Neurowissenschaft

Individueller Fingerabdruck des Denkens

Berlin - 13.10.2015, 14:15 Uhr

Funktionale Fingerabdrücke im Gehirn - wie ein Fingerabdruck (Screenshot: humanconnectomeproject)

Funktionale Fingerabdrücke im Gehirn - wie ein Fingerabdruck (Screenshot: humanconnectomeproject)


Denken hinterlässt Spuren: Die Hirnaktivitäten eines Menschen ergeben ein unverwechselbares Muster, wie Forscher berichten. Die bessere Kenntnis um die neuronalen Marker könnte in Zukunft Diagnostik und Therapie psychiatrischer und neurologischer Erkrankungen verbessern.

Menschen lassen sich anhand der Aktivitätsmuster ihres Gehirns zuverlässig identifizieren: Eine US-Studie zeigt, dass diese Muster eine Art individuellen Fingerabdruck bieten – sowohl im Ruhezustand als auch bei verschiedenen Aufgaben. Eine bessere Kenntnis dieser individuellen Prozesse ermögliche es, die Therapie psychischer Probleme zu optimieren, schreiben die Forscher um Emily Finn von der Yale University in New Haven (US-Staat Connecticut) in der Zeitschrift „Nature Neuroscience”.

Zuverlässig identifiziert

“Jedes Individuum ist einzigartig”, sagt Emily Finn. “Dennoch packen Hirnstudien von Menschen Daten vieler Teilnehmer zusammen, um Muster der Hirnaktivität abzuleiten, die allgemeingültig sind.” Die individuellen Unterschiede würden dabei ignoriert. Trotz großer Ähnlichkeiten gebe es Grund zu der Annahme, dass ein substanzieller Anteil der Hirnverbindungen bei jedem Individuum einmalig sei.

Pascal Fries, Leiter des Ernst Strüngmann Instituts für Neurowissenschaften (ESI) in Frankfurt, spricht von einer sehr überzeugenden Arbeit: “Die Zuverlässigkeit, mit der Personen identifiziert werden konnten, beeindruckt mich”, sagt der Hirnforscher, der an der Studie nicht beteiligt war.

In Aktivität und Ruhezustand

Tatsächlich sei die Nutzung solcher Ansätze ein wichtiger Punkt, sagt Fries. “Diese Verfahren bieten ein Potenzial, das noch nicht ausgeschöpft wird.” So könnten etwa quantitative neuronale Marker die Diagnostik und Therapie psychiatrischer und neurologischer Erkrankungen wie etwa Schizophrenie oder Epilepsie verbessern.

In ihrer Studie wollten die Wissenschaftler um Emily Finn ermitteln, ob neuronale Aktivitätsmuster ausreichen, um einzelne Menschen aus einer Gruppe zu identifizieren. Dazu nutzten sie Daten des Humanen Konnektom-Projektes (HCP), in dessen Rahmen die Hirnaktivität von Menschen per funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) aufgezeichnet wurde.

Die Forscher untersuchten die Hirnmuster von 126 Teilnehmern, die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen bei insgesamt sechs Durchgängen gescannt wurden. Die Männer und Frauen bekamen dabei Aufgaben, die mit Gedächtnis, Motorik, Sprache oder Emotionen zusammenhingen, und sie wurden wiederholt im Ruhezustand gescannt. Untersucht wurden die Aktivität an 268 Knotenpunkten und rund 36.000 Verbindungen, die über das Gehirn verteilt waren.

Verräterische Netzwerke

Kannten die Forscher einen der beiden Ruhezustand-Scans, konnten sie anhand des anderen die Teilnehmer mit einer Trefferquote von 93 bis 94 Prozent ermitteln. Auch die Aufnahmen, die während der Aufgaben gemacht wurden, enthielten individuelle Muster. Selbst wenn die Forscher nur eines dieser diversen Aktivitätsmuster eines Teilnehmers kannten, konnten sie ihn anhand der in anderen Situationen erstellten Bilder zu 80 bis 90 Prozent identifizieren.

Besonders verräterisch waren die Netzwerke, wenn Stirnlappen (Frontallappen) und Scheitellappen (Parietallappen) beteiligt waren. Im Ruhezustand ermöglichten die Aktivitätsmuster dieser Areale den Forschern eine korrekte Zuordnung von 98 bis 99 Prozent der Teilnehmer. Diese besonders ausgeprägten individuellen Unterschiede erklären die Neurobiologen damit, dass diese Areale, die zur Großhirnrinde gehören, in der Evolution des Menschen erst besonders spät entstanden sind.

Hirnforscher Fries findet das plausibel: Da diese Hirnregionen sich noch im Erwachsenenalter stark verändern, reflektierten ihre Aktivitätsmuster wahrscheinlich auch stärker individuelle Persönlichkeitsmerkmale.

Die Wissenschaftler schlossen in der Studie aus, dass der ermittelte Fingerabdruck auf Kopfbewegungen im Scanner oder eine unterschiedliche Hirnanatomie zurückging. Allerdings müsse man nun zeigen, dass die Aktivitätsmuster eines Menschen sich nicht nur an zwei aufeinanderfolgenden Tagen ähneln, sondern auch über Wochen, Monate oder sogar viele Jahre.


dpa / DAZ.online
redaktion@daz.online


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