Kongresse

Wissenschaft, Praxis und Berufspolitik

Auf dem NZW-Hamburg wird AMNOG kritisch gesehen

Der 31. onkologisch-pharmazeutische Fachkongress NZW (ehemals Norddeutscher Zytostatika Workshop), der größte seiner Art im deutschsprachigen Raum, fand vom 14. bis 16. April 2023 als Präsenzveranstaltung in Hamburg statt. Die von rund 450 Teilnehmern besuchte Fachtagung umfasste eine Session der European Society of Oncology Pharmacy, einen PTA-Tag, Haupt- und Kurzvorträge, ein berufspolitisches Forum sowie zahlreiche praxisnahe Workshops sowie Satelliten-Symposien der pharmazeutischen Industrie.

In seiner einleitenden Begrüßung betonte Klaus Meier, Soltau, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie e. V. (DGOP) die nachhaltigen Erfolge der pharmazeutischen Onkologie aufgrund einer multiprofessionellen Zusammenarbeit und einer frühzeitigen Fokussierung auf die pharmazeutische Betreuung. Ein wichtiger Baustein hierfür ist der persönliche Austausch auf Fachkongressen wie dem NZW. Die Bedeutung der interprofessionellen Zusammenarbeit und der Infor­mationsvertiefung wurde auch von Kai-Peter Siemsen, Apothekerkammer Hamburg, hervorgehoben, der auf künftige Herausforderungen hinwies. Darunter fallen unter anderem der Fachkräftemangel, Rückschläge bei der Digitalisierung, finanzielle Engpässe, eine drohende Insolvenzwelle von Krankenhäusern sowie Lieferengpässe. Eine Aktualisierung der Approbationsordnung und eine Verbesserung der Ausbildung wurde von Verena Maute, Berlin, Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland e. V. angemahnt. Ein geändertes Berufsfeld erfordere eine kontinuier­liche Anpassung der Ausbildung, um einem Fachkräftemangel vorzubeugen und Abwanderungen zu verhindern.

Foto: DAZ/pj

Teilnehmer der Podiumsdiskussion Dr. Thomas Mayer, Prof. Dr. Günther Wiedemann, Dr. Sabine Thor-Wiedemann, Dr. Volker Vervölgyi und Dr. Kerstin Boldt (v. l.)

Update zu einigen Tumorarten

Ein Kongressblock skizzierte Standards und Neuerungen zu einigen Tumorarten; zur Sprache kamen maligne Tumore des Magens und Ösophagus, des Hodens und des Endometriums sowie Mesotheliome und kleinzellige Lungenkarzinome. Wie Dr. Claas Wesseler, Hamburg, darlegte, sind letztere extrem schnell wachsende Karzinome mit ungünstiger Prognose und kurzem Langzeitüberleben. Eine gewisse Verbesserung konnte durch eine Hinzunahme einer Immuntherapie zu der klassischen Chemotherapie erzielt werden; das mediane Gesamtüberleben stieg dadurch von acht bis zehn Monate auf rund zwölf bis dreizehn Monate. Erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass es molekulargenetisch unterschiedliche Subtypen des kleinzel­ligen Lungenkarzinoms gibt, was für das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom seit Längerem bekannt ist und therapeutisch mithilfe zielgerichteter Wirkstoffe genutzt werden kann. Beim kleinzelligen Lungenkarzinom wird dies derzeit in Studien untersucht.

„Die onkologische Pharmazie ist nicht der Nabel der Welt, aber ein wichtiger Teil des Behandlungsteams.“

Klaus Meier, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie e. V.

Ein bemerkenswerter Fortschritt konnte bei der Therapie von Mesotheliomen erzielt werden. Diese zeichnen sich durch ihre besondere monokausale Entstehung aufgrund der Inhalation von Asbestfasern aus. Theoretisch reicht bereits eine Asbestfaser aus, um die Tumorgenese in Gang zu setzen. Wird eine Asbestfaser eingeatmet, kann diese nicht durch Immunzellen eliminiert werden. Die Asbestfaser wandert zum Brustfell, wird dort abgelagert und löst einen chronischen Entzündungsprozess aus, der im Lauf von Jahrzehnten zu einem Tumor führt. Dieser ist unter herkömmlichen Behandlungen mit einer sehr schlechten Prognose assoziiert. Der Einsatz einer Immuntherapie (doppelte Immuntherapie mit Nivolumab und Ipilimumab) führte zu einem deutlich verbesserten Gesamtüberleben. – Als Ergänzung zum klinisch-onkologischen Teil stellte Prof. Dr. Hans-Peter Lipp, Tübingen, einige lesenswerte Publi­kationen vor. In einer für die Pädiatrie interessanten Studie konnte gezeigt werden, dass Hörschäden unter Cisplatin durch die Gabe von Natriumthiosulfat verhindert bzw. verringert werden können. Neue Wirkstoffe in der Onkologie wurden von Jürgen Barth, Gießen, vorgestellt. 2022 kamen elf neue Onkologika auf den Markt, davon ein klassisches Zytostatikum, drei Oralia und acht Parenteralia, darunter ein Radionukleotid. Die Indikationen dieser neuen Onkologika sind breit gestreut und umfassen hämatolo­gische und solide Tumoren; die Zu­lassung ist meist auf vorbehandelte Patienten beschränkt.

