Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

08.02.2015, 08:00 Uhr


Bloß nichts verkaufen, bloß kein Geld verdienen! Denn, wer echtes Geld verdient, macht sich schon bald der Korruption verdächtig. Und wer Arzneimittel verkauft, hat seinen Beruf nicht verstanden: Denn solche Arzneien helfen nicht, haben nur Nebenwirkungen und überhaupt, man braucht sie nicht, weil: Hausmittel und Halsbonbons helfen auch. Sagen Obertestgurus, die’s wissen, weil sie noch nie hinter einem Tresen standen. Und unsere Regierung und all die netten Politiker, die uns in Grußworten ihre Liebesschwüre überbringen, haben uns schon im nächsten Moment vergessen – wenn sie unser Flehen nach Honoraranpassung vernehmen. Mein liebes Tagebuch, die letzte Woche gab's Grüße aus Absurdistan.

2. Februar 2015

Jetzt aber, mein liebes Tagebuch, eine Versandapo holt zum ultimativen Gegenschlag aus – und liefert am selben Tag. Das Argument der Vor-Ort-Apotheken, dem Kunden das Arzneimittel sofort überreichen zu können, zieht nicht mehr – die Berliner Versandapotheke Aponeo bietet das ihren Kunden auch. Na ja, zumindest fast und, na ja, nur in Berlin. Da lässt die Versandapo nun das Rezept vom Kunden per DHL abholen, stellt die Ware in der Versandapo zusammen und liefert sie – fast unglaublich, aber wahr – noch am gleichen Tag per DHL an den Kunden aus. Ja, mein liebes Tagebuch, stell dir mal vor: Du brauchst ein Arzneimittel und bekommst es am selben Tag. Ja wo gibt’s denn so was? Tja, außer in den 20.400 Apotheken, die es in Deutschland gibt,  nun auch beim Versender Aponeo in Berlin. Irre, oder? Ausgerechnet Berlin, wo es kaum Apotheken gibt, und die nächste Apotheke bestimmt mindestens zehn bis zwanzig Kilometer entfernt ist, oder? Im Ernst, mein liebes Tagebuch, was sind da für Margen beim Arzneimittel drin, dass sich so ein Humbug rechnet? Hoffen wir, dass dieses Rumgeschicke innerhalb einer Stadt genauso schnell verschwunden wie es gekommen ist.

Selbst Oberversandapotheker Buse vom Bundesverband Deutscher Versandapotheken zeigt sich skeptisch und meint, dass die taggleiche Zustellung ein umständliches Unterfangen sei. Mein liebes Tagebuch, einen Schub erwarten sich die Versender allerdings von der elektronischen Gesundheitskarte mit elektronischem Rezept. Wenn das eHealth-Gesetz kommt und wenn Dateninfrastruktur, Telemedizin und elektronische Gesundheitskarte richtig funktionieren, ist das elektronische Rezept auf der Karte da. Der Patient kann sie dann in ein Terminal oder ins Lesegerät am heimischen PC stecken und sein Rezept an die Versandapo seiner Wahl schicken.

3. Februar 2015

Es geht weiter mit dem Apotheker-Bashing per Tests. Das NDR-Magazin „Markt“ hat die Apothekerempfehlungen zur Indikation Halsschmerzen getestet. Da alle zehn besuchten Apotheken zufällig Dobendan-Produkte abgaben, spricht der Vater aller Tester, Gerd Glaeske, schon von einem Dobendan-Jahr. Es komme der Eindruck auf, so der Testguru, die Apotheke sei der passive verlängerte Arm vom Hersteller. Und die Markt-Redaktion mutmaßt, die Apotheker lassen sich zu sehr von Pharmafirmen beeinflussen. Glaeske findet natürlich auch nur Negatives an den gängigen Halsschmerz-Präparaten selbst, und rät stattdessen zu zuckerfreien Halsbonbons und Salbeitee. Mein liebes Tagebuch, das meint der sogar ernst! Unglaublich! Weiß er, dass manche Menschen die Zuckeraustauschstoffe nicht vertragen?

