Recht

Keine Benachteiligung von selbstständigen Schwangeren

Trotz Karenzzeit müssen private Krankenversicherungen Tagegeld ab dem ersten Tag des gesetzlichen Mutterschutzes bezahlen

Für werdende Mütter sehen das Mutterschutzgesetz und weitere Gesetze einen umfassend scheinenden finanziellen, sozialen und arbeitsrechtlichen Schutz vor. Selbstständige Freiberuflerinnen bekommen in ihrer Mutterschaft jedoch schwerwiegende Lücken im System der Absicherung zu spüren. Eine davon ist jetzt geschlossen worden: Viele private Krankenversicherungsverträge sehen für die Zeit des gesetzlichen Mutterschutzes zwar die Zahlung von Krankentagegeld vor, aber erst nach Ablauf einer vereinbarten Karenzzeit. Zu Unrecht, wie aus einem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Ravensburg aus dem Jahr 2022 hervorgeht (Az.: 1 S 117/21).

Der Fall: Eine junge Veterinär­medizinerin hatte sich als Tier­ärztin niedergelassen und privat krankenversichert. Ihr Krankenversicherungsvertrag sah vor, dass nach Ablauf einer Karenzzeit Krankentagegeld gezahlt werde für jeden Tag einer Krankheit, die zur Arbeitsunfähigkeit führe, und auch für Zeiten des gesetz­lichen Mutterschutzes. Vereinbart war dabei eine Karenzzeit von 21 Tagen, während der noch kein Tagegeld gezahlt werden sollte.

Die Tierärztin wurde schwanger und brachte einen Sohn zur Welt. Ihre Versicherungsgesellschaft zahlte ihr das vereinbarte Krankentagegeld ab dem 22. Tag der gesetzlichen Mutterschutzfrist und damit für die Zeit nach Ablauf der Karenzzeit. Für die Dauer der Karenzzeit lehnte sie dies ab. Die Ablehnung entsprach dabei der gängigen Regulierungspraxis, vereinbarte Karenzzeiten auch auf die Zahlungen während der Mutterschutzfristen anzuwenden.

Karenzzeiten in privaten Krankenversicherungs­verträgen

Solche Karenzzeiten können, wie im Fall der Tierärztin, für drei Wochen vereinbart sein, in vielen Fällen aber auch für sechs Wochen. Dann setzt das Krankentagegeld erst ab dem 43. Tag ein. In manchen Verträgen finden sich noch wesentlich längere Fristen. Dementsprechend groß wird die finanzielle Lücke für die (werdende) Mutter, die als Selbstständige kein Mutterschaftsgeld der gesetzlichen Krankenkasse und keinen Arbeitgeberzuschuss zum Mutterschaftsgeld erhält und die diese Zeit auch nicht mit Elterngeld überbrücken kann. Der werdenden Mutter bleibt damit nur die Wahl, trotz Mutterschutz so weit wie möglich zu arbeiten, auf die Schwangerschaft zu verzichten oder die Karenzzeit mit ihrem Ersparten zu überbrücken.

Arbeiten kam für die Tierärztin im Fall des Landgerichts nicht infrage, da sie mit Großvieh, speziell mit Pferden arbeitete und dabei eine große Gefährdung von Mutter und Kind bestanden hätte. Erspartes gab es nach der Existenzgründung kaum noch. Die Tierärztin war in dieser Situation auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen. Sie fragte sich, ob das in dieser Form rechtens sein könne.

Sie klagte gegen ihre Versicherungsgesellschaft und gewann. Das für die ursprüngliche Klage zuständige Amtsgericht hatte sich zunächst noch der Rechtsauffassung der Versicherung angeschlossen und die Vereinbarung über die Karenzzeit angewandt.

Die Argumentation des Gerichts

Das Landgericht hat dieses Urteil in der Berufungsinstanz aufgehoben und die Versicherungsgesellschaft verurteilt, das vereinbarte Krankentagegeld schon ab dem ersten Tag der Mutterschutzfrist zu bezahlen. Die Vereinbarung einer Karenzzeit sei für den Fall des Krankentagegeldes während des Mutterschutzes gesetzwidrig und damit unwirksam.

Das Landgericht leitet dies aus einer 2017 erfolgten Neufassung des § 192 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ab. Diese Vorschrift regelt die vertragstypischen Pflichten im privaten Krankenversicherungsvertrag und die Voraussetzungen für die Zahlung von Krankentagegeld. Sie gibt damit den gesetzlichen Rahmen vor, innerhalb dessen der Versicherungsvertrag und die allgemeinen Versicherungsbedingungen dann die Details regeln. Dabei dürfen manche gesetzliche Vorgaben gar nicht abgeändert werden, andere nur zugunsten des Versicherungsnehmers, wieder andere sind vertraglich frei abänderbar.

§ 192 VVG regelt die Voraussetzungen für die Zahlung eines im Versicherungsvertrag vereinbarten Krankentagegeldes im Krankheitsfall und, das war die Neuerung, auch während der gesetz­lichen Mutterschutzfristen und am Entbindungstag. Während dieser Zeit soll das Krankentagegeld als Ersatz für den Verdienstausfall der werdenden Mutter dienen.

Hier setzt die Argumentation des Landgerichts an: Die Vereinbarung der Karenzzeit im Vertrag führe zu einer „unangemessenen Benachteiligung“ der Versicherungs­nehmerin. Eine Karenzzeit würde den Versicherungsschutz in der Mutterschutzzeit so weit einschränken, dass die „Erreichung des Vertragszwecks gefährdet“ sei – der Versicherungsvertrag ihr also gar keine richtige Sicherheit mehr vermittele. Schon deswegen sei die Vereinbarung der Karenzzeit nach § 307 BGB unwirksam. Im Übrigen habe der Gesetzgeber in seiner Neufassung des § 192 VVG ausdrücklich angeordnet, dass das Tagegeld für die ganze Zeit des Mutterschutzes gezahlt werden müsse, und zwar gemäß § 208 VVG ausdrücklich ohne die Möglichkeit, diese gesetzliche Anordnung durch eine vertraglich vereinbarte Karenzzeit wieder aufzuheben oder abzuändern.

Europarecht: Gleichbehandlung von Selbstständigen und Angestellten umsetzen

Mit dieser Neuregelung des § 192 VVG hat der deutsche Gesetzgeber 2017 eine Lücke im Versicherungsschutz von privat versicherten weiblichen Selbstständigen und Freiberuflerinnen geschlossen. Begründet wurde dieser Lückenschluss mit dem besonderen Schutzbedürfnis der Schwangeren und ihrer Kinder sowie der europarechtlichen Vorgabe (Richtlinie 2010/41/EU), die Gleichbehandlung von Selbstständigen und Angestellten rechtlich und vor allem praktisch umzusetzen.

In neueren Tarifbedingungen berücksichtigen die Versicherungsgesellschaften diese gesetzgeberische Vorgabe und verzichten, soweit ersichtlich, auf die Vereinbarung der Karenzzeit. Das Landgericht hat aber klargestellt, dass das Verbot solcher Karenzzeitvereinbarungen für alle Krankenversicherungs­verträge gilt, auch wenn sie vor der Gesetzesänderung 2017 abgeschlossen wurden. Entscheidend ist nur, dass im Vertrag überhaupt die Zahlung eines Krankentagegeldes vereinbart wurde. Wenn das geschehen ist, muss das Krankentagegeld in der vereinbarten Höhe vom ersten Tag der Mutterschutzfrist an für deren Dauer und den Tag der Entbindung gezahlt werden. |

Stephan Schlak, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Versicherungsrecht, 88250 Weingarten

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