Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

11.01.2015, 08:00 Uhr


„Je suis Charlie“ – der feige terroristische Anschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ am 7. Januar 2015 hat uns erschüttert. Es ist auch ein Anschlag auf die Toleranz, auf das Recht von Meinungs- und Pressefreiheit. Mit dem Hinweis „Je suis Charlie“, einer Aktion der deutschen Verlage und Buchhandlungen, drücken wir unser Mitgefühl und unsere Solidarität mit den Opfern und Angehörigen aus. Presse- und Meinungsfreiheit gehören zu den höchsten Gütern unserer Gesellschaft. Mein liebes Tagebuch, wir alle sind Charlie!

5. Januar 2015

Keine Jubelprognose vom Vorsitzenden des Deutschen Apothekerverbands (DAV), Fritz Becker, für das neue Jahr: „Die wirtschaftliche Situation der meisten Apotheken dürfte sich im Jahr 2015 kaum gegenüber dem Vorjahr verbessern.“ Das sieht er wohl realistisch, mein liebes Tagebuch. Und er benennt die Aufgaben, die auf seinen Verband zukommen: Lösungen für das Problem der Nullretaxationen, Überprüfung und Anpassung des Festhonorars, das auch für Rezepturen gelten muss, die Erhöhung der BtM-Gebühr und die Anhebung des Packungszuschlags von 16 auf 20 Cent für die Notdienstpauschale, damit die zugesagten 120 Mio. Euro im Jahr zusammenkommen. Alles richtig und: toi toi toi für diese schwierige Arbeit, die Politiker davon zu überzeugen. Auch Realität: Derzeit hat keiner in der Politik für diese Wünsche und Forderungen der Apotheker auch nur einen Funken Verständnis gezeigt. Prognose: Sieht schlecht aus.

Und vom Steuerbüro aus Hannover kommt die Botschaft: Beim Betriebsergebnis 2015 droht die „rote Null“ – leichtes Umsatzplus, aber verteuerter Wareneinsatz, schlechtere Einkaufskonditionen, steigende Personalkosten. Wie soll man da dem Nachwuchs klar machen, Apotheke macht Freude?

6. Januar 2015

Chinin – ab 1. April wird’s verschreibungspflichtig. Nach gefühlten 100 Jahren weiß man: Die Nebenwirkungen von Chinin sind schwerwiegend, schwere Blutbildveränderungen drohen. Deswegen gibt’s Limptar N nur noch auf Rezept. Vielleicht wusste es Hahnemann schon damals und hat den Chinarindenextrakt in seinen Zubereitungen kräftig verdünnt...

Gehaltsreport 2015: Die besten Gehälter gibt’s mit einem Abschluss in Medizin, Ingenieurswesen, Wirtschaftsinformatik oder Jura (so um die 62.000 Euro). Mit einem abgeschlossenen naturwissenschaftlichen Studium wie Pharmazie oder Biologie landet man auf Platz 7 (rund 58.000 Euro). Sagt jedenfalls der „StepStone Gehaltsreport 2015“. Na ja, mein liebes Tagebuch, was das Pharmazie-Gehalt betrifft: Da haben die Analysten sicher nicht in den Tarifvertrag für Apothekenmitarbeiter geguckt, denn damit erreicht man den Wert für Pharmazeuten nicht. Und schon gar nicht in Sachsen.

7. Januar 2015

„Von langer Hand strategisch vorbereitet“ war – nach eigenen Angaben – der Zusammenschluss der Softwarehäuser Awinta und Asys. Die Auswahl, mit welchem Softwarehaus eine Apotheke zusammenarbeiten möchte, wird dadurch erneut kleiner. Ist wie bei den Großhandlungen: Oligopolisierung. Mein liebes Tagebuch, hoffen wir, dass wir noch lange ein bisschen wählen können.

