Arzneimittel und Therapie

Streit um Mifepriston in den USA geht weiter

Anwendung der „Abtreibungspille“ wurde beschränkt

Kürzlich sollte im US-Bundesstaat Texas die Zulassung von Mifepriston ausgesetzt werden, das zum medikamentösen Schwangerschafts­abbruch eingesetzt wird. Bevor der Beschluss in Kraft treten konnte, legte die US-Regierung Berufung dagegen ein. Das Ergebnis: Mifepriston bleibt weiter auf dem Markt, die Anwendung wurde aber ein­geschränkt. Dagegen will die US-­Regierung weiter vorgehen und den Zugang zu dem Arzneimittel erhalten. Wie wird Mifepriston in Deutschland eingesetzt?

Die Schlagzeilen zum Streit um das Recht auf Abtreibung in den USA reißen nicht ab. Seit im Juni 2022 das landesweite Recht auf Abtreibung gekippt wurde, können die einzelnen Bundesstaaten Regelungen zu Schwangerschaftsabbrüchen erlassen. So setzte am 7. April 2023 ein kon­servativer Richter im Bundesstaat Texas die Zulassung des Progesteron­rezeptor-Antagonisten Mifepriston per einstweiliger Verfügung aus. In Kraft getreten wäre der Beschluss innerhalb von sieben Tagen – allerdings ging die US-Regierung unter Joe Biden dagegen vor. Mifepriston bleibt nun weiterhin auf dem US-Markt, allerdings gilt ein Versand­verbot, und das Arzneimittel darf nur noch bis zur siebten statt bis zur zehnten Schwangerschaftswoche eingesetzt werden. Auch gegen dieses neue Urteil will die US-Regierung vorgehen – mit einem Eilantrag beim Supreme Court. Wie der Streit letzten Endes ausgeht, ist offen, denn es war eben jenes Gericht, das im vergangenen Jahr das landesweite Recht auf Abtreibung außer Kraft gesetzt hatte [1, 2].

Grund genug, einmal genauer nachzulesen, wie Mifepriston hierzulande eingesetzt wird.

Foto: Andrey Popov/AdobeStock

Sequenzielle Einnahme

In Deutschland ist unter streng regulierten, bestimmten Bedingungen ein Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Strafgesetzbuch straffrei.

Mifepriston (Mifegyne®, früher RU-486) kann für einen medikamentösen Abbruch einer frühen intrauterinen Schwangerschaft bis zum 63. Tag der Amenorrhö eingesetzt werden sowie zum Abbruch einer Schwangerschaft aus medizinischen Gründen nach dem ersten Trimester. Dazu wird in einer sequenziellen Therapie nachfolgend ein Prostaglandin-Analogon gegeben. Weiterhin kommt Mifepriston auch vor einem chirurgischen Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimester zur Erweichung und Erweiterung der Cervix uteri zum Einsatz oder um Wehen einzuleiten bei Tod des Fetus in utero, wenn keine Prostaglandine oder Oxytocin gegeben werden können.

Im Rahmen eines medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs muss die Einnahme von Mifepriston im Beisein eines Arztes oder ermächtigten medizinischen Fachpersonals eingenommen werden. Zudem darf der Abbruch nur in Kliniken oder Behandlungszentren durchgeführt werden, in denen auch chirurgische Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden und eine notfallmedizinische Einrichtung verfügbar ist.

Mifepriston ist ein partieller Progesteronrezeptor-Antagonist. Beim Menschen genügt eine Dosis ab 1 mg/kg, um die Wirkung von Progesteron auf das Endometrium und Myometrium aufzuheben [3]. Das bedeutet, dass der Embryo, der sich in der Gebärmutter eingenistet hat, von der Versorgung abgeschnitten wird. Mifepriston hat eine Eliminationshalbwertszeit von etwa 18 Stunden, wobei die Eliminierung nach einer Verteilungsphase zunächst langsam erfolgt und im Verlauf schneller wird.

Der Progesteronrezeptor-Antagonist sensibilisiert die Gebärmutter für die Wirkung von Prostaglandinen. Im Rahmen eines medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs folgt 36 bis 48 Stunden nach der Mifepriston-Gabe die Einnahme eines Prostaglandin-Analogons (in der Regel zu Hause). Folgende Schemata sind beim Abbruch einer frühen Schwangerschaft möglich:

  • 600 mg Mifepriston oral gefolgt von 400 µg Misoprostol oral oder 1 mg Gemeprost per vaginam
  • alternativ: 200 mg Mifepriston oral gefolgt von 1 mg Gemeprost per vaginam,

wobei Misoprostol (MisoOne®) nur bis zum 49. Tag der Amenorrhö zugelassen ist. Gemeprost (kein Fertigarzneimittel mehr in Deutschland erhältlich) kann auch noch bis zum 63. Tag der Amenorrhö eingesetzt werden. Nimmt die Patientin gleichzeitig CYP­3A4-Induktoren ein, muss die höhere Dosierung (600 mg) von Mifepriston gewählt werden.

In der deutschen Leitlinie „Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimenon“ finden sich teilweise von der Fachinformation abweichende Dosierungsempfehlungen und Anwendungshinweise (s. Kasten „Empfehlungen der ersten deutschen Leitlinie“).

