Pandemie Spezial

Doppelter Impfeffekt

Immunisierung reduziert Risiko für schwere Erkrankungen und Long-COVID

Bei Long-COVID bleiben auch Wochen nach der Infektion Symptome wie Kopfschmerzen, Müdigkeit und Kurzatmigkeit bestehen oder treten neu auf. Auch Erkrankte mit mildem oder asymptomatischem Verlauf können daran erkranken. Dass eine COVID-19-Impfung nicht nur vor einem schweren Erkrankungsverlauf schützen, sondern auch das Risiko für Long-COVID reduzieren kann, zeigen Daten aus Israel.

Israelische Wissenschaftler rund um Michael Edelstein haben untersucht, inwiefern eine COVID-19-Impfung das Auftreten von Post-COVID-19-Symptomen beeinflusst [1]. Für ihre im Preprint veröffentlichte Studie luden sie alle Erwachsenen ab 18 Jahren, die sich einem PCR-Test unterzogen, zu einer Online-Befragung ein. Die Teilnahme erfolgte unabhängig vom Ergebnis des PCR-Tests. Erfasst wurden die Beschwerden zum Zeitpunkt der COVID-19-­Diagnose sowie zum Zeitpunkt der Befragung. Zusätzlich wurden der Impfstatus, Basisinfor­mationen zur Gesundheit (Body-Mass-­Index, chronische Erkrankungen) und soziodemografische Daten wie Alter, Geschlecht, Einkommen und Bildungsstand erhoben. Zwischen März 2020 und November 2021 konnten die Wissenschaftler so 951 Infizierte (67% davon geimpft) und 2437 nicht infizierte Teilnehmer für die Studie rekrutieren.

Foto: astrosystem/AdobeStock

Jeder Dritte ist betroffen

35% der Befragten gaben an, sich nicht vollständig von der Infektion erholt zu haben. Am häufigsten klagten sie über Fatigue (22%), Kopfschmerzen (20%), Schwäche in Armen oder Beinen (13%) und persistierende Muskelschmerzen (10%). Befragt nach sieben der zehn häufigsten Long-COVID-Symptome berichteten Infizierte, die mindestens zwei Impfdosen des mRNA-Vakzins von Biontech/Pfizer erhalten hatten, 54 bis 82% seltener über Krankheitszeichen. Hatten sie hingegen nur eine Impfdosis erhalten, konnten die Forscher diese Assoziation nicht mehr feststellen. Dabei muss festgehalten werden, dass es schwierig war, den Impfstatus zum Zeitpunkt der Infektion zu bestimmen. In Israel war es üblich, nach einer Infektion mit einer Einmal­impfung den Immunschutz zu verbessern. Eine Einmalimpfung würde dann eher darauf hindeuten, dass es sich um eine Auffrischungsimpfung nach bereits vorangegangener Infektion gehandelt hat. Eine zwei­malige Impfung deutet eher auf eine Immunisierung vor der Infektion hin.

Da die berichteten Beschwerden von Long-COVID sehr unspezifisch sind, verglichen die Wissenschaftler außerdem die Symptome von geimpften Infizierten gegenüber Patienten ohne vorherige COVID-19-Erkrankung. Interessanterweise konnten sie dabei keinen Unterschied in der Häufigkeit der Beschwerden feststellen. Long-COVID-Symptome traten bei doppelt geimpften Infizierten also nicht häufiger auf als bei Personen ohne COVID-19-Anamnese. Die Autoren räumen ein, dass die Teststärke leider nicht ausreichte, um Unterschiede je nach Altersklasse festzustellen. Außerdem repräsentiert die Kohorte zudem eher milde Verläufe, denn nur wenige Studienteilnehmer mussten im Krankenhaus behandelt werden. Die Ergebnisse lassen sich daher nicht auf schwere Verläufe übertragen. Leider erlauben sie – bedingt durch die Einschluss­kriterien – auch keine Aussage über eine mögliche Schutzwirkung der Impfung bei Kindern, bei denen die Impfung vor allem auf die Prävention von Langzeitfolgen abzielt.

