Arzneimittel und Therapie

Das „Aus“ für die Schlafkrankheit?

Durchbruch bei der Therapie der humanen afrikanischen Trypanosomiasis

Die Schlafkrankheit bedroht Millionen von Menschen in Afrika. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft die Erkrankung als „vernachlässigte Krankheit“ ein. Sie verläuft unbehandelt tödlich, und die therapeutischen Möglichkeiten sind sehr limitiert. Nun zeichnet sich mit dem Wirkstoff Acoziborol ein Durchbruch ab: Aktuellen Daten zufolge bewirkt die einmalige Tablettengabe bei mehr als 95% der infizierten Patienten eine Heilung [1].

Bei der humanen afrikanischen Trypanosomiasis (HAT) handelt es sich um eine ernste Erkrankung des Lymph- und Nervensystems, die durch Parasiten der Gattung Trypanosoma verursacht wird. Die Parasiten werden durch den Stich infizierter Tsetse­fliegen übertragen. Die Erkrankung ist in 36 Ländern in Regionen der Subsahara Afrikas endemisch und verläuft ohne Therapie tödlich [2].

Betroffen sind zumeist Menschen in ländlichen Regionen, die oft keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben. Die Dunkelziffer ist entsprechend hoch, gemeldet wurden 1998 rund 40.000 Krankheitsfälle, geschätzt wurde die Zahl der Erkrankten laut Weltgesundheitsorganisation auf etwa 300.000. Es gab und gibt auf internationaler Ebene große Anstrengungen, die humane afrikanische Trypanosomiasis zu eliminieren, was einen signifikanten Rückgang der Neuerkrankungsrate zwischen 2000 und 2012 zur Folge hatte. Damals fiel die Zahl der Neuinfektionen erstmals seit 50 Jahren auf unter 10.000 Fälle pro Jahr, 2020 wurde mit 663 Fällen ein erster Tiefstand erreicht. Das ist zumindest ein Teilerfolg, denn in ihrer 2012 veröffentlichten Roadmap für vernach­lässigte Tropenkrankheiten hatte sich die WHO die Eliminierung der Schlafkrankheit als öffentliches Gesundheitsproblem bis 2020 zum Ziel gesetzt [2]. Dieses Ziel wurde noch nicht erreicht.

Foto: RFBSIP/AdobeStock

Durch den Stich der Tsetsefliege werden die Erreger der Schlafkrankheit übertragen.

Zwei Krankheitsformen

Es werden abhängig vom Parasiten beim Menschen zwei Formen der Erkrankung unterschieden: Trypanosoma brucei gambiense kommt in den Ländern West- und Zentralafrikas vor und ist für rund 95% der Infektionen verantwortlich. Trypanosoma brucei rhodesiense tritt vorwiegend in Ost­afrika auf [2, 3].

Die beiden Krankheitsformen unterscheiden sich in ihrem Verlauf: Die Infektion mit Trypanosoma brucei gambiense verursacht eine chronische Erkrankung, wobei die ersten Symptome in aller Regel erst nach einer langen Inkubationszeit von Wochen bis Monaten auftreten. Bei Infektionen mit Trypanosoma brucei rhodesiense kommt es zu einer eher akuten Krankheit mit einer deutlich kürzeren Inkubationszeit von wenigen Tagen bis Wochen nach dem Stich der infizierten Fliege. Oft zeigt sich zudem eine auffallende Läsion im Bereich der Inokulationsstelle, der sogenannte Trypanosomenschanker [3].

Eine dritte Krankheitsform ist laut WHO die amerikanische Trypanosomiasis, auch als Chagas-Krankheit bekannt. Sie wird durch andere Trypanosoma-Spezies verursacht, durch andere Vektoren übertragen und zeigt andere Krankheitscharakteristika.

Die Trypanosomiasis kann bei wild lebenden sowie domestizierten Tieren auftreten. Auslöser sind die gleichen Erreger wie beim Menschen, sodass Tier und Mensch ein Parasitenreservoir bilden können [1].

