Prisma

Amorphe Vielfalt

Wasser gibt es nicht nur in fest, flüssig oder gasförmig

Foto: standret/AdobeStock

js | Die Strukturformel von Wasser ist banal. Deutlich außergewöhnlicher hingegen sind seine physikalischen Eigenschaften – uns allen gegenwärtig die Dichteanomalie: Seen gefrieren im Winter von oben zu, Eis hat folglich eine niedrigere Dichte als flüssiges Wasser. Das hängt mit der hexagonalen Anordnung der Sauerstoff- und Wasserstoffmoleküle im Kristallsystem zusammen. Neben dieser natürlichen Form sind aber noch 19 weitere kristalline Phasen bekannt, und auch Formen von amorphem Eis mit niedriger (0,94 g/cm3 bei 77 K) und hoher Dichte (ab 1,13 g/cm3 bei 77 K) wurden bereits entdeckt. Einer Forschergruppe vom University College in London ist es nun gelungen, amorphes Eis mit einer mittleren Dichte (medium-density amorphous ice, MDA) herzustellen. Dazu musste „normales“ Eis auf minus 196 °C gekühlt und gleichzeitig mit Stahlkugeln in einer speziellen Apparatur geschüttelt werden. Die wirkenden Scher- und Druckkräfte führten nach 80 Mahl­zyklen zu einer Fraktion von Eis mittlerer Dichte, deren korrigierter Wert mit 1,06 ± 0,06 g/cm3 bei 77 K in der Nähe von flüssigem Wasser liegt. Eine mögliche Erklärung ist deshalb, dass dieses Wasser mittlerer Dichte der sogenannte gläserne Zustand von flüssigem Wasser sein könnte. Bei dem Wort Glas denken wir an Fenster, Flaschen oder Gefäße. Hierbei handelt es sich um Silikatglas, dessen Schmelze so schnell erstarrt, dass die Silicium- und Sauerstoffmoleküle keine Zeit haben, sich kristallin anzuordnen, und ungeordnet verweilen. Amorphes Eis mittlerer Dichte wäre in diesem Szenario folglich eine Art erstarrte Flüssigkeit bei sehr tiefen Temperaturen. Insgesamt folgern die Forscher, dass sich Wasser bei niedrigen Temperaturen komplexer verhält als bisher angenommen. Auch für Pharmazeuten können die Kenntnisse über Festkörper­eigenschaften interessant sein, da der Zustand von Arzneistoffen ihre biopharmazeutischen Eigenschaften beeinflusst. So ist es beispielsweise möglich, durch die Umwandlung eines kristallinen in einen amorphen Wirkstoff dessen Löslichkeit zu verbessern und damit dessen Bioverfügbarkeit. |

Literatur

Rosu-Finsen A et al. Medium-density amorphous ice. Science 2023, doi: 10.1126/science.abq2105

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