Medizin

Unbekanntes Stiff-Person-Syndrom

Was sich hinter der Krankheit von Céline Dion verbirgt

Eine seltene neurologische Auto­immunkrankheit, das Stiff-Person-Syndrom (SPS), war vor Kurzem in den Schlagzeilen, als die kanadische Sängerin Céline Dion öffentlich bekannt gab, an dieser Krankheit zu leiden. Das SPS ist vor allem durch eine progrediente Muskelversteifung an Rumpf und Gliedmaßen sowie durch schmerzhaft einschießende Muskelspasmen charakterisiert. Die Symptome entwickeln sich schleichend über Monate und Jahre mit zunehmendem Risiko für Gangblockaden und Stürze [1]. Eine kurative Therapie gibt es bislang nicht, im Vordergrund stehen eine immunmodulierende sowie eine symptomatische Behandlung [2].

Eine zunehmende Körpersteifigkeit ist das wohl wichtigste Merkmal des Stiff-Person-Syndroms, früher oft auch als Stiff-Man-Syndrom (SMS) bezeichnet. Es kommt ferner zu schmerzhaft einschießenden Muskelkrämpfen, unter denen auch Céline Dion leidet. Sie hat Schwierigkeiten beim Gehen und ihre Stimmbänder bereiten ihr Probleme. Deshalb sagte die Sängerin die für 2023 geplanten Europa-Konzerte ab bzw. verschob diese [3]. Dion leidet an einer seltenen Erkrankung, einer von 1.000.000 ist betroffen. Die Zahl der Erkrankten wird in Deutschland auf rund 300 geschätzt, davon sind zwei Drittel Frauen. Das mittlere Manifestationsalter liegt bei 45 Jahren, aber auch Kinder können erkranken Die Sym­ptomatik entwickelt sich im Allgemeinen schleichend über Monate und Jahre [1].

Die beiden Neurologen Dr. Frederick Moersch und Dr. Henry Woltmann von der Majo-Klinik beschrieben das Stiff-Person-Syndrom 1956 zum ersten Mal anhand von 14 Fallberichten mit „progredienter fluktuierender Muskelsteifigkeit und Krämpfen“ [4]. Erst 1988 wurde dann ein Zusammenhang zu Antikörpern gegen das Enzym Glutamat­decarboxylase entdeckt [5].

Foto: motortion/AdobeStock

Beim Stiff-Person-Syndrom leiden die Patienten unter schmerzhaften Muskelkrämpfen.

Lange Symptomliste

Die Muskelsteifheit tritt üblicherweise symmetrisch auf, beeinträchtigt die Mobilität im Bereich des Rumpfs und der Hüfte und es kommt zu einem steifbeinigen Gangbild. Einschießende schmerzhafte Spasmen können zu schweren Stürzen und plötzlich auftretenden Gangblockaden führen [1]. Starkes Schwitzen, eine beschleunigte Herzfrequenz und Angstattacken sind vor allem bei motorischer und emotionaler Belastung mögliche Begleitsymptome [3].

Aufgrund des vielgestaltigen Krankheitsbildes unterscheidet man auch in Unterformen. Bei der Minus-Variante, dem sogenannten Stiff-Limb-Syndrom (SLS), zeigt sich die Krankheit nur in einer Gliedmaße, wie beispielsweise einem Bein oder Arm. Bei der Plus-Variante kommen weitere Symptome wie z. B. epileptische Anfälle oder Lähmungen hinzu. Hier spricht man von einer progressiven Enzephalomyelitis mit Rigidität und Myoklonien (PERM).

Davon abgesehen werden drei Krankheitsformen unterschieden [6]:

  • Autoimmun-Typ, tritt häufig mit einem Typ-1-Diabetes sowie anderen Autoimmunerkrankungen auf
  • paraneoplastischer Typ, der nur 1 bis 2% der Patienten betrifft, aber häufig mit Brustkrebs, aber auch anderen Tumoren auftritt
  • idiopathischer Typ.

Krankheitsursache ist nach wie vor unklar

Eine konkrete Ursache des Stiff-Person-Syndroms ist bislang nicht bekannt. Das Syndrom wird als Folge einer Autoimmunreaktion angesehen, da bei der Mehrzahl der Patienten Autoantikörper nachgewiesen werden. In 70% der Fälle handelt es sich um Antikörper gegen das Enzym Glutamatdecarboxylase (GAD), das eine zentrale Rolle bei der Bildung des inhibito­rischen Neurotransmitters GABA (Gamma-Aminobuttersäure) und damit zugleich bei der Kontrolle der Nervenzellen spielt. Nicht selten sind auch weitere Autoantikörper zu finden. Pathogenetisch ist das Stiff-Person-Syndrom zudem eng verwandt mit anderen fokalen Autoimmun-Enzephalopathien [2].

