Gesundheitspolitik

Prognosen und Wünsche fürs neue Jahr (2)

© Kai Felmy

Weiteres Abrutschen verhindern

Zwei Jahre haben die Apotheken ihren wichtigen und gesellschaftlich hoch geschätzten Auftrag zur Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln innerhalb der Pandemie erfüllt, nun ist im abgelaufenen Jahr auch noch ein Krieg in Europa hinzugekommen. Mit Folgen, die eine hohe Inflation im vergangenen Jahr mit sich gebracht hat. Gestiegene Energiepreise und knappes, wie auch gerecht bezahltes Personal bei gleichbleibenden Vergütungen der letzten 13 Jahre bringen die Apotheken in schwierige wirtschaftliche Lagen.

Foto: VDARZ

Werner Dick

Die Apothekenrechenzentren beweisen einmal mehr ihre Leistungsfähigkeit. Die Unternehmen des Bundesverbandes der Apothekenrechenzentren haben ihre Arbeitsprozesse noch stärker verschlankt und eng verwoben, um nahezu keine der Kostensteigerungen an die Apotheken weitergeben zu müssen. Jedoch beeinflussen die zögernden elektronischen Verordnungen die Situation der Rechenzentren negativ. Längere Restlaufzeiten der Scanner und zusätzliche Server für den E-Rezept-Empfang prägen das Bild dieser hybriden Zeit. Mögliche Erhöhungen der Abrechnungs­entgelte könnten die Folge sein.

In diesem Jahr sollen die COVID-19-Schutzimpfungen in die Regelversorgung übergehen. Die Apotheken stehen bereit – die Rechenzentren auch, um diese Sonder­leistungen ordnungsgemäß abzurechnen. Bundeseinheitliche Regelungen konnten die Kostenentwicklungen für Programmierungen verringern.

Nahezu 250 Apotheken haben im ersten Halbjahr 2022 ihren Betrieb eingestellt und 2023 ist mit einer steigenden Zahl von Apothekenschließungen zu rechnen. Dazu wird sicher auch die Erhöhung des Kassenrabattes auf nunmehr 2 Euro pro Packung beitragen. Um wirtschaftlich als Apotheke existieren zu können, ist die Zahl der zu versorgenden Einwohner und eine verkehrsgünstige Lage sowie die Anzahl der niedergelassenen Ärzte wichtig. Deutschland liegt bei der Apothekendichte im europäischen Vergleich im unteren Drittel, es gilt ein weiteres Abrutschen zu verhindern.

Die Rechenzentren werden ihre innovativen Produkte ausbauen, um den Vor-Ort-Apotheken eine maximale Unterstützung zu bieten. |

Werner Dick, Vorsitzender des Vorstandes des Bundesverbandes Deutscher Apothekenrechenzentren e. V. (VDARZ)

 

Zukunftssicherheit braucht Honorierung

Das vergangene Jahr war durch die immer noch andauernde COVID-19-Pandemie und durch den schrecklichen Krieg Russlands gegen die Ukraine geprägt – zwei Ereignisse, die uns auch künftig sowohl in der Gesellschaft als auch im Gesundheitswesen beeinflussen werden. Die Apotheken haben auch im vergangenen Jahr trotz zunehmender Lieferengpässe die Bevölkerung zuverlässig und in hoher Qualität mit Arzneimitteln versorgt. Darüber hinaus wurden viele Tausend Menschen gegen COVID-19 geimpft und bei vielen Tausend Geflüchteten ganz unkompliziert die Versorgung mit notwendigen Medikamenten sichergestellt. Mit dem E-Rezept und den pharmazeutischen Dienstleistungen haben die Apotheken zwei weitere Herausforderungen zu meistern gehabt. Dass die Apotheken mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz nun Honorarkürzungen unter dem Vorwand von Effizienzreserven hinnehmen müssen, ist durch nichts zu rechtfertigen und macht uns wütend.

Foto: ABDA

Thomas Dittrich

Für das Jahr 2023 wurden vonseiten der Politik einige grundsätz­liche Weichenstellungen für das Gesundheitswesen angekündigt. Weitere Ausgabenkürzungen dürfen dabei aber in keinster Weise die Apotheken betreffen. Wir benötigen längst fällige Honoraranpassungen nach oben und dringend eine Vergütung für das Management der zahlreichen, nicht durch uns zu verantwortenden Lieferengpässe. Und wenn die Koalition es mit dem Bürokratieabbau ernst meint: Wir haben gezeigt, dass wir mit den Abgabeerleichterungen der Corona-Zeit sehr verantwortungsvoll umgegangen sind; diese müssen verstetigt werden. Die von der Berliner Ampel-Koalition angedachten Projekte, wie die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken oder die Neustrukturierung der Notfallversorgung, haben das Potenzial, die flächendeckende Versorgung neu zu definieren. Die Apothekerschaft wird deshalb von Jahresbeginn an ihre Forderungen, wie wir uns den Erhalt der krisenfesten, resilienten und dezentralen Arzneimittelversorgung vorstellen, klar gegenüber der Politik artikulieren. Dazu gehört vor allem die schon angesprochene und längst überfällige Honorarerhöhung für die Apotheken, auch damit es für junge Leute wieder attraktiv wird, eine Apotheke zu übernehmen und selbstständig weiterzuführen.

