Antibiotika wird im Hinblick auf die Selbstbehandlung angezweifelt, da die Patienten von den Symptomen nur bedingt Rückschlüsse auf eine Bakteriurie oder die Bakterienanzahl ziehen können.

Die Studie untersuchte darüber hinaus sieben Selbstbehandlungsinitiativen, jeweils eine aus Frankreich, Lettland und den Niederlanden und vier aus Großbritannnien (NHS Choices, NHS 111, Minor Ailment Scheme und Non-Medical Prescribing), wo die Selbstbehandlung auf der gesundheitspolitischen Agenda hoch angesiedelt ist.

Die Verschreibung durch Nicht-Mediziner (non-medical prescribing, NMP) ist im Vereinigten Königreich seit 1998 gängige Praxis. Angefangen mit den Krankenschwestern wurde das Spektrum der Gesundheitsberufe und der erlaubten Arzneimittel nach und nach immer mehr ausgeweitet. Apotheker dürfen heute ein bestimmtes Sortiment von Arzneimitteln völlig eigenständig (independent prescribing) oder alle Arzneimittel im Rahmen eines mit dem behandelnden Arzt abgestimmten Management-Plans verordnen (supplementary prescribing).

Patienten könnten profitieren

Offenbar wird das Angebot aber nicht so gut angenommen. Nach dem Bericht gab es im Jahr 2011 in ganz Großbritannien nur rund 2000 Apotheker als „independent“ und/oder „supplementary prescribers“. Bei den Krankenschwestern sind es mehr als zehn Mal so viele.

Die Kosten für den Service seien auf der Anbieterebene, das heißt für die Apotheken, einfach zu hoch, haben die Experten errechnet, um aus gesellschaftlicher Sicht einen positiven Nettonutzen zu ermöglichen. Das Personal müsse speziell geschult werden, und die Beratung der Patienten sei erheblich aufwendiger. Die Patienten könnten allerdings davon profitieren.

Zwar bleiben die Kosten für Medikamente sowie mögliche Selbstbehalte gleich, aber sie sparen sich den Gang zum Arzt.

Quelle: Ostermann H, Renner AT, Bobek J, Schneider P, Vogler S. (Gesundheit Österreich). A cost/benefit analysis of self-care systems in the European Union. Final report April 2015.


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