Arzneimittel und Therapie

Antikoagulation bei COVID-19: Meist reicht eine prophylaktische Dosierung

Dennoch profitieren bestimmte Patienten von einer Vollantikoagulation

Die Relevanz der Antikoagulation von COVID-19-Patienten ist im stationären Bereich seit Pandemie­beginn bekannt. Doch welche Dosierung ist dabei sinnvoll? Therapeutische Dosierungen von Enoxaparin und Apixaban wurden kürzlich im Rahmen einer randomisierten Studie mit einer prophylaktischen Dosierung von Enoxaparin bei hospitalisierten, nicht intensivpflichtigen COVID-19-Patienten verglichen. Wer sollte eine Vollantikoagulation erhalten?

Bei einer COVID-19-Erkrankung kann es zu In-situ-Thrombosen in großen und kleinen Blutgefäßen und letztlich zu systemischen Thromboembolien, inklusive Lungenembolien, kommen. Daher sollen nach der S3-Leitlinie „Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19“ hospitalisierte Patienten standardmäßig eine Thromboseprophylaxe mit einem niedermolekularen Heparin erhalten, wenn keine Kontraindikation besteht [2].

Einige nicht randomisierte Studien deuteten darauf hin, dass eine therapeutische Antikoagulation die Sterblichkeit bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19 weiter senken könnte. Nachfolgende randomisierte Studien erbrachten jedoch widersprüchliche Ergebnisse. Daher wurde in den USA, Lateinamerika, Südostasien und Europa eine offene randomisierte Studie mit nicht intensivpflichtigen, hospitalisierten COVID-19-Patienten durchgeführt, um die Sicherheit und Wirksamkeit von therapeutisch dosiertem nieder­molekularem Heparin zu untersuchen.

Foto: Ralf Geithe/AdobeStock

Subkutanes Enoxaparin wurde in der Studie in therapeutischer und prophylaktischer Dosierung gegen orales Apixaban in therapeutischer Dosierung getestet.

Drei Behandlungsschemata

Zwischen August 2020 und September 2022 wurden 3398 Patienten mit Symptomen in die Studie eingeschlossen, die innerhalb von 48 Stunden nach Diagnose einer COVID-19-Erkrankung stationär aufgenommen worden waren. Ausgeschlossen wurden u. a. Patienten, die eine intensivmedizinische Behandlung benötigten. Die Probanden wurden in drei Gruppen eingeteilt, wobei die Dosierungen alters- und komorbiditätskonform angepasst wurden:

  • prophylaktische Dosierung Enoxa­parin (40 mg s.c. einmal täglich), n = 1141
  • therapeutische Dosierung Enoxa­parin (1 mg/kg s.c. alle zwölf Stunden), n = 1136
  • therapeutische Dosierung Apixaban (5 mg p.o. zweimal täglich), n = 1121

Primäre Ereignisrate nicht signifikant reduziert

Der primäre Endpunkt wurde als 30-Tage-Kompositum aus Gesamt­mortalität, Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung, systemischen Thromboembolien und ischämischen Schlaganfällen definiert. Da die Ergebnisse in beiden therapeutisch dosierten Gruppen ähnlich waren, wurden sie als eine Gruppe betrachtet. Der primäre 30-Tage-Endpunkt trat bei 13,2% der Patienten in der Gruppe mit prophylaktischer Enoxaparin-Dosierung und bei 11,3% der Patienten in der kombinierten Gruppe mit therapeutischer Dosierung auf (Hazard Ratio [HR] = 0,85; 95%-Konfidenzintervall [KI] = 0,69 bis 1,04; p = 0,11). Der primäre Endpunkt wurde somit unter therapeutischer Antikoagulation nicht signifikant reduziert. Betrachtete man jedoch die Gesamtmortalität innerhalb von 30 Tagen mit 4,9% in der kombinierten Gruppe mit therapeutischer Dosierung gegenüber 7,0% in der Enoxaparin-Gruppe mit prophylaktischer Dosierung (HR = 0,70; 95%-KI = 0,52 bis 0,93; p = 0,01), zeichnete sich ein signifikanter Vorteil der therapeutischen Dosierung ab. Auch der Anteil an erforderlichen Intubationen war mit 6,4% gegenüber 8,4% unter therapeutischen Dosierungen signifikant geringer (HR = 0,75; 95%-KI = 0,58 bis 0,98; p = 0,03). Schwere Blutungen wurden in allen Gruppen selten beobachtet: Sie traten zu 0,1% unter prophylaktischer Dosierung und zu 0,4% unter therapeutischer Dosierung auf.