Übertragung des Parasiten

In den menschlichen Organismus gelangen die Parasiten durch den Stich der tagaktiven und blutsaugenden Tsetsefliege, die eine Lebensdauer von bis zu fünf Monaten hat. Sie kommt in Feuchtgebieten wie zum Beispiel Flussläufen oder Sümpfen vor, seltener in trockenen Savannenlandschaften. Die Erreger gelangen in die Tsetsefliege durch das Saugen von Blut infizierter Menschen oder Tiere. Ihre Stiche sind schmerzhaft und gehen durch die Kleidung. Pro Stich überträgt das Insekt mehrere tausend Erreger [4].

Weitere Übertragungswege sind durch den Stich einer infizierten Nadel, durch eine Übertragung der Mutter auf das ungeborene Kind und durch eine sexuelle Übertragung beschrieben.

Symptomatik in drei Krankheitsphasen

Bei den Symptomen der Schlafkrankheit sind drei Krankheitsphasen zu unterscheiden [4], die Symptomatik ist je nach Phase unterschiedlich: In der ersten Phase treten unspezifische Symptome wie Fieber, Schwäche, Kopf- und Gliederschmerzen sowie Lymphknotenschwellungen auf. In der zweiten Phase greifen die Erreger vor allem das Nervensystem an, und es kommt zu Schlafstörungen, Krampfanfällen, Erschöpfung, Verwirrung und oft zu einer Persönlichkeitsveränderung. In der dritten Phase erreichen die Parasiten das Gehirn und das Rückenmark, was schwere neurologische Schäden bedingt und eine Umkehr des Schlaf-Wachrhythmus, bis die Patienten schließlich in einen Dämmerzustand ähnlich einem Koma verfallen [4]. Unbehandelt verläuft die Erkrankung in jedem Fall tödlich.

Diagnostik

Zunächst erfolgt die Anamnese, bei der unbedingt nach Aufenthalten in Afrika gefragt werden muss. Die Dia­gnose erfolgt durch den Nachweis der Parasiten aus Blutproben, die an der Einstichstelle und auch aus dem Liquor gewonnen werden. Als Differenzialdiagnosen sind Malaria, Leishmaniose, Typhus und Leptospirose zu berücksichtigen.

Therapie – Heilung mit nur einer Tablette

Die Schlafkrankheit wird medikamentös behandelt. Vor 2009 wurde vor allem Melarsoprol eingesetzt, ein Arsenderivat mit erheblicher Toxizität. Durch die Therapie verstarben ca. 4% der Patienten [1]. Eine weitere Option war Eflornithin, wobei für die Therapie mit diesem Wirkstoff ein 14-tägiger Klinikaufenthalt erforderlich war mit insgesamt 56 Infusionen.

Die 2009 entwickelte Nifurtimox-Eflornithin-Kombinationstherapie (NECT) war die erste neue Behandlungsoption seit 25 Jahren, berichtet DNDI (Drugs for Neglected Diseases Initiative), eine gemeinnützige Organisation, die neue Therapeutika für „vernachlässigte Krankheiten“ entwickelt. Gründungsmitglied ist neben der WHO die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“. Allerdings blieb die Therapie umständlich, die Medikamente waren schwierig zu befördern, zu lagern und zu verabreichen. Auch die Vorsorgemöglichkeiten sind begrenzt, denn eine Impfung existiert nicht. Es besteht damit nur die Möglichkeit der Expositionsprophylaxe.

Trotz der therapeutischen Verbesserungen durch NECT bestand laut DNDI weiterhin die Herausforderung, Behandlungen in sehr abgelegenen Gebieten zugänglich zu machen [1]. Erheblich verbessert haben sich die Therapiemöglichkeiten nach Angaben der Initiative 2018 mit der Zulassung von Fexinidazol, einem Wirkstoff, der von der DNDI entwickelt wurde. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) empfiehlt Fexinidazol als erste rein orale Behandlung. Allerdings besteht das Risiko von Langzeitschädigungen durch die Therapie. Dieses Risiko ist abhängig vom Zeitpunkt der Behandlung. Erfolgt diese bereits frühzeitig, so sind die Chancen auf eine vollständige Genesung gut.

