Aus den Ländern

Fit für die Beratung von Patienten mit neurologischen Erkrankungen

Bericht vom 51. Schwarzwälder Frühjahrs-Hybrid-Kongress

VILLINGEN (gg) | Multiple Sklerose, Epilepsie, Restless-Legs-Syndrom und Parkinson – Patienten mit neurologischen Erkrankungen erhalten oft komplexe Arzneimitteltherapien. Damit die Beratung dieser Patienten souverän gelingt, konnten baden-württembergische Apothekerinnen und Apotheker am 25. und 26. März 2023 ihre Kenntnisse zu diesen Erkrankungen auffrischen und einige Beratungstipps mitnehmen.

Endlich wieder in Präsenz! Nachdem die Fortbildungsveranstaltung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg in den vergangenen drei Jahren pandemiebedingt online stattfand, kehrte der Schwarzwälder Frühjahrskongress 2023 als Hybrid-Veranstaltung in die Neue Tonhalle nach Villingen zurück. Das Format wurde gut angenommen: Für die Präsenztagung hatten sich knapp 200 Teilnehmende angemeldet, für die digitale Teilnahme sogar über 700 Interessierte.

Foto: DAZ/Gesa Gnegel

Referierende und Leitung der Hybridveranstaltung Dr. Dominik Bauer, Prof. Dr. Sebastian Rauer, Dr. Carolin Schuhmacher, Dr. Martin Braun, Almuth Buchgeister-Volk, Dr. Friederike Wilbert, Prof. Dr. Martin Hug (v. l.)

Bei multipler Sklerose an den Vitamin-D-Spiegel denken

War vor 30 Jahren die multiple Sklerose noch ein „schweres Schicksal“ gewesen, stehen heute bei der chronisch-demyelinisierenden Erkrankung des zentralen Nervensystems verschiedene immunmodulatorische Therapie­optionen zur Verfügung, erklärte Prof. Dr. Sebastian Rauer, leitender Oberarzt der neurologischen Universitätsklinik Freiburg, in seinem Auftakt­vortrag. Bei der Wahl des passenden Therapeutikums sei auch die Familienplanung entscheidend, denn Frauen zwischen 20 und 40 Jahren erhielten die Diagnose MS besonders häufig. Da neben einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus und dem Rauchen auch der Vitamin-D-Mangel ein Risikofaktor für eine multiple Sklerose ist, empfiehlt Rauer allen Betroffenen die regelmäßige Supplementierung des Vit­amins. Auch der Einfluss des Lebensstils sei nicht zu unterschätzen: Ungünstig sind ein hoher Salzkonsum, rotes Fleisch und ungesättigte mittel- und langkettige sowie trans-Fettsäuren.

Epilepsie ist nicht gleich Epilepsie

Das wurde im Vortrag von Dr. Friederike Wilbert, Fachärztin im Kinder­epilepsiezentrum der Universitäts­klinik Freiburg, deutlich. Als Auslöser kommen strukturelle, infektiöse, metabolische, immunvermittelte sowie nicht bestimmte Ursachen infrage. Bei einigen Epilepsieformen lägen auch Genmutationen zugrunde. So beim GLUT1-Defizit-Syndrom, bei welchem ein Glucose-Transporter der Blut-Hirn-Schranke defekt ist, oder beim Dravet-Syndrom, bei dem ein spannungsabhängiger Natriumionen-Kanal seine Funktion verliert. Dies erklärt auch die Heterogenität der Therapieansätze: Mehr als 20 verschiedene Wirkstoffe sind in Deutschland verfügbar, dennoch könne bei einem Drittel der Betroffenen keine Anfallsfreiheit erreicht werden. Wurde mit einer Medikation jedoch die Anfallsfreiheit erreicht, sollte der Wechsel auf ein (anderes) Generikum vermieden werden.

Foto: DAZ/Gesa Gnegel

Gute Laune auf dem Kongress vor Ort Prof. Dr. Dr. h.c. Holger Stark, Sabine Asgodom, Almuth Buchgeister-Volk, Dr. Isabel Waltering, PharmD., Dr. Carolin Schuhmacher, Prof. Dr. Martin Hug (v. l.)

