Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

17.03.2013, 08:00 Uhr


Tatü tata – uns ist ein Bürokratiemonster geboren: der Deutsche Apothekerverband darf Fondsverwalter spielen und notfalls auch Polizei, um in Apotheken rumzuschnüffeln, das Geld für den Fonds einzutreiben und Einsicht in die Geschäftsunterlagen zu erhalten. Na ja, so schlimm wird’s nicht kommen. Apothekerverbandschef Fritz Becker will nicht die Pickelhaube aufsetzen. Aber, liebes Tagebuch, dass die Verteilung von 120 Mio. Euro für eine Notdienstpauschale sich so gestaltet, wie es jetzt das Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz (ANSG) vorsieht, haben wir uns alle nicht gedacht. Ab 1. Juli soll dann endlich die Pauschale fließen – und was ist mit dem ersten Halbjahr? Die Zusage galt eigentlich ab Januar. Und es gibt weitere Details im ANSG, die so klar nicht sind – trotz (oder wegen) der Monsterbürokratie.

11. März 2013

Es war die Woche des Apothekennotdienstsicherstellungsgesetzes (das Wort ist einfach zu schön). Am Montag hatten sich die Gesundheitspolitiker erstmals mit dem Referentenentwurf dieses ANSG befasst. Und, oh Wunder, eine entscheidende Zahl fehlt im Entwurf: der Cent-Betrag, um den das Apothekenhonorar für die Sicherstellung des Apothekennotdienstes erhöht werden soll. Also, die von Bahr zugesagten 16 Cent. Liebes Tagebuch, bedeutet das nichts Gutes? Werden es weniger als 16 Cent? Oder vielleicht mehr?

Immerhin, auch ausländische Versandapotheken in der EU sollen sich an der Finanzierung der Apothekennotdienstpauschale beteiligen. Das will das Bundesgesundheitsministerium. Und weil man die nicht so kontrollieren kann und deren Rezeptumsätze nicht über Apothekenrechenzentren abgerechnet werden, sollen sich diese Versandapos in den Niederlanden, in Tschechien und in England oder sonst wo in der EU selbst erklären: Sie werden Post vom Deutschen Apothekerverband erhalten: „Lieber europäischer Arzneiversender, bitte teile uns die Anzahl der rezeptpflichtigen Arzneimittelpackungen mit, die du im letzten Quartal nach Deutschland geliefert hast und überweise pro Packung 16 Cent an unseren Fonds zur Sicherstellung des Apothekennachtdienstes.“ Hhmm, liebes Tagebuch, was meinst du? Ob das funktioniert? Vielleicht kommt ein Brief aus Holland zurück: „Lieber DAV, in letzten Quartal sind unsere Rx-Umsätze richtig in den Keller gegangen, wir haben nur noch 14 Packungen abgegeben. Anbei ein Scheck über 2,24 Euro.“ Und wenn der Apothekerverband dann vielleicht misstrauisch wird, muss er nach Holland fahren, die Versandapo besuchen und die „Geschäftsunterlagen einschließlich elektronischer Dateien einsehen und hiervon Abschriften oder Kopien fertigen“, so das ANSG. Reise- und Verwaltungskosten werden aus dem Fonds bezahlt. Klingt super, oder?

Ach ja, im Prinzip bekommt der Deutsche Apothekerverband auch gegenüber den deutschen Apotheken solche polizeiähnliche Gewalt, also Ermittlungs- und Kontrollfunktionen,  eingeräumt, um eventuell ausstehende Forderungen für den ANSG-Fonds einzutreiben. Allerdings werden die kaum nötig sein, da die Apothekenrechenzentren die Gelder automatisch an den Fonds überweisen werden. Die Rechenzentren übermitteln dem Apothekerverband „vollständige Angaben zur Anzahl der im jeweiligen Quartal von den einzelnen Apotheken zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung abgegebenen Packungen verschreibungspflichtiger Fertigarzneimittel“. Das nenne ich vollständige Transparenz, liebes Tagebuch.