Thomas Dittrich, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes e. V.

 

Entlasten statt belasten

Kaum verliert die Corona-Pandemie ihren Schrecken, erreicht die Inflation eine seit über 70 Jahren nie dagewesene Höhe. Das beschert wirtschaftliche Mehrbelastung, und die finanziellen Folgen sind gerade durch steigende Energie- und Personalkosten auch für Apothekeninhaberinnen und -inhaber enorm. Hinzu kommen höhere Einkaufskonditionen gepaart mit teils massiven Lieferengpässen, die einen zusätzlichen Aufwand bedeuten und auch noch den Kunden vermittelt werden müssen. Die Apotheken werden zum Dauer-Krisenmanager – und als ob das alles nicht genug wäre, wird die Apothekerschaft noch durch die Erhöhung des Kassenabschlags weiter finanziell belastet. Und nun? Den Kopf in den Sand stecken und resignieren? Bitte nicht − denn Apothekerinnen und Apotheker sind unverzichtbar für ein funktionierendes und resilientes Gesundheitswesen.

Foto: John M. John/apoBank

Matthias Schellenberg

Wenn jedoch das leise Apothekensterben gestoppt und der pharmazeutische Nachwuchs dauerhaft für die eigene Apotheke begeistert werden soll, müssen neben weiteren strukturellen Weichenstellungen insbesondere auch die finanziellen Rahmenbedingungen auf Entlastung und nicht auf Belastung stehen. Es muss gelingen, die Politik dafür dauerhaft zu sensi­bilisieren. Erste Signale deuten darauf hin, dass in Berlin endlich erkannt wird, die flächendeckende und wohnortnahe Arzneimittelversorgung über die Apotheken vor Ort nachhaltig stärken zu müssen. Neben einer Dynamisierung des Apothekenhonorars zählen sicherlich auch eine Entbürokratisierung und eine Honorierung bislang unbezahlter Arbeit dazu. Nun kommt es darauf an, diese Erkenntnis zügig in Taten umzusetzen.

Matthias Schellenberg, Vorsitzender des Vorstandes 
der Deutschen Apo­theker- und Ärztebank (Apobank)

 

In Krisenszenarien denken

Wie war das noch vor einem Jahr? Die Pandemie flaut ab, die Ver­hältnisse normalisieren sich, so die Hoffnung.

Was kam? Zeitenwende: Krieg in der Ukraine, Inflation, Energie­krise. Die Zeitenwende hat neue Herausforderungen mit sich gebracht; die alten, noch pandemiebedingten, sind geblieben: schwierige Wirkstoffversorgung, brüchige Lieferketten. Lieferengpässe beschäftigen die Apotheken und den Pharmagroßhandel in einem erheblichen Ausmaß. Die Versorgungssituation bei Fiebersäften und Antibiotika für Kinder ist dramatisch.

Foto: Phagro

André Blümel

Das passiert, wenn Leistungen – hier die Herstellung von Arzneimitteln – nicht mehr kostendeckend erbracht werden können. Anbieter ziehen sich zurück, die Versorgung verschlechtert sich, bei hoher Nachfrage bricht das ganze System zusammen.

Davor haben Apotheken, Großhandel und Hersteller lange gewarnt. Passiert ist nichts. Gleiches gilt für unsere steten Warnungen, dass die Infrastruktur des pharmazeutischen Großhandels nicht mehr ausreichend gesetzlich finanziert ist.

Wir sind gezwungen, in Krisenszenarien zu denken: Wie sichern wir die Versorgung, wenn Energie knapp wird und die Energiepreise exorbitant steigen? Wie können wir die Versorgung sicherstellen, wenn unsere gesetzliche Vergütung nicht mehr die Kosten deckt?

Die Lieferengpässe in Teilen des Arzneimittelmarktes haben sich krisenhaft zugespitzt; der Bundesgesundheitsminister räumt ein, der Preisdruck sei zu groß geworden. Hier muss gehandelt und weiterer Schaden abgewendet werden. Denn auch die sichere und flächendeckende Versorgung über den Großhandel ist gefährdet! Es muss dringend in die Infrastruktur investiert werden, wenn sie robust und leistungsfähig bleiben und die Versorgung mit Arzneimitteln gesichert werden soll.

André Blümel, Vorsitzender des PHAGRO | 
Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels e. V.

 

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