Der Coup der Woche: bald gibt’s eine Pille danach ohne Rezept, auch in Deutschland. Endlich, nach langem Hickhack. Aber nicht, weil es unser Bundesgesundheitsminister so wollte, sondern weil die Europäische Kommission die Rezeptpflicht für das Notfallkontrazeptivum ellaOne aufgehoben hat. Die machen das, mein liebes Tagebuch, einfach so. Da siehste mal. Und jetzt hüpfen alle aufgeregt im Ministerium und bei der ABDA herum und wissen nicht, wie sie das händeln sollen. Gilt das nun sofort, unverzüglich oder muss alles erst in deutsches Recht umgesetzt werden oder wie oder was? Und wie sieht das überhaupt mit der Beratung in Apotheken aus? Die ABDA geht davon aus, dass erst die Arzneimittelverschreibungsverordnung geändert werden muss, der Hersteller von ellaOne meint, dass das Präparat sofort rezeptfrei verkauft werden darf, und das Ministerium weiß nicht, welche der Auffassungen die richtige ist. Ja, du meine Güte, wie so eine kleine Pille doch einschlagen kann. Dabei hätte man schon mindestens ein Vierteljahr Zeit gehabt, sich über das Procedere im Klaren zu sein. Mein liebes Tagebuch, schon seit Oktober oder früher zeichnete sich in Insiderkreisen sehr deutlich ab, dass die EU-Kommission höchstwahrscheinlich die Pille danach freigibt. Vielleicht hätte man einfach schon mal das Szenario durchspielen können „was wäre wenn“.

Immerhin, der Gesundheitsminister macht klar Schiff und will nach der Freigabe von ellaOne auch die PiDaNa aus der Rezeptpflicht entlassen. So eine Überraschung! Diese Kehrtwende hätte man ihm gar nicht zugetraut, nachdem er noch im letzten April sich so gegen eine Freigabe stemmte. Aber er vertraut auf die apothekerliche Beratung. Das darf er getrost. „Wir Apothekerinnen und Apotheker sind bereit, die Verantwortung zu übernehmen...“ sagt die Kammerpräsidentin von Westfalen-Lippe. Gut so. Mein liebes Tagebuch, mal ehrlich, so viel Neues kommt da nicht auf uns zu. Für eine Apothekerin, einen Apotheker, der bisher schon gut und sachkundig beraten hat, kommt da nicht viel Neues rum. Außerdem gibt’s ausführliche Beratungsinfos von Seiten des Herstellers für die Apotheken.

Was in anderen Ländern wie den Niederlanden und sogar in Österreich schon vor Jahren geräuschlos ablief, musste bei uns durch die politisch-ideologische Mühle. Während die „Morning After Pil“ in den Niederlanden schon seit Jahren sogar im Selbstbedienungsregal von Drogeriemärkten steht, glaubte man hierzulande, die teuflische Welt retten zu müssen und die Pidana nicht in Apothekers Hände geben zu können. Das ist nun vorbei. Und letztlich ist es auch egal, ob sie sofort oder in zwei, drei Monaten ohne Rezept zu haben ist. In ein paar Jahren wird man über den Pille-danach-Streit eh nur noch den Kopf schütteln, ähnlich, wie man heute über das Gezeter bei der Einführung der Antibabypille schmunzelt, als man damals das Aussterben der abendländischen Bevölkerung heraufbeschwor.

8. Januar 2015

Eine breite Ausbildung im Pharmaziestudium – daran wollen vor allem die Hochschullehrer in der Pharmazie festhalten, allen voran der Vorsitzende des Professorenverbands, Bernd Clement. Vermutlich andere Vorstellungen von einem modernen zukunftsgerichteten Pharmaziestudium hat – vor dem Hintergrund des Positionspapiers mit der Maxime „Näher an den Patienten“ – ABDA-Präsident Friedemann Schmidt. Er machte bereits klar: Ein „Weiter so“ darf es nicht geben. Er will, dass die Pharmazeutenausbildung einen stärkeren Bezug zur Apotheke und zur Patientenversorgung hat. Mein liebes Tagebuch, beide Positionen haben ihre Vor- und Nachteile. Es ist Zeit für eine breite Diskussion. Über einen Aspekt dürfte man sich allerdings im Klaren sein: Es muss sich was ändern, wenn die pharmazeutische Ausbildung zukunftsfest sein soll. Die Schwierigkeit dabei: Einerseits möchte man, dass dem Pharmazeuten am Ende seiner Ausbildung die gesamte Bandbreite der pharmazeutischen Tätigkeiten offensteht, von der Apotheke über die Industrie bis hin zur Hochschule. Andererseits ist die heutige Ausbildung für die meisten der Pharmazeuten, die ihren Arbeitsplatz in der Offizinapotheke finden, in der Tat zu weit weg von den Anforderungen, die sie da erwarten, von der Patientenversorgung. Die Frage wird letztlich auch sein, ob man die Universalausbildung, die alle Möglichkeiten offen lässt, beibehalten will oder nicht. Was meinst du, mein liebes Tagebuch: Würde man heute einen idealen Ausbildungsgang für einen Offizinapotheker auf einem leeren Blatt Papier neu entwerfen – würde er so aussehen, wie er heute gestrickt ist? Eher nicht.

