Arzneimittel und Therapie

Quälende Tumorschmerzen lindern

Wenig Evidenz für Cannabinoide

Bei Tumorschmerzen orientiert man sich bei der Auswahl und Kombination verschiedener Wirkstoffe an der vorliegenden Schmerzdiagnose und der individuellen Krankengeschichte. Wie man dabei vorgehen kann, erläuterte Prof. Dr. Helmut Hoffmann-Menzel am 19. Januar bei der Fortbildung Pharmacon@home der Bundesapothekerkammer.

Die Bedeutung von Tumorschmerzen geht weit über das physische Erleben hinaus, denn ihre Zunahme signalisiert den Betroffenen ein Voranschreiten der Erkrankung und geht mit Angst vor der existenziellen Bedrohung und dem Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit einher. Die Schmerztherapie beeinflusst daher das psychische, physische und spirituelle Befinden des Betroffenen und sollte frühzeitig eingeleitet werden. Im Wesentlichen richtet man sich dabei nach dem WHO-Stufenschema, wobei die Stufe 2 (Tilidin, Tramadol, Codein) aufgrund der unzureichenden Schmerzhemmung häufig übersprungen wird – „die WHO-Stufenleiter ist brüchig geworden“.

Morphin und Hydromorphin sind Mittel der Wahl

Goldstandard bei der Therapie von Tumorschmerzen ist nach wie vor Morphin, alternativ werden Hydromorphon oder Oxycodon eingesetzt. Für Fentanyl und Levomethadon spricht die Leitlinie für Palliativmedizin nur eine Kann-Empfehlung aus. Das Nebenwirkungsprofil starker Opioide umfasst vornehmlich Sedierung, Übelkeit und Erbrechen, Obstipation und Juckreiz. Die Ausprägung dieser unerwünschten Wirkungen hängt dabei von der unterschiedlichen Affinität und Aktivität am Rezeptor sowie vom Metabolisierungsmuster des Schmerzmittels ab. Muss ein Opioid gewechselt werden – hierfür kann es mehrere Gründe wie etwa unzureichende Analgesie, fehlende Adhärenz, Organinsuffizienz geben –, erfolgt dies unter Berücksichtigung der Äquivalenzdosen. Bestehen Schluckstörungen, wird auf ein transdermales System („Soll-Empfehlung“), die nasale Applikation oder eine parenterale Zufuhr (häufig subkutan, was je nach Substanz ein Off-Label-Use bedeutet) gewechselt. Abhängigkeiten spielen beim Einsatz von Opioiden in der Tumortherapie keine wesentliche Rolle, vielmehr stehen Übelkeit und Verstopfung im Vordergrund. Daher sollten zu Beginn der Opioidtherapie ein Antiemetikum und während der gesamten Behandlungsdauer ein Laxans verordnet werden. Im Bedarfsfall wird die Therapie mit Co-Analgetika (häufig Amitriptylin, Gabapentin oder Pregabalin) ergänzt. Deren erwünschte Wirkung setzt erst mit einer Latenzzeit von ein bis zwei Wochen ein. Ferner werden bei Knochenmetastasen Bisphosphonate oder Denosumab (z. B. Prolia®) eingesetzt.

Cannabinoide in der Schmerztherapie

  • wenig bis keine Evidenz für nozizeptive Schmerzen und Tumorschmerz
  • wenig Evidenz für neuropathischen Schmerz
  • bessere Evidenz für Schmerz bei Spastikern
  • Reservemedikament bei Übelkeit, Erbrechen und Appetitmangel
  • keine Evidenz, dass Cannabis besser wirkt als wirkstoff­definierte Fertigpräparate

Was ist mit Cannabinoiden?

Wie Prof. Hoffmann-Menzel aufzeigte, sind Verordnungen über Cannabinoid-haltige Zubereitungen und vor allem für entsprechende Pflanzenbestandteile in den letzten Quartalen sprunghaft angestiegen. Doch wie effektiv sind Cannabinoide in der Therapie von Tumorschmerzen? Das Wissen darüber hat noch Lücken. Bekannt ist der besondere Wirkmechanismus von Cannabinoiden. Sie werden vom postsynaptischen Neuron in den synaptischen Spalt freigesetzt und bewirken eine verminderte Transmitterfreisetzung des präsynaptischen Neurons durch Minderung der Aktivität präsynaptischer Calciumkanäle, eine Steigerung der Aktivität postsynaptischer Kaliumkanäle sowie eine Hemmung der Adenylatcyclase und Proteinkinase A. Allerdings ist bis dato über die funktionelle Bedeutung dieser Besonderheit nur wenig bekannt. Mehr Daten liegen über die Dauer einer Cannabinoid-Behandlung vor. Ein gutes Drittel der Patienten erhält eine Cannabis-Zubereitung nur ein Quartal lang. In knapp 40% der Fälle kommt es zu ­einem Therapieabbruch und dies meist aufgrund von Nebenwirkungen oder wegen unzureichender Wirksamkeit (Zahlen für Dronabinol). Die klinische Praxis zeigt indes, dass manche Tumorpatienten sehr gut auf ein Cannabinoid-haltiges Präparat ansprechen, andere wiederum nicht. Allerdings kann im Vorfeld nicht eingeschätzt werden, wer einen Benefit von einer Cannabinoid-Gabe haben wird. |

Literatur

Prof. Dr. Helmut Hoffmann-Menzel, Rhein-Sieg, Vortrag „Behandlung von Tumorschmerzen“; gehalten am 19. Januar 2022 bei der BAK-Online-Fortbildung pharmacon@home

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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