Foto: DAZ/pj

Zusatznutzen oder nicht?

Bei der diesjährigen Podiumsdiskus­sion wurde die Frage erörtert, ob die frühe Nutzenbewertung durch das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) das Gesundheitssystem vor einer Überlastung und den Tumorpatienten vor einer Übertherapie schützt. Zur Erinnerung: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat die gesetzliche Aufgabe, für alle neu zugelassenen Arznei­mittel mit neuen Wirkstoffen eine (Zusatz-)Nutzenbewertung durchzuführen; diesen Auftrag erhielt der G-BA über das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG). Der G-BA kann mit der Nutzenbewertung das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheits­wesen (IQWiG) beauftragen. Im Lauf der Diskussion wurde klar, dass die Beurteilung durch IQWiG und G-BA nicht immer zum gleichen Ergebnis führt, was unterschiedlichen Vorgehensweisen geschuldet ist. Das IQWiG führt vornehmlich eine methodische Prüfung durch, der G-BA, dem auch Vertreter der ärztlichen Arzneimittelkommission, der GKV-Spitzenverbände und Patientenvertretungen angehören, berücksichtigt auch die klinische Relevanz eines neuen Arzneimittels. Das Ziel des AMNOGs wurde den Diskutanten zufolge nicht erreicht. Prof. Dr. Günther Wiedemann, Ravensburg, zufolge führte es zu Überbehandlungen, Apothekerin Dr. Kerstin Boldt, Berlin, vermisst bei der Kostenregu­lierung die Berücksichtigung der Arzneimitteltherapiesicherheit und möglicher Anwendungsprobleme und Dr. Volker Vervölgyi, Köln, als Vertreter des IQWiG, sieht „noch Luft nach oben“. Dr. Thomas Mayer (GKV-Spitzenverband) verneinte die Frage, ob durch das AMNOG eine Kostenregulierung erfolgte.

„Ohne attraktive Ausbildung wird es keinen ausreichenden Nachwuchs geben.“

Verena Maute, Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland e. V.

Oralia-Session

In den Beiträgen der Oralia-Sitzung wurden zahlreiche praxisorientierte Aspekte erörtert, so etwa Möglichkeiten zum Einschätzen von Interaktionen bei der Therapie mit oralen Zyto­statika. Dr. Annette Freidank, Fulda, nannte als Beispiele Tyrosinkinase-Inhibitoren, die oftmals als Oralia in der Onkologie eingesetzt werden. Für diese Wirkstoffgruppe ist CYP3A4 der wichtigste Metabolisierungsweg; Polymorphismen sind bei CYP3A4 selten. Für ein Interaktionsmanagement schlug Freidank folgenden Weg vor: Zuerst sollte ein Medikationscheck vorgenommen und überprüft werden, ob auch alle verordneten Medikamente tatsächlich erforderlich sind. In der Regel werden hier einige nicht mehr indizierte Wirkstoffe (z. B. PPI) detektiert. Dann erfolgt ein Interaktionscheck, bei dem mindestens zwei Datenbanken zu konsultieren sind. Dem folgt eine Bewertung im Hinblick auf die klinische Relevanz möglicher Interaktionen und es werden Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen. Abschließend ist deren Umsetzung zu dokumentieren.

Weitere Beiträge der Oralia-Sitzung befassten sich mit der leitlinien­gerechten Antiemese und dem Einsatz von Oralia bei der chronisch myeloischen Leukämie (CML). Workshops zur Oralia-Datenbank und zu aktuellen Therapieschemata oraler Krebs­medikamente sowie zur gleichzeitigen Einnahme von Oralia mit Mittel der Komplementärmedizin beschlossen die Oralia-Tagung.

Kommunikation mit Patienten

Onkologische Patienten sind in einer Ausnahme- oder Extremsituation. Dies führt beim Betroffenen zu einer fokussierten Aufmerksamkeit, bildhafter Verarbeitung und einer Tendenz zur Regression. Wie Magister Reinhard Hauser, Ried, aufzeigte, sind beim Gespräch mit Tumorpatienten allgemeine Grundsätze der Kommunikation zu beachten. So etwa, dass der Empfänger die Botschaft mitbestimmt, Rahmenbedingungen und Kontext wirken und dass Inhalts- und Beziehungsaspekte das Gespräch beeinflussen. Für die Kommunikation riet Wagner, aktiv zuzuhören, Missverständnisse zu vermeiden, mehrere Möglichkeiten aufzuzeigen, den Nutzen einer Therapie zu erklären und Risiken mit potenziellem Benefit zu kombinieren. Ebenfalls ist es sinnvoll, mit dem Betroffenen eine kommunikative Beziehung einzugehen und eine Begleitung anzubieten. |

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.