Unterschiede nach Land und Risikofaktoren

Die Ereignisraten variierten erheblich je nach Land und anderen Ausgangsrisikofaktoren. So trat der kombinierte primäre Endpunkt in Indien (n = 1362)lediglich bei 0,7% der Patienten auf, die eine prophylaktische Enoxaparin-Dosierung erhielten und bei 21,5% der Patienten aus anderen Ländern (n = 2036), die dieselbe Therapie erhalten hatten. Die Probanden in Indien waren jünger, weniger komorbide und litten seltener an einem akuten Atemnotsyndrom (ARDS) als Probanden anderer Studienstandorte.

Zudem wurde festgestellt, dass die 30-Tages-Rate des primären Endpunkts bei älteren Patienten (Alter > 53 Jahre) höher lag als bei jüngeren und dass somit ältere Patienten vermutlich einen Nutzen von einer Antikoagulation in therapeutischer Dosierung haben. Die 30-Tages-Mortalität war bei Patienten mit radiologisch bestätigter ARDS unter der therapeutischen Dosierung deutlich verringert (12,3% vs. 7,9%, HR = 0,63; 95%-KI = 0,45 bis 0,89), sodass auch diese Patienten besonders von einer Vollantikoagulation profitieren.

Fazit

Die Effekte von therapeutisch dosiertem Enoxaparin und Apixaban waren ähnlich. Bei nicht kritisch kranken hospitalisierten COVID-19-Patienten war der primäre kombinierte Endpunkt durch eine therapeutische Antikoagulation im Vergleich zu einer prophylaktischen Dosierung nicht signifikant reduziert. Allerdings mussten weniger Patienten intubiert werden oder starben. Wie die Studien­autoren berichten, benötigten 83,4% der Probanden, bei denen ein Ereignis des primären Endpunkts eintraf, eine intensivmedizinische Behandlung. Der Einfluss der Studienmedikation auf die Mortalität könnte in der primären Analyse verschleiert worden sein, da die meisten Todesfälle erst nach Verlegung auf eine Intensivstation auftreten.

In der Studie wurde gezeigt, dass insbesondere Patienten mit höherem Lebensalter oder radiologisch gesicherter ARDS von einer Antikoagulation in therapeutischer Dosierung profitieren könnten. Ob man Patienten, für die eine Vollantikoagulation ebenfalls nützlich wäre, anhand von zusätzlichen Parametern, wie D-Dimer-Werten oder zusätzlichem Sauerstoffbedarf, identifizieren kann, müssen weitere Studien zeigen. |

Literatur

[1] Stone GW et al. Anticoagulation Strategies in Non-Critically Ill Patients Hospitalized with COVID-19: A Randomized Clinical Trial. J Am Coll Cardiol 2023;S0735-1097(23)04527-8, doi: 10.1016/j.jacc.2023.02.041

[2] Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19. S3-Leitlinie unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, AWMF-Registernummer: 113/001, Stand: 12. September 2022

[3] Sharma S et al. COVID-19 Induced Coagulopathy (CIC): Thrombotic Manifestations of Viral Infection. TH Open 2022;6(1):e70-e79, doi: 10.1055/s-0042-1744185

Apothekerin Anna-Lena Gehl

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