Fehlermanagement

MTX 1-0-0

(K)eine Lizenz zum Töten

 Trotz bereits etablierter Maßnahmen zur Risikominimierung kommt es immer wieder vor, dass Methotrexat täglich statt nur einmal in der Woche angewendet wird. In der Folge kann es zu Intoxikationen kommen, die mit lebensbedrohlichen Komplikationen einhergehen können und im schlimmsten Fall zum Tod führen. Übertragungsfehler an Schnittstellen sind mögliche Ursachen, wie auch der Fall „Unklare Verordnung – wöchentlich oder täglich?“ aus dem Lern- und Berichtssystem CIRS-NRW zeigt. 
| Von Carina John 

MTX 1-0-0

Ein Arzneimittel, zwei Indikationen und Dosierungen – dieser Umstand führt schon seit vielen Jahren zu Fehl­dosierungen des Hochrisikoarzneistoffs Methotrexat (MTX). Bei malignen Erkrankungen wird MTX in hohen Dosierungen als Chemotherapeutikum eingesetzt. Das Applikationsintervall ist je nach Tumorintensität patientenindividuell unterschiedlich, eine tägliche Verabreichung kann erforderlich sein. In der Behandlung von entzündlichen Erkrankungen, wie der Psoriasis, der rheumatoiden Arthritis und des Morbus Crohn wird Methotrexat (z. B. Lantarel®, metex®, MTX Hexal®) hingegen nur einmal wöchentlich und niedrig dosiert verabreicht. Aufgrund dieser ungewöhnlichen Applikationsfrequenz kann es vorkommen, dass Methotrexat versehentlich oder irrtümlich täglich statt einmal wöchentlich verschrieben, verabreicht oder eingenommen wird, so auch im beschriebenen Fall „Unklare Verordnung – wöchentlich oder täglich?“ aus dem Lern- und Berichtssystem CIRS-NRW (siehe Kasten „CIRS-NRW“). Derartige Überdosierungen können mit lebensbedrohlichen Komplikationen wie schweren Anämien, Panzytopenien, Knochenmarksdepressionen oder Agranulozytosen einhergehen und im schlimmsten Fall zum Tod führen. Die Wirkung von MTX erstreckt sich nämlich nicht nur auf Entzündungs- oder Tumorzellen, sondern betrifft auch sich schnell teilende Gewebe wie Knochenmark, Schleimhäute, Haut und Haare.


CIRS-NRW steht für Critical-Incident-Reporting-System Nordrhein-Westfalen. Es handelt sich um ein Internet-gestütztes Lern- und Berichtssystem zur anonymen Meldung von kritischen Ereignissen in der Patientenversorgung. CIRS-NRW soll dazu beitragen, dass über kritische Ereignisse offen gesprochen und aus ihnen gelernt wird. Somit sollen Wege zur Vermeidung von Risiken diskutiert und Lösungsstrategien erarbeitet werden. Die Apothekerkammern Nordrhein und Westfalen-Lippe sind Partner von CIRS-NRW – gemeinsam mit den Ärztekammern, den Kassenärzt­lichen Vereinigungen und der Krankenhausgesellschaft NRW. Die Professionen Arzt und Apotheker treffen insbesondere im Medikationsprozess aufeinander. Die beidseitige Sensibilisierung für Medikationsfehler sowie die gegenseitige Kenntnis der organisatorischen Strukturen in Arztpraxis und Apotheke tragen zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit bei. Das sektoren- und professionsübergreifende Berichts- und Lernsystem CIRS-NRW ist in Deutschland einzigartig. Kritische Ereignisse aus der Apotheke können unter www.cirsmedical.de/nrw berichtet werden.

Maßnahmen für mehr Sicherheit

Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) empfahl daher bereits im Jahr 2012, risikomini­mierende Maßnahmen einzuleiten. Konkret wurden die Hersteller MTX-haltiger Arzneimittel zur oralen Anwendung in einem Stufenplanbescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dazu aufgefordert, deutlichere Warnhinweise zur einmal wöchentlichen Applikationsfrequenz aufzunehmen (siehe Abb. 1) und über die Gefahr einer Überdosierung zu informieren [1]. Zudem enthält die Fachinformation seither eine Aufforderung an den Verordner, den Wochentag der Einnahme auf dem Rezept zu vermerken. Weitere Maßnahmen folgten. Im Jahr 2013 veröffentlichte das Aktionsbündnis Patienten­sicherheit (APS) eine Handlungsempfehlung zu oral appliziertem Methotrexat mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit für diesen Hochrisiko­arzneistoff zu schärfen und praktische Anleitungen zu geben, wie Dosierungsfehler vermieden werden können [2].