Cannabis bei multipler Sklerose und Epilepsie

Apothekeninhaber Dr. Dominik Bauer griff die beiden zuvor besprochenen Krankheitsbilder erneut auf, beleuchtete für diese den Einsatz von Medizinalcannabis und gab den Zuhörenden nützliche Tipps für den Beratungsalltag an die Hand. Für die erste Einnahme von Cannabis empfiehlt Bauer, diese in einem sicheren Umfeld, abends, an einem Wochenende durchzuführen. Patienten sollten sich Dosis, beobachtete Wirkungen und Nebenwirkungen notieren, damit die optimale Dosis ermittelt werden kann. Auch mit Missverständnissen sollte aufgeräumt werden, so etwa mit der Fehlannahme, für eine Wirkung sei ein Rausch er­forderlich. Auch auf einen Misserfolg sollten Patienten vorbereitet sein, denn Cannabis helfe nicht jedem.

Wenn die Beine nicht zur Ruhe kommen

Der zweite Fortbildungstag begann mit einem Vortrag von Prof. Dr. Dr. h.c. Holger Stark, Universität Düsseldorf, zu der „häufigsten Erkrankung, die keiner kennt“, dem Restles-Legs-Syndrom. Glücklicherweise sei ein Großteil der Betroffenen nicht medikamentös behandlungsbedürftig. Schränkten Symptome wie Be­wegungsdrang oder Schmerzen jedoch die Lebensqualität zu stark ein, stehen verschiedene Therapieoptionen zur Auswahl. In einigen Fällen sei das Syndrom durch einen Eisen-Mangel verursacht, hier hilft die Eisen-Supplementierung. In anderen Fällen können Levodopa und Dopamin-Agonisten helfen, jedoch „in viel kleineren Dosen als beim Parkinson“. Diese können auch intermittierend, also nur bei Bedarf, eingesetzt werden. Apothekenteams können Betroffenen zudem raten, auf Alkohol und Nicotin zu verzichten sowie aktive Entspannungsformen, beispielsweise Yoga, zu probieren, da die Beschwerden in Ruhe verstärkt auftreten.

Foto: DAZ/Gesa Gnegel

Volle Reihen Knapp 200 Interessierte waren vor Ort in der Neuen Tonhalle in Villingen.

Praxistipps für Patienten mit Parkinson

Levodopa und Dopamin-Agonisten waren auch ein Thema im anschließenden Vortrag zur Beratung von Parkinson Patienten von Dr. Isabel Waltering, Universität Münster,– sind diese doch für viele Betroffene Mittel der Wahl. Damit die im Krankheitsverlauf zunehmend komplexe Arzneimitteltherapie gelingt, hatte Waltering eine Vielzahl praxisnaher Beratungstipps parat. Wussten Sie, dass Flecken durch von Carbidopa verfärbten Urin oder Schweiß sofort ausgewaschen werden sollten, da sie nach dem Antrocknen kaum noch zu entfernen sind? Oder haben Sie schon einmal daran gedacht, Patienten, die über nächtliche Unbeweglichkeit klagen, zu Satin-Schlaf­anzügen zu raten, da diese auf der Bettwäsche besser gleiten? Falls nicht, sind Sie nun ebenso wie Walterings Publikum um zwei Beratungstipps reicher.

Aus Moll mach Dur

Abgerundet wurde der Kongress durch einen mit unterhaltsamen Anekdoten gespickten Vortrag von Autorin, Rednerin und Coach Sabine Asgodom über die positive Psychologie, die Lehre davon, was Menschen fröhlich, glücklich und gesund macht. Zeit, die „Moll-Stimmung“ aus den Apotheken zu vertreiben, findet Asgodom. Haben positive Gefühle wie Stolz, Freude, Genuss und Dankbarkeit Platz am Arbeitsort, fühlten sich nicht nur die Kunden wohler, auch die Mitarbeitenden arbeiteten entspannter. Und dies lohnt sich, so Asgodom, denn Unternehmen mit zufriedenen Mitarbeitenden sind die erfolgreicheren. |

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