Empfehlungen der ersten deutschen Leitlinie

Im Januar 2023 wurde die erste deutsche S2k-Leitlinie zum „Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimenon“ veröffentlicht. Darin wird empfohlen, einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch bis zur Schwangerschaftswoche (SSW) 9+0 mit 200 mg Mifepriston und 24 bis 48 Stunden später 800 µg Misoprostol buccal, sublingual oder vaginal durchzuführen. Alternativ können auch 600 mg Mifepriston und 24 bis 48 Stunden später 400 µg Misoprostol buccal, sublingual oder vaginal bis zur SSW 7+0 bzw. 800 µg Misoprostol in SSW 7+1 bis 9+0 vaginal gegeben werden. In der Leitlinie wird die vaginale Anwendung von Misoprostol wirksamer als die orale und nebenwirkungsärmer als die sublinguale oder bukkale Gabe beschrieben. Zudem wird erwähnt, dass eine zweite Dosis 400 µg Misoprostol gegeben werden kann, wenn nach drei Stunden nach der Miso­prostol-Einnahme noch keine Blutung aufgetreten ist. Die Anwendung von Mifepriston mit Misoprostol gilt ab 7+1 SSW als off label.

Meist rasch einsetzende Blutung

Wird das zugelassene Schema von 600 mg Mifepriston und 400 µg Misoprostol angewendet, wird in mehr als der Hälfte der Fälle (60%) der verstorbene Embryo innerhalb von vier Stunden nach Einnahme des Prostaglandin-Analogons ausgestoßen. Bei dem Rest der Fälle geschieht dies innerhalb von 24 bis 72 Stunden nach oder selten (bei etwa 3% der Fälle) bereits vor der Anwendung von Misoprostol. Tritt innerhalb von 30 Minuten nach der Einnahme von Misoprostol Erbrechen auf, ist möglicherweise eine erneute Einnahme nötig. Darüber entscheidet der Arzt. Misoprostol hat eine kontraktionsfördernde Wirkung und relaxiert zudem die Cervix uteri. Die Blutung kann sehr rasch nach der Einnahme beginnen. Zusammengefasst löst die sequenzielle Gabe von Mifepriston und Misoprostol eine Blutung, Kontraktionen und schließlich die Aus­treibung des Embryos aus. Bis zum 49. Tag der Amenorrhö führt diese Methode in 95% der Fälle zu dem gewünschten Schwangerschaftsabbruch.

Theoretisch können nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR) die Wirkung der sequenziellen Therapie reduzieren. Laut Fachinformation gibt es aber auch begrenzte Hinweise dazu, dass die Einnahme von NSAR am Tag der Prostaglandin-­Gabe die klinische Wirksamkeit nicht beeinträchtigt [3]. Dies deckt sich mit der Empfehlung der aktuellen deutschen Leitlinie, unmittelbar nach der Einnahme von Misoprostol ein NSAR wie Ibuprofen und ein Antiemetikum einzusetzen [4].

Antazida können die Bioverfügbarkeit von Misoprostol reduzieren, Magnesium-haltige Antazida zudem eine auftretende Diarrhö verstärken.

Als Nebenwirkungen der Methode werden in der Fachinformation als sehr häufig Übelkeit, Erbrechen und Durchfall aufgeführt. Zudem treten sehr häufig Uteruskontraktionen und -krämpfe auf, eine starke Blutung ist üblich. Doch was gilt als zu stark und sollte abgeklärt werden? Frauen sollten ihren Arzt aufsuchen, wenn sie innerhalb von zwei Stunden mehr als zwei Damenbinden pro Stunde benötigen [6]. Immerhin ist in bis zu 1,4% der Fälle die Blutung so stark, dass eine hämostatische Kürettage erforderlich wird.

Durchschnittlich dauert die Blutung etwa zwölf Tage oder länger nach der Einnahme von Mifepriston an. In der Schweizer Arzneimittelinformation wird eine durchschnittliche Blutungsdauer von neun bis 16 Tagen angegeben mit dem Hinweis, dass auch längere Schmierblutungen möglich sind [7]. In jedem Fall gilt: Hält die Blutung länger als zwölf Tage an, sollte sicherheitshalber ein Arzt aufgesucht werden. Denn die Blutung alleine erlaubt keine Aussage über den Ausgang der Prozedur – und eine verlängerte Blutung könnte auf Restgewebe hinweisen. Eine Kontrolluntersuchung ist generell nach 14 bis 21 Tagen nach der Einnahme von Mifepriston unabdingbar, um die vollständige Ausstoßung zu bestätigen. Bis dahin sollten Frauen auf Reisen verzichten. Sie können zudem sofort wieder schwanger werden.

Patientinnen sollten unbedingt ihren Arzt oder eine Klinik aufsuchen, wenn sie länger als 24 Stunden Fieber haben oder Schmerzen auftreten, die nicht auf Schmerzmittel ansprechen. Üblicherweise erhalten Frauen von ihrem behandelnden Arzt eine Kontaktmöglichkeit und Anweisungen, wie sie sich in solchen Fällen verhalten sollen. |

Literatur

[1] Borsch J. Streit um Recht auf Abtreibung –Mifepriston: US-Richter setzen Zulassung aus, Regierung interveniert. Nachricht DAZ.online, 11. April 2023

[2] Borsch J. Im Berufungsverfahren: Mifepriston in den USA weiter erlaubt, aber mit Einschränkungen. Nachricht DAZ.online, 14. April 2023

[3] Fachinformation Mifegyne® 200 mg Tabletten, Stand: Dezember 2022

[4] Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimenon. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe unter Beteiligung weiterer Fachgesellschaften, AWMF-Registernummer 015-094, Stand: Dezember 2022

[5] Fachinformation MisoOne®, Stand: Oktober 2020

[6] MisoOne® Broschüre. Schulungsmaterial des BfArM, Stand August 2022, www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinformationen/EducationMaterial/Anlagen/misoprostol-misoone-aerzte.pdf?__blob=publicationFile

[7] MisoOne® Arzneimittelinformation. Fachinformation der Nordic Pharma GmbH, Zürich, Stand: Dezember 2020

Apothekerin Anna Carolin Antropov

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