Kontroverse Studienlage

Nichtsdestotrotz macht die Studie Hoffnung. Die Ergebnisse decken sich mit dem Fazit einer Fall-Kontroll-Studie des King’s College in London, die im Januar 2022 in der Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht worden ist: Doppelt Geimpfte litten demnach nur halb so oft an Long-COVID und ihre Beschwerden klangen rascher ab [2]. Wissenschaftler hatten hierfür über eine App Symptome sowie Symptomdauer, Impfstatus und Infektionsverlauf von 1,2 Millionen Smartphone-Nutzern abgefragt und ausgewertet. Wenig überraschend waren dabei ältere Menschen unterrepräsentiert.

Die Universität Oxford konnte in einer weiteren, im November 2021 im Preprint veröffentlichten, retrospek­tiven Kohorten-Studie mit knapp 10.000 COVID-19-geimpf­ten Menschen hingegen kein selteneres Auftreten von Long-COVID durch die Impfung feststellen [3]. Berücksichtigt wurden hierbei allerdings nur Patienten, die den Arzt oder ein Krankenhaus aufsuchten. Milde Verläufe fielen unter den Tisch.

Hinter den bisher widersprüchlichen Daten stecken also sicherlich die Schwächen, die jede einzelne Studie mit sich bringt. Außerdem sammelten beide ihre Daten im ersten Halbjahr von 2021 – also vor dem Grassieren der Delta- und Omikron-Variante. Das ist deshalb relevant, da sich die neuen Virustypen als deutlich infektiöser entpuppten und Infizierte mehr infektiöse Partikel ausatmen. Durch eine höhere Menge an Anfangsviren könnte wiederum das Risiko für Long-COVID steigen.

Wie entsteht Long-COVID?

Die genaue Pathogenese von Long-COVID ist noch immer ungeklärt. Eine Reservoir-Bildung von Viren sowie Autoimmun- und Entzündungsprozesse werden diskutiert. Bereits die S1-Leitlinie von Juli 2021 weist darauf hin, dass die Viren bei einigen Patienten über Monate in verschiedenen Organen wie Leber, Gehirn oder im Fettgewebe persistieren [4]. Das könnte auch eine mögliche Erklärung bieten, wie die Impfung vor Long-COVID schützt: „Wenn eine Impfung hohe Level von Antikörpern und T-Zellen induziert, die SARS-CoV-2 erkennen können, kann das Immunsystem das Virus während seiner ersten Replikationen stoppen, ehe es sich ein verstecktes Reservoir im Körper einrichten kann“, kommentiert Immunologe Akiko Iwasaki (Yale Universität in New Haven, Connecticut) in der Zeitschrift „Nature“ [5]. Außerdem ist das Immunsystem durch die Impfung in der Lage, die Viren viel spezifischer zu bekämpfen. Das reduziert das Risiko für einen ver­sehentlichen Angriff auf körpereigene Gewebe, also Autoimmunreaktionen. |

Literatur

[1] Kuodi P et al. Association between vaccination status and reported incidence of post-acute COVID-19 symptoms in Israel: a cross-sectional study of patients tested between March 2020 and November 2021. medRxiv 2022. https://doi.org/10.1101/2022.01.05.2226880

[2] Antonelli M et al. Risk factors and disease profile of post-vaccination SARS-CoV-2 infection in UK users of the COVID Symptom Study app: a prospective, community-based, nested, case-control study. The Lancet Infectious Diseases 2022. doi: 10.1016/S1473-3099(21)00460-6

[3] Taquet M et al. Six-month sequelae of post-vaccination SARS-CoV-2 infection: a retrospective cohort study of 10,024 breakthrough infections. medRxiv 2021. doi: 10.1101/2021.10.26.21265508

[4] Koczulla AR et al. S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID. Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, AMFW-Register-Nr: 020/027, Stand: Juli 2021

[5] Ledford N. How Vaccination affets the risk of Long Covid. Nature 2021;559:546-548

Apothekerin Anna Carolin Antropov

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