Also, mein liebes Tagebuch, in Kürze gibt’s ein neues Buch, das jede Apotheke haben sollte: die Glaeske-Arznei-Bibel (GAB), das Manual für pharmazeutische Korrektness. Ist mit schlappen 199 Euro fast geschenkt, hat aber einen enormen Mehrwert: Wenn Sie sich an die in der GAB veröffentlichten Empfehlungen halten, besteht die Apotheke jeden Test von Stiftung Warentest, NDR-Markt, Fakt, Plusminus etc. mit sehr gut. Garantiert! Und wer wollte nicht schon mal immer unter zehn nicht repräsentativ getesteten Apotheken die Nummer 1 sein? Also, eigentlich ist das auch gar nicht so schwer, denn, mein liebes Tagebuch, die Apotheken müssen nur den ganzen Kram, der hinter ihnen im Regal steht, vergessen, also das vom BfArM zugelassene OTC-Gedöns. Also, schauen wir in die Glaeske-Arznei-Bibel: Bei Halsschmerzen gibt’s z. B. zuckerfreie Halsbonbons und einen Salbeitee, bei Schnupfen, Erkältung und Fieber empfehlt GAB  Wadenwickel, wer unter Verstopfung leidet, der soll Leinsamenbrot  beim Bäcker kaufen, viel trinken und sich viel bewegen, und gegen Kopfschmerzen rät die Bibel, ganz klar, zu einer geänderten Lebensführung, viel frische Luft, Bewegung, kein Alkohol, kein Nikotin. Und im äußersten Fall, falls alle Stricke reißen und der Patient und Kunde unbedingt ein Arzneimittel haben möchte, darf eventuell nach Abklärung aller Unwägbarkeiten, Unverträglichkeiten, nach einem Check von Wechselwirkungen, Nebenwirkungen und einer mindestens zehnminütigen Intensivzwangsberatung zu einer Kleinstpackung Schmerzmittel (Inhalt höchstens zwei Stück) geraten werden, z. B. mit ASS oder Ibu, aber um Himmelswillen nur als striktes Monopräparat, denn Kombis sind des Teufels. Vorbestellungen für Glaeskes Arznei-Bibel bitte bis zum Rosenmontag absenden. 

1,77 Euro, fest und unantastbar, bekommen die GKV-Krankenkassen in Zukunft von unserem Apothekenhonorar für jedes Arzneimittel auf Rezept. Der Bundesrat stimmte diesem Passus im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz zu. 1,77 Euro pro Rx – viel Holz, oder? Haben wir Apothekers so gewollt, zumindest der Deutsche Apothekerverband, der das mit dem GKV-Spitzenverband so ausbaldowert hat. Der große Vorteil, mein liebes Tagebuch: Darüber wird in Zukunft dann auch nicht mehr gestritten. Strittig ist dagegen noch, was aus dem Entlassmanagement wird. Krankenhausapotheken sollen dem Patienten bei seiner Entlassung aus dem Krankenhaus Arzneimittel für einen Zeitraum von bis zu drei Tagen mitgeben dürfen. Der Bundesrat möchte verhindern, dass mit Entlassrezepten Handel betrieben wird, indem Dritte die Rezepte an ausgewählte Apotheken zuweisen. Da muss sich in der Tat noch etwas tun.

4. Februar 2015

Schon gehört, mein liebes Tagebuch? Als der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Reiner Hoffmann,  in einem Interview gefragt wird, ob die Griechen nicht über ihre finanziellen Verhältnisse gelebt hätten, nennt er doch tatsächlich als Ursachen für die Krise beispielhaft die steuerliche Privilegierung von griechischen Reedern und im gleichen Atemzug: „Auch das Apothekermonopol in Griechenland muss man sicherlich infrage stellen.“ Mein liebes Tagebuch, wie bitte? Stimmt da die Polung noch? Oder hat er zu viel vom griechischen Retsina getrunken? Apotheken und griechische Reeder auf gleicher Stufe! Und was bitte ist das Apothekermonopol? Meint er damit etwa die Bestimmung, dass OTC-Arzneimittel in Griechenland früher nur in Apotheken verkauft werden durften (heute auch im Supermarkt!)? Glaubt so ein Gewerkschaftler wirklich, dass der ausschließliche OTC-Vertrieb über Apotheken das alte Hellas in die Krise gestürzt hat? Erschreckend, welchen Horizont solche hochrangigen Bosse haben – mein liebes Tagebuch, da sieht man mal wieder, wie mit bauchgesteuerten Begriffen Politik gemacht wird.

