Arzneimittel und Therapie

Wie Migräne und Menstruation ­zusammenhängen

Estrogen verursacht Anstieg des Calcitonin Gene-Related Peptide

gg | Als wären die üblichen Menstruationsbeschwerden nicht schon genug, werden Migränepatientinnen kurz vor oder während der Regelblutung auch vermehrt von Migräneattacken heimgesucht. Ein Team der Berliner Charité hat eine Erklärung für das gehäufte gemeinsame Auftreten gefunden [1].

Frauen haben dreimal so oft mit Migräne zu kämpfen wie Männer [2]. Besonders häufig treten Kopfschmerz­attacken dabei kurz vor oder während der Menstruation auf. Nach den Wechseljahren hingegen sinkt die Migräneprävalenz bei Frauen, und auch während der Schwangerschaft beobachten viele Frauen eine Veränderung im Auftreten ihrer Migräne.

Diese Beobachtungen legen die Vermutung nahe, dass neben Neurotransmittern wie Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) auch Sexualhormone in der noch nicht vollständig aufgeklärten Pathophysiologie der Migräne eine Rolle spielen.

„Aus dem Tiermodell haben wir Hinweise, dass Schwankungen von weib­lichen Hormonen – insbesondere von Estrogen – zu einer verstärkten Freisetzung des Entzündungsbotenstoffs CGRP im Gehirn führen“, erläutert Dr. Bianca Raffaelli, vom Kopfschmerzzentrum der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Charité Campus Mitte in einer Pressemitteilung [3]. Ob dieser Zusammenhang auch im Menschen besteht, prüften Raffaelli und ihre Kollegen in einer nun veröffentlichten Kohortenstudie. Hierfür untersuchten die Berliner Forscher insgesamt 90 Frauen mit und 90 Frauen ohne Migräne. Jeweils ein Drittel von ihnen wies einen regelmäßigen Menstruationszyklus auf, nahm orale Kontrazeptiva ein oder befand sich bereits in der Postmenopause. Bei allen Teilnehmerinnen wurden die CGRP-Spiegel in Blutplasma und Tränenflüssigkeit bestimmt, wobei sich die Zeitpunkte der Probennahme je nach Gruppe unterschieden, um die verschiedenen Hormonzustände abzubilden.

Intranasaler CGRP-­Antagonist in Phase III

dab | Kürzlich wurden Ergebnisse einer Phase-III-Studie mit dem CGRP-Antagonisten Zavegepant veröffentlicht, der intranasal appliziert wurde. In die Wirksamkeitsanalyse flossen Daten von 623 Probanden, die Zavegepant erhielten, und von 702 Probanden mit Placebo ein. Zwei Stunden nach der Applikation wiesen signifikant mehr Patienten der Verumgruppe Schmerzfreiheit auf als in der Placebogruppe (24% vs. 15%; p < 0,0001). 40% der Teilnehmer in der Zavegepant-Gruppe erlebten Freiheit von den Symptomen, die sie am meisten belasteten, in der Placebogruppe waren es nur 31%. Als häufigste Neben­wirkung trat Dysgeusie auf, und zwar bei 21% in der Verumgruppe versus 5% in der Placebogruppe.

In den USA hat der Hersteller Pfizer die Zulassung bereits beantragt [4, 5].

Höhere CGRP-Werte während der Menstruation

Tatsächlich fanden die Forscher bei den Frauen mit Migräne und einem regelmäßigen Zyklus während der Menstruation signifikant höhere CGRP-Spiegel sowohl im Blutplasma als auch in der Tränenflüssigkeit als bei der altersangepassten, migränefreien Kontrollgruppe mit regelmäßigem Zyklus. Weiterhin hatten Migränepatientinnen mit regelmäßigem Zyklus während der Menstruation höhere CGRP-Tränenflüssigkeitsspiegel als Migränepatientinnen unter oraler Kontrazeption im hormonfreien Intervall. Innerhalb der Gruppen, die orale Kontrazeptiva verwendeten oder bereits in der Postmenopause waren, gab es keinerlei Unterschiede in der CGRP-Konzentration zwischen der Migräne- und der Kontrolluntergruppe.

Mit diesen Ergebnissen konnten die Wissenschaftler erstmals einen Zusammenhang zwischen den Sexualhormonen und der CGRP-Freisetzung in der Migräneentstehung beim Menschen zeigen. Entscheidend sei hierbei jedoch weniger die absolute Hormonkonzentration, sondern vielmehr die Schwankung der Hormonspiegel. Insbesondere der Abfall des Estrogen-Spiegels kurz vor der Menstruation ist mit einem erhöhten CGRP-Spiegel assoziiert.

Diese Ergebnisse helfen nicht nur bei dem grundlegenden Verständnis der Pathophysiologie der Migräne, sondern könnten auch für Behandlungsversuche mit Vertretern der neuen Arzneimittelklasse der CGRP-Inhibi­toren von Relevanz sein. „Auf Basis unserer Studie stellt sich nun die Frage: Haben CGRP-Inhibitoren bei verschiedenen hormonellen Zuständen eine unterschiedliche Wirkung? Wäre es also zum Beispiel sinnvoll, diese Medikamente zyklusabhängig zu verabreichen? Das müssen jetzt weitere Studien zeigen“, sagt Erstautorin Dr. Bianca Raffaelli. |

Literatur

[1] Raffaelli B et al. Sex Hormones and Calcitonin Gene–Related Peptide in Women With Migraine: A Cross-sectional, Matched Cohort Study. Neurology 2023, doi: 10.1212/WNL.0000000000207114

[2] Diagnostik, Akuttherapie und Prophylaxe der Migräne. Informationen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft

[3] Warum Migräne häufig während der Menstruation auftritt. Pressemitteilung der Charité Universitätsmedizin Berlin, 23. Februar 2023

[4] Lipton RB et al. Safety, tolerability, and efficacy of zavegepant 10 mg nasal spray for the acute treatment of migraine in the USA: a phase 3, double-blind, randomised, placebo-controlled multicentre trial. Lancet Neurol 2023;22(3):209-217, doi: 10.1016/S1474-4422(22)00517-8

[5] Pfizer Announces The Lancet Neurology Has Published Phase 3 Data for Zavegepant for the Acute Treatment of Migraine in Adults. Pressemitteilung von Pfizer, 16. Februar 2023

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