Informationen für Patienten und Angehörige

Umfassende Informationen zum SPS bietet die Stiff-Person Vereinigung Deutschland e. V. auf ihrer Webseite. Die Patientenorganisation engagiert sich für Menschen, die vom Stiff-Person-Syndrom betroffen sind. Sie wurde 1998 von einigen Betroffenen gegründet und hat inzwischen rund 130 Mitglieder aus dem gesamten Bundesgebiet und auch aus dem Ausland. Seit Oktober 2010 ist die Stiff-Person Vereinigung Deutschland e. V. Mitglied der ACHSE (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen) [7].

www.stiff-person.de

Langer Weg zur richtigen Diagnose

Bis ein Patient die eindeutige Diagnose Stiff-Person-Syndrom erhält kann es durchaus mehrere Jahre dauern. Zum Teil kommt es anfänglich zu Fehldiagnosen wie der ParkinsonKrankheit, Multipler Sklerose, Fibromyalgie oder Angststörung und Phobie [7]. Basis der Diagnostik sind die Anamnese sowie die klinischen Kriterien. Zu denken ist an ein SPS bei rigidem Muskeltonus, tonischen Spasmen, gesteigerter Stimulus-Sensitivität, Myoklonien, Ankylosen und Pseudoagoraphobie [2].

Bestätigt wird die Verdachtsdiagnose durch eine Elektromyografie sowie durch Bluttests. Bei der Elektromyografie wird die elektrische Muskel­aktivität gemessen und als Elektromyogramm dargestellt. Bei Erkrankten zeigt sich dabei eine nicht zu unterdrückende kontinuierliche Aktivität motorischer Einheiten die für den erhöhten Muskeltonus verantwortlich ist. Wird in Bluttests der Serum-Autoantikörper gegen GAD nachgewiesen, kann das auf ein Stiff-Person-Syndrom hinweisen, ist jedoch keineswegs beweisend und auch keine Voraussetzung für die Diagnosestellung. Generell empfehlen die Leit­linien das Antikörper-Screening auf alle infrage kommenden Autoanti­körper. Unabhängig davon raten die Experten zur Malignomsuche, bei einer Erkrankungsdauer unter fünf Jahren, sowie dem Auftreten von Exazerbationen nach langjährigem stabilem Verlauf [2].

Therapie auf mehreren Ebenen

Eine Heilung des Stiff-Person-Syndroms ist bislang nicht möglich, allerdings kann die Erkrankung mittels einer medikamentösen Therapie unter Kontrolle gehalten werden. Dazu gehört eine Immuntherapie mit Immunglobulin G (IgG), zur Dämpfung des Immunsystems, sowie eine initial hoch dosierte Cortison-Therapie, die nach einigen Tagen zu einer deutlich niedriger dosierten Erhaltungstherapie umgewandelt wird. Kommt es nicht zum erwünschten Therapie­erfolg, so kann eine Behandlung mit Rituximab, eine Immun­adsorption oder eine Plasmapherese erwogen werden.

Parallel kann entsprechend den Leit­linien antispastisch behandelt werden mit Benzodiazepinen wie Diazepam, Baclofen (oral oder intrathekal) sowie Antikonvulsiva. Ergänzend können eine Physiotherapie und eine Verhaltenstherapie den Patienten unterstützen [2, 7]. Die Behandlung sollte sich dabei an der jeweils vorherrschenden Symptomatik orientieren und es sollte in jedem Fall ein individuelles Behandlungsschema erarbeitet werden [7]. |

Literatur

[1] Stiff-Person-Spektrum-Erkrankungen. Information des Orphanet, das Portal für seltene Krankheiten und Orphan Drugs, Stand: August 2007, www.orpha.net/consor/cgi-bin/OC_Exp.php?Expert=3198&lng=DE

[2] Stiff-Man-Syndrom (Stiff-Person-Syndrom).S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e. V. (DGN), Stand: Juli 2027, AWMF-Register-Nr. 030-080, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/030-080

[3] Weber-Fina U. Was ist eigentlich das Stiff-Person-Syndrom? PTAheute.online vom 13. Dezember 2022, www.ptaheute.de/aktuelles/2022/12/13/was-ist-eigentlich-das-stiff-person-syndrom

[4] Moersch FP, Woltman HW. Progressive fluctuating muscular rigidity and spasm („stiff-man“ syndrome); report of a case and some observations in 13 other cases. Proc Staff Meet Mayo Clin 1956;31(15):421-427

[5] Solimena M et al. Autoantibodies to glutamic acid decarboxylase in a patient with stiff-man syndrome, epilepsy, and type I diabetes mellitus. NEJM 1988;318(16):1012-1020

[6] Stiff-Person-Syndrom. Manuael der MSD Sharp & Dohme GmbH, Stand: Dezember 2020, www.msdmanuals.com/de-de/profi/neurologische-krankheiten/st%C3%B6rungen-des-peripheren-nervensystems-und-der-motorischen-einheit/stiff-person-syndrom

[7] Stiff-Person Vereinigung Deutschland e. V., www.stiff-person.de

Medizinjournalistin Christine Vetter

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