Nicht ganz so durchsichtig dürfte dagegen die Ermittlung der Abgaben an Selbstzahler werden, sprich die Rx-Packungsanzahl, die über Privatrezepte verkauft wurde. Auf die Idee, dass man auf eine Selbsterklärung der Apotheken baut, hat man verzichtet. Stattdessen wird mit Durchschnittszahlen und einem Faktor gearbeitet. Um diese Durchschnittszahlen der Rx-Packungen für Selbstzahler zu ermitteln, für die der Cent-Betrag in den Fonds abgeführt werden muss, erhöht der Apothekerverband die von der zentralen Stelle nach § 2 des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel (Zesar) mitgeteilten Angaben um einen Faktor. Dieser Faktor ergibt sich „aus dem Verhältnis der im jeweiligen Quartal insgesamt an Selbstzahler abgegebenen und den von der zentralen Stelle nach § 2 des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel erfassten Packungen verschreibungspflichtiger Fertigarzneimittel zur Anwendung bei Menschen“. Wobei die im jeweiligen Quartal an Selbstzahler abgegebenen Packungen von Rx-Arzneimitteln durch geeignete Markterhebungen ermittelt werden. Alles klar? Das bringt’s, liebes Tagebuch, klingt nach deutscher Gründlichkeit. Aber irgendwie bleibt kein gutes Gefühl zurück. Wie das wohl Apotheken sehen, in denen so gut wie keine Privatrezepte vorgelegt werden?

Und wie viel Kohle gibt’s dann aus dem Fonds? Das weiß noch keiner so genau, zumal die Beträge von Quartal zu Quartal schwanken können, je nachdem wie viel Rx-Packungen abgegeben und wie viel Cent eingezahlt wurden, wie hoch die Verwaltungskosten und sonstige Kosten sind und wie viele Nachtdienste von den Kammern gemeldet wurden. Liebes Tagebuch, ist die deutsche Apothekenwelt nicht schön? Ich liebe sie.

Deutsche Apotheker lieben sie und können nicht mehr ohne sie: ihre Kooperation. 75 Prozent der Apotheken sind Mitglied in einer oder mehrerer Kooperationen. 87 Prozent der Kooperationsmitglieder sind mit ihrer Gruppe zufrieden, stellte das Beratungsunternehmen „Sempora“ in einer aktuellen Umfrage fest. Die Apotheken machen mit bei einer Kooperation wegen finanzieller Vorteile beim Einkauf und Vorteile beim Marketing. Uneins waren die Apotheken allerdings, wie weit die Vereinnahmung durch eine Kooperation gehen darf. Während die einen sich Vorteile von einer starken Kooperationsmarke versprechen, fürchten andere den Verlust der Individualität. Ja, liebes Tagebuch, das ist das Kooperationsdilemma. Und das Ranking: „Linda“ auf Platz 1. Gut bewertet wurde auch die Marke „easyApotheke“ wegen des Bekanntheitsgrades, der „MVDA“ wegen seiner besten Einkaufskonditionen und „Natürlich“ mit der besten Schulung.

12. März 2013

Ärzte und Apotheker scheuen sich, die Substitutions-Regelung durch Ankreuzen des Aut-idem-Kästchens und durch pharmazeutische Bedenken außer Kraft zu setzen aus Sorge vor Regressen und Retaxationen. Diese Nachricht ging in der vorletzten Woche durch die Landschaft. Hintergrund sind anstehende Gespräche zwischen Deutschem Apothekerverband und dem GKV-Spitzenverband darüber, ob nicht bestimmte Arzneimittel von der generellen Substitutionspflicht ausgenommen werden sollten, was den Kassen nicht recht wäre. Dementsprechend kam in der vergangenen Woche die Gegenmeldung eines Krankenkassen-dienstleistungsunternehmens, dem GWQ ServicePlus. Danach gebe es keinen objektiven Grund für pauschale Substitutionsverbote, weil Ärzte und Apotheker bei Rabattverträgen sorgfältig auf die Arzneimittelsicherheit achteten und die vorhandenen Instrumente nutzten. Alles im grünen Bereich, meinen also die Kassen, eine Liste von Ausnahmen sei nicht nötig. Liebes Tagebuch, wir würden gerne die Kassenvertreter verpflichten wollen, die Belieferung von Rabattverträgen in Apotheken hautnah mitzuerleben.

Januar, der erste Monat ohne Praxisgebühr. Patienten haben Arztbesuche von Dezember auf Januar verlegt. Dazu eine kleine Grippewelle – und schon verzeichnete der Apothekenmarkt ein Umsatzplus: nach Wert um sieben Prozent und nach Menge um 12 Prozent. Nachholeffekte von Dezember, wo die Marktentwicklung rückläufig war.