Ein weiterer relevanter Fortschritt deutet sich nun mit dem Wirkstoff Acoziborol an, der offenbar nur einmal als Tablette verabreicht werden muss.

Entwicklung von Acoziborol

Die Geschichte von Acoziborol beginnt mit dem Wirkstoff Oxaborol, einem Antimykotikum, das sich auch als aktiv gegen die humane afrikanische Trypanosomiasis erwiesen hat. Die Wirkstoffoptimierung führte laut DNDI zu Acoziborol, das Ende 2009 als vielversprechender präklinischer Kandidat für die durch Trypanosoma brucei gambiense ausgelöste Schlafkrankheit ausgewählt wurde [1]. Es handelt sich um ein Antiprotozoikum aus der Wirkstoffklasse der Benzoxaborol-Derivate. „Acoziborol ist die erste Substanz aus dem DNDI-eigenen Programm zur Leitstrukturoptimierung, die in die klinische Entwicklung überführt wird“, teilt die Initiative mit. „Dank einer ungewöhnlich langen Halbwertszeit bei Tests an gesunden Probanden kann Acoziborol als Einzeldosis verabreicht werden“.

Die Phase-I-Studien mit Acoziborol wurden 2015 abgeschlossen und im Folgejahr wurde eine zulassungsrelevante Phase-II/III-Studie gestartet. An der multizentrischen prospektiven offenen Studie, deren Ergebnis in „The Lancet“ publiziert wurde [5], nahmen elf Studienzentren in der Demokratischen Republik Kongo und Guinea teil. Dabei wurden 41 Patienten im Frühstadium oder im intermediären Stadium der durch Trypanosoma brucei gambiense ausgelösten Krankheit und 167 Patienten im Spätstadium mit einer einzigen Dosis (drei Tabletten) von 960 mg Acoziborol behandelt. Die Patienten (mittleres Alter 34 Jahre) wurden 18 Monate nachverfolgt. Primärer Endpunkt der Studie war die Heilungsrate nach 18 Monaten bei den Patienten im Spätstadium.

Eine Heilung nach 18 Monaten wurde bei über 95% der Patienten erwirkt. Als häufigste Nebenwirkungen wurden Fieber und eine Asthenie berichtet, wobei die meisten Reaktionen mild bis moderat waren. Es kam allerdings auch zu vier Todesfällen unter der Therapie. Die DNDI-Forscher hoffen nunmehr, dass Acoziborol aufgrund seiner Wirksamkeit und seines Sicherheitsprofils das Potenzial besitzt, die humane afrikanische Trypanosomiasis weltweit zu eradizieren. |
 

Literatur

[1] Neuere, einfachere Behandlungsmethoden für die Schlafkrankheit. Information der Drugs for Neglected Diseases Initiative (DNDI), Stand März 2019, www.dndi.org/wp-content/uploads/2018/10/DNDi_HAT_2018_DE.pdf

[2] Trypanosomiasis, human African (sleeping sickness). Information der World Health Organization (WHO), Stand Januar 2022, www.who.int/en/news-room/fact-sheets/detail/trypanosomiasis-human-african-(sleeping-sickness)

[3] Schlafkrankheit. Information des Privaten Tropeninstituts Dr. Gontard GbR tropeninstitut.de/krankheiten-a-z/schlafkrankheit

[4] Schlafkrankheit. Information der Ärzte ohne Grenzen e. V., www.aerzte-ohne-grenzen.de/unsere-arbeit/krankheiten/schlafkrankheit

[5] Betu Kumeso VK, Kalonji WM, Rembry S et al. Efficacy and safety of acoziborole in patients with human African trypanosomiasis caused by Trypanosoma brucei gambiense: a multicentre, open-label, single-arm, phase 2/3 trial. Lancet 2022,22:1473-3099
 

Medizinjournalistin Christine Vetter

 

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