Abb. 1: Hinweis auf die einmal wöchentliche Einnahme auf der Verpackung.

Foto: medac GmbH

Zwei wichtige Empfehlungen für das pharmazeutische Personal lauten:

  • Der Apotheker/Apothekenmitarbeiter muss sich vor Aushändigung des Methotrexat-Präparates vergewissern, dass dem Patienten die korrekte Einnahme bekannt ist.
  • Der Apotheker/Apothekenmitarbeiter sollte den Wochentag der Einnahme, der auf der Verordnung vom Arzt vermerkt sein sollte, auf der Arzneimittelverpackung dokumentieren.

Aufgrund von anhaltenden schwerwiegenden, unerwünschten Ereignissen, einschließlich Todesfällen infolge von Methotrexat-Überdosierungen, wurde im Jahr 2018 ein Risiko­bewertungsverfahren durch die EMA eingeleitet. Neue Maßnahmen zur Vermeidung von Dosierungsfehlern bei MTX und ein Rote-Hand-Brief gingen hieraus hervor. Zu den neuen Maßnahmen gehörten unter anderem die Einschränkung, dass Methotrexat-haltige Arzneimittel nur von bestimmten Ärzten verschrieben werden dürfen, die Vorgabe, dass die äußere Verpackung mit einem prominenten Warnhinweis zur Anwendung von MTX versehen sein muss, sowie die Bereitstellung von Schulungsmaterial für Patienten und Angehörige der Heilberufe.

Die Apotheke als Sicherheitsbarriere

Wie der aktuelle CIRS-Bericht (s. Kasten „CIRS-Fall-Nr. 216667“) zeigt, kommt es immer noch vor, dass wichtige Angaben, wie der Hinweis auf die wöchentliche Gabe und der konkrete Wochentag der Verabreichung, auf dem Rezept­formular fehlen. Die falsche bzw. uneindeutige Dosierungsangabe „1-0-0“ wurde in diesem Fall in der Apotheke erkannt, und durch Rücksprache mit dem Kinderarzt konnte geklärt werden, dass eine einmal wöchentliche Applikation angedacht war. Hierbei wird deutlich, dass die Apotheke durch die Überprüfung der Dosierung eine wichtige Rolle als Sicherheitsbarriere im Medikationsprozess einnimmt. Seit Inkrafttreten der Änderung der Verschreibungsverordnung im Jahr 2020 sind Ärzte zur Angabe der Dosierung auf dem Rezept verpflichtet und die Apotheke entsprechend gefordert, diese im Rahmen des Plausibilitätschecks auch zu prüfen. Dieser Bericht legt zudem eine besondere Schwachstelle im Versorgungsprozess mit Methotrexat offen, die etwas mehr Beachtung bedarf. Seitens der berichtenden Apotheke wird vermutet, dass technische Schwierigkeiten bei der Eingabe in die Praxissoftware eine Fehlerursache sein könnten. So war es an der Schnittstelle zwischen Klinik und Kinderarztpraxis möglicherweise kompliziert, die, in der Entlassdokumentation angegebene, einmal wöchent­liche Applikation in die neue Praxissoftware mit verpflichtender Dosisangabe zu übernehmen.

CIRS-Fall-Nr. 216667: „Unklare Verordnung – wöchentlich oder täglich?“

Angaben zum Patienten:

männlich, Altersklasse 6 - 10 Jahre

Was ist passiert?

Verordnung von Methotrexat-Fertigpens,

Dosierungsangabe 1-0-0 durch einen Kinderarzt,

Rücksprache seitens der Apotheke mit der Kinderarzt­praxis, ob wirklich einmal täglich gespritzt werden soll oder nur wie üblich einmal pro Woche

Was war das Ergebnis?

Einmal wöchentliche Anwendung war richtig, dies wurde den Eltern des Kindes auch so mitgeteilt. Keine Schäden beim Patienten entstanden.

Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie hätte es vermieden werden können?

Unzureichendes Wissen über die in der Kinderarztpraxis eher selten vorkommende Medikation. Sinnvoll wäre Schulung der Mitarbeiter zu diesem Thema.