Weniger Geld von den Apotheken an die Krankenkassen: Weil die Apothekenrechenzentren ab Januar, wie angekündigt, nur noch 1,75 Euro Kassenabschlag pro Packung überweisen, erhielten die GKV-Kassen im Januar statt 106 Mio. Euro nur noch 98 Mio. Euro. Na also, geht doch. Und genug ist das immer noch.

Versandhandel und Beratung – das will einfach nicht richtig zusammengehen. Meint die Bundesregierung. Ulrike Flach, Parl. Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, musste eine aktuelle Anfrage der Fraktion „Die Linke“ zu diesem Thema beantworten. Man fühlt richtig mit, wie sich Flach hier verbiegen und krümmen muss, um da raus zu kommen. Also, grundsätzlich muss er beraten, der Versandhandel. Aber nur grundsätzlich. Denn es gibt halt so ein paar Besonderheiten beim Versandhandel und denen muss man Rechnung tragen. Immerhin wollte der Gesetzgeber den Versandhandel. Und daher darf man den wackeren Versand nicht durch „überzogene Anforderungen“ infrage stellen. Nein, nein. Eine solche überzogene Anforderung wäre es wohl, wenn der Versender jeden Besteller telefonisch beraten müsste. Wo kämen wir da hin! Deshalb reicht im Versandhandel wohl im Allgemeinen eine schriftliche Information und Beratung. Und nur für eine eventuell notwendige zusätzliche Beratung müsste der Kunde seine Telefonnummer angeben. Flach: „Tatsächliche Besonderheiten des Versandhandels rechtfertigen diese Unterschiede!“ Au weia, das sind Meisterleistungen der Interpretation von ApBetrO-Vorschriften! Zur Krönung sollte „Die Linke“ jetzt noch nachfragen, wie es sich mit den Unterschieden zwischen Botendienst und dem Versand verhält. Wie erinnerte sich doch ein Leser auf DAZ.online an die „Animal Farm“ von George Orwell: „All animals are equal, but some animals are more equal.“

13. März 2013

Manchmal allerdings gibt es noch Gerechtigkeit. Ein deutsches Gericht hat den niederländischen Versender Doc Morris in Schranken verwiesen: Keine 15 Euro als „Aufwandsentschädigung“ für Kunden, die an einem Arzneimittel-Check teilnehmen. Und weil DocMorris diesen gerichtlichen Beschluss ignorierte, sind jetzt 100.00 Euro Ordnungsgeld fällig. Durchgesetzt hat dies die Apothekerkammer Nordrhein. Sollte DocMorris das Verbot auch in Zukunft nicht beachten, wird’s deutlich teurer. Abgeschlossen ist der Rechtsstreit aber noch nicht. DocMorris kann gegen den Beschluss Rechtsmittel einlegen. Und ein Hauptsacheverfahren steht noch aus.

Die Pille danach, rezeptfrei aus der Apotheke – dafür plädiert auch Fritz Becker, Chef des Deutschen Apothekerverbands. Aber er denkt weiter: Als Quasi-OTC-Präparate würde die Pille danach nicht mehr der Arzneimittelpreisverordnung unterliegen und es könnte Preiskämpfe geben, vielleicht nach dem Motto „Kauf zwei, bezahl eins“ oder so ähnlich. Daher fordert er eine neue Arzneimittel-Kategorie: rezeptfrei mit festem Preis. Ist gut, liebes Tagebuch.

14. März 2013

Weniger gut: der Deutsche Apothekerverband sitzt mit der Allianz Versicherung und der Versandapo Europa Apotheek Venlo in einem Boot. Und das kam so: Die Allianz bietet ihren privatversicherten Kunden die Direktabrechnung von Arzneimittelbestellungen an. Wenn die Allianzversicherten hochpreisige Arzneimittel benötigen, müssen sie nicht in Vorleistung treten, sondern die Apotheke rechnet direkt mit der Allianz ab. Der Deutsche Apothekerverband segnete dieses Serviceangebot der Allianz ab. Aber es gibt Unterschiede: Wenn der Versicherte in eine deutsche Apotheke geht, kann er diesen Service erst ab einem Mindestbetrag für seine Rezepte von 750 Euro in Anspruch nehmen. Und jetzt kommt’s: Bezieht der Allianz-Versicherte seine Rezepte allerdings von der niederländischen Versandapo EAV, dann gibt es keinen Mindestbetrag. Im Werbeflyer heißt es: „Möglich wird dieses Serviceangebot einerseits durch die Kooperation mit dem Deutschen Apothekerverband e.V. (DAV) und andererseits durch unsere Partnerschaft mit der Europa Apotheek Venlo.“ Jetzt warten wir auf eine Erklärung des DAV.