9. Januar 2015

Nochmals Pille danach: Die LAK Baden-Württemberg hält die Abgabe der Notfallverhütungsmittel über den Versandhandel für nicht statthaft. Wegen der erforderlichen Beratung. Ja, mein liebes Tagebuch, im Prinzip nett und wünschenswert gedacht von der LAK, aber das Argument steht auf tönernen Füßen. Denn Beratung durch den Apotheker ist doch nicht nur bei diesen OTC-Präparaten erforderlich, sondern auch bei all den anderen OTCs. Dann dürfte es auch keine Triptane und keine Protonenpumpenhemmer über den Versand geben. Außerdem, wie die LAK selbst sagt: So ein Notfallpräparat braucht man sofort, der Versandhandel ist da viel zu langsam. Klar könnte frau auf die Idee kommen, sich das Präparat „auf Vorrat“ einzukaufen – bei einer Versandapo. Aber, mein liebes Tagebuch, das kann sie auch in der Apotheke vor Ort. Vielleicht sollte man erst mal ganz gelassen die Freigabe abwarten...

Der alte Streit, seit es den Apothekerberuf gibt, flammt wieder auf: Wie viel Heilberuf und wie viel Kaufmann steckt in diesem Beruf? Während der Chef der Pharmazieräte, Christian Bauer, die Zukunft der Apotheker in der Pharmazie und nicht im Kaufmännischen sieht, ist der Boss des Kooperationsverbands, Stefan Hartmann, davon überzeugt, dass nur betriebswirtschaftlich erfolgreiche Apotheken in die Qualität des pharmazeutischen Heilberufs investieren können. Und, mein liebes Tagebuch, jetzt halt dich fest: Ich denke, beide haben Recht. Der Apothekerberuf ist seit Anbeginn seiner Existenz bis heute nun mal so angelegt, dass er irgendwie die Ethik und die Monetik auf einen Nenner bringen muss. Das ist die hohe Schule der Apothekerei. Klar, man kann drüber nachdenken, ob das auch weiterhin so sein muss. Eine Alternative in ferner Zukunft wäre: Der Apotheker verdient nicht mehr an der Packung, sondern er bekommt eine Gebührenordnung für pharmazeutische Dienstleistungen. Wenn die Gebühren oder die Punktwerte passen – könnte das zugegebenermaßen eigentlich auch reizvoll sein, oder?

10. Januar 2015

Mein liebes Tagebuch, ein Zusatzeintrag für dich: Aktuell zum Thema Presse- und Meinungsfreiheit, das durch den terroristischen Anschlag auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in dieser Woche eine besondere Aktualität erfahren hat, konnte ich die Ausstellung „Unter Druck! – Medien und Politik“ im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig besuchen.  Die Ausstellung zeigt mit vielen Druck-, Bild-, Ton- und Filmdokumenten, wie das Nachkriegsdeutschland gelernt hat, mit der freien Presse, mit freien Medien, aber auch mit der Meinungsmacht von Journalisten umzugehen. Und man ist erstaunt, wie schwer sich Politiker, mitunter noch heute, mit der Pressefreiheit tun. Nur als Stichworte: Spiegel-Affäre, Springer-Presse, Wallraff bei BILD, Satiremagazin Titanic, Heute Show. Besonders nett zu hören: Das Originaltondokument des Anrufs von Ex-Bundespräsident Wulff beim BILD-Chefredakteur Kai Diekmann. Köstlich! Die Ausstellung läuft noch bis zum 9. August 2015.

Und eine zweite Ausstellung, ebenfalls im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig, passt hervorragend zum pharmazeutischen Thema der Pille danach und wie schwer sich unsere Politik damit getan hat. Die Ausstellung „Schamlos? Sexualmoral im Wandel“ ruft in Erinnerung, wie sich die moralischen Vorstellungen in beiden Teilen Deutschlands nach dem Krieg bis heute geändert haben. Vom traditionellen Rollenbild der Ehefrau am Herd, die vor allem ihrem Mann dienen sollte, über die sexuelle Befreiung und den Aufschrei der Kirche, als die Pille kam, bis hin zu Diskussionen über Homosexualität, Abtreibung, Pornografie und sozialistische Moral – interessant und erschreckend, welch verklemmtes Weltbild bei uns noch vor weniger als 50 Jahren herrschte. Die sehenswerte Ausstellung wird noch bis zum 6. April 2015 gezeigt.


Peter Ditzel


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