Möglicherweise Schwierigkeit, die in den Klinikunter­lagen des Kindes vorgegebene einmal wöchentliche Applikation in die neue Praxissoftware mit verpflichtender Dosisangabe zu übertragen.

Neuere Fälle aus dem CIRS-NRW legen ähnliche softwarebedingte Übertragungsfehler offen. So wurde im Fall „Fehlerhafte Medikamentenübernahme durch das EDV-System“ (Fall-Nr: 230777) die in der Klinik angesetzte wöchentliche MTX-Gabe aufgrund eines Softwarefehlers fälschlicherweise als tägliche Gabe in den Entlassbrief übernommen. In einem anderen Fall („Fehlerhafte Übernahme des bundeseinheitlichen Medikationsplans“; Fall-Nr. 227436) trat der Übertragungsfehler bei Eingabe der Daten in die sogenannte Fieberkurve des Patienten bei Aufnahme ins Krankenhaus auf.

Softwarebedingte Übertragungsfehler sind Systemfehler, die bei Bekanntwerden dringend und zwingend in der betroffenen Institution, ob Klinik, Arztpraxis oder Apotheke, behoben werden müssen. Manuelle Übertragungsschritte sollten so weit wie möglich entfallen. Geschieht dies nicht, so bleibt nur die Sorgfalt der am Medikationsprozess beteiligten Personen, diese Fehler wieder „auszubügeln“. Seien Sie daher bedacht im Umgang mit dem Arzneistoff Methotrexat:

Abb. 2: Beispiel Dosierungsangabe auf dem Medikationsplan Angabe der MTX-Dosierung in der gebundenen Zusatzzeile, einer Freitextzeile, die fest einem Medikationseintrag oder einem Rezeptureintrag zugeordnet ist. Sie enthält gegebenenfalls ergänzende Informationen zur Dosierung oder weitergehende Hinweise, die in den Feldern des Medikationseintrages nicht untergebracht werden können.

Foto: C. John

  • Achten Sie auf die konkrete Angabe der MTX-Dosierung auf dem Rezeptformular. Im Falle der Angabe „Dj“ auf dem Rezept sollte man sich unbedingt anderweitige schrift­liche Dosierungsanweisungen vom Patienten zeigen lassen und prüfen.
  • Achten Sie bei Vorlage eines Medikationsplans auf die Angabe der MTX-Dosierung (s. Abb. 2). Der Hinweis auf die wöchentliche Verabreichung und den genauen Wochentag darf nicht fehlen. In dem Zusammenhang sollte ebenfalls auf die korrekte Dosierung der Folsäure-Begleitmedikation (Einnahme 24 Stunden nach Metho­trexat) geachtet werden.
  • Achten Sie bei Aktualisierung oder Erstellung eines Medikationsplans auf die richtige Angabe der Dosierung.
  • Achten Sie darauf, dass der Patient die Anwendung und den konkreten Tag der Einnahme kennt, und übertragen Sie diesen auch auf die äußere Verpackung des Arzneimittels.

Nutzen Sie die Chance, eine wichtige Sicherheitsbarriere im Medikationsprozess zu sein, und tragen Sie dazu bei, die Gefahr von Überdosierungen bei MTX zu vermeiden. |

Literatur

[1] Methotrexat-haltige Arzneimittel zur oralen Anwendung Risiko für Überdosierungen. Stufenplanbescheid des BfArM vom 13. Juli 2012, www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/m-r/methotrexat.html

[2] Handlungsempfehlungen bei Einsatz von Hochrisikoarzneimitteln: Oral appliziertes Methotrexat. Information des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e. V. (APS) und des Instituts für Patientensicherheit (IfPS) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Stand März 2013, www.aps-ev.de/wp-content/uploads/2016/09/Handlungsempfehlung_-_Methotrexat.pdf

[3] Fall-Nr: 216667: Unklare Verordnung – wöchentlich oder täglich. Fallbericht des CIRS-NRW 2021, www.cirsmedical.de/nrw/

Autorin


Carina John, PharmD, Studium der Pharmazie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, Doctor of Pharmacy an der University of Florida, USA. Leitung der Abteilung AMTS/ATHINA der Apothekerkammer Nordrhein, Referentin im Bereich Fort- und Weiterbildung, Autorin für die Deutsche Apotheker Zeitung und den Deutschen Apotheker Verlag, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der WestGem-Studie.

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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