Die Versandapotheke Sanicare-Apotheke, die nach dem Tod ihres Inhabers Johannes Mönter, in die Insolvenz ging, wird voraussichtlich weiter bestehen können. Der Apotheker Dr. Volkmar Schein, Losheim, will als Investor bei Sanicare einsteigen. Mehr als 80 Prozent der Beschäftigten könnten bei dieser Lösung ihre Arbeitsplätze behalten. Mutig? Clever? Oder nur waghalsig? Man wird sehen.

15. März 2013

Die Interpharm, Deutschlands größter Fortbildungskongress für Apothekerinnen und Apotheker, PTA und PKA sowie Pharmaziestudierende, startete in Hamburg. Noch bis zum Sonntag gibt es dort supergute Vorträge, Seminare und Diskussionen.

Heißes Thema auf der Wirtschafts-Interpharm: ja, genau, das Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz. Fritz Becker, Chef des Deutschen Apothekerverbands machte es deutlich: Ein solches Monster wollte man nicht. Das nehmen wir ihm ab, liebes Tagebuch. Auch seine Äußerung, dass er nicht mit Pickelhaube in die Apotheken laufen und Polizei spielen wolle.
Und er sagte, was viele denken: Wenn man die 120 Mio. haben wolle, dann „haben wir keine andere Wahl“.
Von wegen 120 Mio. Für dieses Jahr wird es nur 60 Mio. geben. Denn frühestens kann das Gesetzesmonster wohl zum 1. Juli in Kraft treten. Irgendwie kommt man sich als Apotheker da schon wieder wie über den Tisch gezogen vor.

Was in der Diskussionsrunde auf der Interpharm auch anklang: diese Geschichte mit dem Fonds für das ANSG, der von der Erhöhung des Apothekenhonorars gespeist wird, könnte vielleicht noch viel mehr Charme gewinnen und als Modell dienen für weitere notwendige Anpassungen. Nur mal so ins Unreine gedacht: Wie wär’s, wenn das Apothekenhonorar schon bald um einen weiteren Betrag x erhöht wird, der dann ebenfalls in den Fonds fließt und der Ausgleich ist für die zu niedrigen Rezepturpreise und die BtM-Gebühr. Becker jedenfalls könnte sich vorstellen, dass dieses Modell auf andere Bereich extrapoliert wird. Ob das ordnungspolitisch stimmig ist, sei dahingestellt.

Und der Apotheken-Ökonom Kaapke fand auf der Wirtschafts-Interpharm klare Worte zum Kassenabschlag: In der heutigen Form ist er ein Skandal. „Bei einem Zwangsrabatt von 1,75 Euro verschlägt es mir den Atem“ – sagt der Professor für Handelsmarketing. Er riet den Apothekern zu mehr Selbstbewusstsein. Ja, da hat er wohl recht.

16. März 2013

Zwischenfazit von der Interpharm: „Vergesst den Apotheker – wie ihr ihn kennt“, wie es der Soziologieprofessor Gerhard Schulz in seinem Vortrag anklingen ließ. Mein liebes Tagebuch, recht hat er. Nur immer nur nach hinten schauen, uns den Kopf über Ab-, Auf- und Zuschläge zur zerbrechen, damit kommen wir nicht mehr weiter. Eine Aufbruchstimmung muss um sich greifen, wie sie auf der Interpharm zu spüren war. Zum Beispiel mit der verstärkten Hinwendung des Apothekers an den Patienten. Lasst uns endlich Leitlinien für eine Patienten-orientierte Pharmazie (POP) aufstellen! Die Vorträge auf der Interpharm haben es gezeigt, wie's geht! Ein bisschen Pop-Star steht uns allen gut. Die neue Apothekenbetriebsordnung verlangt’s zudem. Erkennen wir es als historische Chance.

Das sieht auch unser neuer ABDA-Präsident Schmidt so, den wir auf den heißen Stuhl gesetzt und zu allen Baustellen befragt haben. Liebes Tagebuch, er hat sich gut gemacht. Drücken wir ihm die Daumen, dass er was bewegen kann.
Im Hamburger Hotel habe ich ein Goethe-Zitat an der Wand gefunden: „Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.“ Herr Schmidt, bauen Sie!


Peter Ditzel