Wirtschaft

Was folgt auf den Paukenschlag bei Noventi?

Dienstleister will sich von 460 Beschäftigten trennen / Besinnung auf das Kerngeschäft / Konsortialkredit drei Jahre verlängert

ts/cha | Bei Noventi geht es schon seit einiger Zeit rund: Im Septem­ber vergangenen Jahres wurde die Führungsspitze ausgewechselt, Preiserhöhungen angekündigt und eine Änderung der Unternehmensstrategie in Aussicht gestellt. Nun erfolgte der Paukenschlag: Wie vergangene Woche bekannt wurde, trennt sich Noventi von 460 seiner mehr als 2200 Beschäftigten, baut die Strukturen um, sichert sich vorzeitig einen Konsortialkredit und verkleinert die Geschäftsführung.

Über die anstehenden Veränderungen informierte das Münchner Unternehmen, dessen Gesellschafter der Apothekerverein FSA ist, die Belegschaft am vergangenen Dienstag in einem Townhall-Meeting. Nach dem Protokoll, welches der Redaktion vorliegt, werden noch in diesem Jahr 460 der mehr als 2200 Stellen abgebaut. Mitarbeiter, die sich in der Probezeit befinden, bekommen eine Probezeitkündigung. Alle weiteren Beschäftigten erhalten ein Angebot für den Übertritt in eine Transfergesellschaft oder ein Aufhebungsangebot. Zudem soll der oberste Führungskreis von 22 Positionen auf zwölf Führungskräfte nahezu halbiert werden.

Im Bereich der Warenwirtschaft will sich Noventi auf die Entwicklung der beiden Linien Prokas und Awin­taOne fokussieren. Die drei Linien Jump, Infopharm und Pharmasoft sollen nicht weiter ausgebaut, sondern lediglich in Betrieb gehalten werden. Zudem sollen im laufen­den Jahr Produkte aus Wirtschaftlichkeitsgründen eingestellt werden.

Inwieweit es zu dem Gesamt-Personalabbau tatsächlich kommt, hängt laut der schriftlichen Zusammenfassung des Townhall-Meetings „hauptsächlich von der weiteren Entwicklung im Produktbereich ab, insbesondere von den drei Warenwirtschaftslinien Jump, Pharmasoft und Infopharm“. Das Management setze „alles daran, die drei Warenwirtschaftslinien durch einen Verkauf zu erhalten und die Arbeitsplätze dadurch zu sichern“.

Der Personalabbau ist den Angaben zufolge eine „Ultima Ratio“ und eine Konsequenz der Neuaufstellung von Noventi. Dazu zählt auf finanzieller Ebene auch die vorzeitige Sicherung eines Kon­sortialkredits für die nächsten drei Jahre (s. unten). Die Rezept­abrechnung an die Kunden sei „dementsprechend – wie bisher auch, seit dem Jahre 1900 – zu jeder Zeit und ausnahmslos sichergestellt“ und sei darüber hinaus die „sicherste in Deutschland“.

Die finanziellen Zusicherungen unterstreichen laut den Angaben das Vertrauen und den Rückhalt der Banken. Zugleich heißt es, dass „wir uns dieses Vertrauen und den Rückhalt in den vergangenen Monaten erst wieder erarbeiten“ mussten. Daran gekoppelt sei auch die Umsetzung der Maßnahmen, die für das Programm „Fokussierung 2025“ notwendig sind. Zentraler Auftrag sei, das Kerngeschäft zu stärken und das Unternehmen „in eine neue, fokussierte und zukunfts­sichere Struktur zu überführen“. Künftig werde sich Noventi auf das Kerngeschäft mit der Abrechnung, Warenwirtschaft und Branchensoftware fokussieren.

Konkreter wurde die Konzernspitze im Gespräch mit dem Handelsblatt Inside Digital Health. Von der Umstrukturierung betroffen sei laut Vorstand Mark Böhm vor allem der Sales-Bereich mit vielen parallel laufenden Service- und Vertriebseinheiten. Dort werden die Sparten HeiMi, HiMi und Pflege, Apotheke und das Kundenmanagement Finance unter der Leitung von Petra Terhardt, bislang für den Bereich Sales Apo­theke zuständig, zusammengelegt. Auch die Trennung beim bislang ebenfalls auf die verschiedenen Sparten aufgegliederten Kundenservice soll künftig aufgehoben und von Marketingchef Silvio Kusche geleitet werden.