Das gehört mit zu den „schönsten“ Seiten des Apothekerberufs: Abgabebestimmungen. Zum Beispiel: Hat der Arzt ein Aut-idem-Kreuz gesetzt, hat es bei Ersatzkassenpatienten keine Auswirkungen, wenn es um einen möglichen Austausch von Original- gegen Importarzneimittel geht. Sprich: Der Apotheker darf austauschen: Original und Import werden als identisches Arzneimittel angesehen und dürfen trotz Aut-idem-Kreuz ausgetauscht werden. Es sei denn, der Arzt vermerkt, dass aus therapeutischen Gründen nicht ausgetauscht werden darf. Steht allerdings ein Patient einer Primärkasse aus Bayern oder NRW vor einem, gilt das alles nicht. Hier haben Rabattarzneimittel den Vorrang, unabhängig davon, ob ein Original- oder ein Importarzneimittel verordnet ist und der Arzt das Kreuz gesetzt hat. Blickt da einer noch durch? Nein, alles Absicht, mein liebes Tagebuch, du musst das so sehen: Kassen lieben das! Denn: Das sind Retaxfallen. Tappt die Apotheke rein, zahlt die Kasse nix. Wie macht doch unser Beruf so Freude!

5. Februar 2015

Das ist dringend: Der Entwurf zum Antikorruptionsgesetz muss nachgebessert werden. Viele Formulierungen sind zu ungenau, zu schwammig. Würden sie so stehen bleiben, wäre der Denunziation Tür und Tor geöffnet und sinnvolle Kooperationen im Gesundheitswesen würden unterbleiben aus Angst, sich strafbar zu machen. Ärzte wünschen sich schon einen exakt formulierten Katalog, was korruptes Verhalten konkret bedeutet. Mein liebes Tagebuch, das wäre nett, aber einen solchen Katalog wird’s vermutlich nicht geben. Ein paar wenige Präzisierungen werden vermutlich das Höchste sein, was man sich erwarten darf. Politiker und Juristen lieben so unbestimmte Rechtsbegriffe, mit denen alles und nichts geht.

6. Februar 2105

Hallo, Bundesregierung, hallo, Gesundheitspolitiker, es gibt sie noch, die Apotheker. Und sie machen einen verdammt guten Job. Noch. Aber wie lange werden sie das noch können? Wenn Sie kaufmännisch arbeiten und Geld verdienen, werden sie schon fast wie Kriminelle behandelt: ein bisschen Rabatt, ein bisschen Skonto – und schon bringt man sie vor Gericht.

Und weiter: Im GKV-VSG ist nichts eingebaut, um dem berechtigten Anliegen der Apotheker nachzukommen, den Honorarsatz jährlich zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Ohne Dynamisierung des Honorars frisst die Geldentwertung alles auf. Nicht einmal eine Anpassung der BtM-Gebühr oder der Rezepturpreise (das wären für die Kassen nur Peanuts, für uns Apothekers aber eine kleine Anerkennung unserer Arbeit) wurde vorgenommen – das grenzt schon an Missachtung.

Auch im Präventionsgesetz kommen die Apotheker nicht vor. Nicht einmal die ABDA-Forderung, die Apotheker dafür zu honorieren, wenn sie z. B. den Impfstatus der Bevölkerung überprüfen, wurde aufgegriffen.

Und auch im eHealth-Gesetz ist nicht vorgesehen, dass die Apotheker für ihre zusätzlichen Leistungen honoriert werden. Ärzten wird sofort mehr zugestanden, wenn sie Medikationspläne erstellen, Apotheker schauen in die Röhre bzw. auf ihren Flachbildschirm und gehen leer aus.

Angesichts solcher Szenarien schwindet die letzte Hoffnung, der Apotheker würde irgendwann mal fürs Medikationsmanagement bezahlt.

Mein liebes Tagebuch, geht es Dir auch so: In allen Grußworten und Sonntagsreden loben die Politiker die UnverzichtbarimQuartierflächendeckendeVersorgungsberatungs-Pipapo-Apotheker und wenn’s an die Vergütung geht: Tut uns Leid, mehr Geld ist für euch nicht drin. Wo soll denn da, verdammtnochmal, die Motivation für neue Dienstleistungen herkommen? Welchen Apotheker wollen eigentlich unsere Politiker? Den Proformakaufmannslogistiker, der Arzneimittel verteilt, brav Listen und Verträge abarbeitet ohne aufzumucken für immer weniger Geld, oder den engagierten Heilberufler, der viel zur Therapiesicherheit, Prävention und Volksgesundheit beitragen kann, aber auch zeitgemäß honoriert wird? Mein liebes Tagebuch, das musste mal raus.


Peter Ditzel


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