Festhalten an gesund.de

Vollständig verabschieden will Noventi sich vom Marktsegment Pflege. Dagegen will man an den Investitionen in die Gesundheitsplattform gesund.de festhalten. Auf Anfrage erklärte Noventi: „An unserem Engagement bei gesund.de ändert sich nichts. Wir haben immer betont, dass wir neben der Fokussierung auf unser Kerngeschäft (...) auch weiterhin ausgewählte Zukunftsprojekte verfolgen werden. Gesund.de zählt als solches dazu. Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass der Omni-Channel-Weg für die Vor-Ort-Apotheken mit Blick auf die Digitalisierung der beste Weg ist.“ Dies bestätigten auch die Kundenerfahrungen.

Doch wie sieht es beim Kerngeschäft von Noventi, der Rezept­abrechnung, aus? Gegenüber dem Handelsblatt garantiert Finanzchef Steimel, dass alle Rechnungen bezahlt werden. Zur Verlängerung der Laufzeit des Konsortialkredits von über einer Milliarde Euro erklärt er, dass die Deutsche Apotheker- und Ärztebank das Konsortium anführe. „Außerdem haben wir unser Kapital gestärkt: Der Eigentümer – also die Apotheker-Ver­tretung – hat eine Einzahlung von 20 Millionen Euro vorgenommen.“

Unterstützung für Noventi kommt dabei auch von Landesapothekerverbänden. Auf Anfrage der AZ erklärt dazu ein Sprecher des LAV Baden-Württemberg: „Selbstverständlich wissen wir um die erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für unsere Mitglieder, dass insbesondere die standeseigene Apothekenabrechnung sichergestellt ist. Wir möchten deshalb die Noventi in ihrer Neuausrichtung konstruktiv begleiten und im Rahmen unserer Möglichkeiten und angesichts der Verantwortung für unsere Mitglieder aktiv unterstützen.“ Welche konkreten Möglichkeiten dem Verband dabei zur Verfügung stehen, werde Gegenstand der Beratung und entsprechender Beschlüsse der Gremien sein. „Unser Ziel ist es, im ersten Quartal dieses Jahres entspre­chende Entscheidungen herbeizuführen.“ Konkretere Informationen gibt es vom Bayerischen Apothekerverband: „Der FSA e. V. als Eigentümer der Noventi hat eine Kapitaleinzahlung in Höhe von 20 Millionen Euro getätigt. Um diese Kapitaleinzahlung zu leisten, erhält der FSA e. V. ein Darlehen von der BAG Grundstücksverwaltungsgesellschaft. Der Bayerische Apothekerverband e. V. ist Gesellschafter der BAG und hat in dieser Funktion per Vorstandsbeschluss, der auch vom Beirat mitgetragen wird, dem Darlehen im November 2022 zugestimmt.“ Zuvor habe sich der BAV ein genaues Bild von der Situation der Noventi gemacht, die in einem transparenten Austausch ein solides Konzept vorgelegt habe.

Auch dieses Jahr wird es für Noventi-Kunden teurer

Doch wie geht es nun weiter? Noventi-Kunden müssen sich auf erneute Preiserhöhungen einstellen. Auf Anfrage erklärt die Pressestelle: „Es ist richtig, dass der Vorstand im Rahmen der Fokussierung 2025 auch angekündigt hat, dass es eine weitere Preisanpassung von uns und sicherlich auch von Wettbewerbern geben wird. Mit Blick auf die Inflation und die weiter ansteigenden Energie-, Personal- und sonstigen Kosten kann man das gar nicht ausschließen. Wir sind gegenüber unseren Kunden offen und transparent.“ Die Erhöhungen werden hauptsächlich den Bereich Warenwirtschaft und dort insbesondere die Linien Pharmasoft, Jump und Infopharm betreffen, heißt es weiter. Damit dürfte Noventi bei vielen Kunden den Wechsel zu Prokas und AwintaOne, auf die man sich zukünftig fokussieren will, beschleunigen. |

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