Arzneimittel und Therapie

Aus Dimethyl- wird Diroximelfumarat

Neues MS-Therapeutikum punktet mit besserer gastrointestinaler Verträglichkeit

Für Patienten mit schubförmig-remittierender multipler Sklerose (MS) steht seit Kurzem eine weitere Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung: der Fumarsäureester Diroximelfumarat Vumerity®, strukturell verwandt mit Dimethylfumarat (Tecfidera®, s. Abb. 1). Da der aktive Metabolit beider Wirkstoffe identisch ist, wird ihre Wirksamkeit und Sicherheit als ähnlich eingeschätzt. Die gastrointestinale Verträglichkeit von Diroximelfumarat ist einer Studie zufolge besser als die von Dimethylfumarat.

Im vergangenen Jahr waren gleich drei neue Arzneimittel zur Behandlung der schubförmig-remittierenden multiplen Sklerose zugelassen worden: der vollständig humane monoklonale Anti-CD20-Anti­körper Ofatumumab (Kesimpta®), der Sphingosin-1-Phosphat (S1P)-Rezeptor-1-Modulator Ponesimod (Ponvory®) und im November 2021 schließlich der Fumarsäureester Diroximelfumarat (Vumerity®). Letzterer ist seit 1. Januar 2022 auf dem Markt verfügbar und wird, ebenso wie Ponesimod, oral verabreicht.

Foto: freshidea/AdobeStock

Durch autoimmune Prozesse werden bei multipler Sklerose die Myelinscheiden von Nervenzellen geschädigt.

Wirkmechanismus nicht genau bekannt

Der genaue Wirkmechanismus von Diroximelfumarat sowie auch Dimethylfumarat bei multipler Sklerose ist nicht bekannt. Wahrscheinlich kommt es zur Aktivierung des Nuclear factor (erythroid-derived 2)-like-2(Nrf2)-Transkriptionswegs, wodurch Nrf2-­abhängige antioxidative Gene hochreguliert und daraus folgend vermehrt Antioxidanzien produziert werden. In klinischen Studien mit Dimethylfumarat wurden entzündungshemmende und immunmodulatorische Eigenschaften beobachtet. Es kam zur Reduktion der Immunzellaktivierung ­sowie bei den T-Helferzellen zur Verschiebung vom TH1- und TH17-Phänotyp zum TH2-Phänotyp mit einer verringerten Produktion proinflammatorischer Zytokine. Durch eine derartige Kontrolle der Immunantwort werden wahrscheinlich die Schädigungen des Gehirns und des Rückenmarks bei MS-Patienten reduziert.

Ähnlich gut wirksam, besser verträglich

Studien haben gezeigt, dass Diroximelfumarat eine ähnliche Wirksamkeit hinsichtlich Schubrate und MRT-Parametern wie Dimethylfumarat besitzt. Der Wirkstoff war entwickelt worden, um die Verträglichkeit der Therapie mit Fumarsäureestern, vor allem bezüglich Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Diarrhö und Bauchschmerzen zu verbessern. Dies ist offensichtlich gelungen, denn in einer direkten Vergleichsstudie beider Substanzen zeigte Diroximelfumarat eine bessere gastrointestinale Verträglichkeit als Dimethylfumarat. Zu weiteren häufigen unerwünschten Wirkungen von Diroximelfumarat zählen unter anderem Hautrötungen, Hitzegefühl und ein Konzentrationsabfall der weißen Blutkörperchen (Leukopenie, Lymphopenie). Letzterer Nebenwirkung gilt besondere Aufmerksamkeit, da Patienten mit Lymphopenie ein erhöhtes Risiko für eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) besitzen. Nach Beginn der Therapie muss deshalb alle drei Monate ein großes Blutbild erstellt werden. Hält eine schwere Lymphopenie über mehr als sechs Monate an, sollte die Behandlung wegen des erhöhten PML-Risikos beendet werden.

Wirksamkeitskategorien für MS-Arzneimittel

Nach ihrer relativen Reduktion der entzündlichen Aktivität (Schubrate, MRT-Aktivität, schubbedingte Progression) werden die MS-Immuntherapeutika derzeit in drei Kategorien eingeteilt:

  • Wirksamkeitskategorie 1 (relative Reduktion der Schubrate im Vergleich zu Placebo von 30 bis 50%): Beta-Interferone einschl. Peg-Interferon, Dimethylfumarat (kombinierte Analyse der Zulassungsstudien), Glatirameroide, Teriflunomid
  • Wirksamkeitskategorie 2 (relative Reduktion der Schubrate im Vergleich zu Placebo von 50 bis 60%): Cladribin, Fingolimod, Ozanimod
  • Wirksamkeitskategorie 3 (Reduktion der Schubrate um > 60% im Vergleich zu Placebo oder > 40% im Vergleich zu Substanzen der Kategorie 1: Alemtuzumab, CD20-Antikörper (Ocrelizumab, Rituximab [Off-Label-Use], Natalizumab

Substanzen der Wirksamkeitskategorie 1 sind indiziert, sofern kein wahrscheinlich hochaktiver Verlauf vorliegt. Substanzen der Kategorien 2 und 3 können bei therapienaiven Patienten erwogen werden, wenn ein wahrscheinlich hochaktiver Verlauf vorliegt.

Elimination hauptsächlich über die Atemluft

Diroximelfumarat ist nicht nur strukturell mit Dimethylfumarat verwandt, beide MS-Wirkstoffe besitzen auch mit Monomethylfumarat den gleichen wirksamkeitsbestimmenden Hauptmetaboliten. Untersuchungen haben gezeigt, dass Diroximelfumarat in den empfohlenen Dosierungen mit Dimethylfumarat bioäquivalent ist und im Körper zu denselben Konzentrationen an Monomethylfumarat führt; außerdem wird ein inaktiver Metabolit gebildet. An der Verstoffwechslung von Monomethyl­fumarat ist das Cytochrom-P450(CYP)-System nicht beteiligt. Interaktionen mit anderen Medikamenten, die über CYP verstoffwechselt werden, sind deshalb nicht zu befürchten. Monomethylfumarat wird zu Fumarsäure, Zitronensäure und Glucose abgebaut, sodass es nach dem Abbau im Zitronensäurezyklus als Kohlendioxid (60% der Dosis) über die Ausatmung ausgeschieden wird. Die Nieren spielen bei der Ausscheidung nur eine untergeordnete Rolle (15% der Dosis).

Foto: Biogen

Wie wird Vumerity® eingenommen?

In den ersten sieben Behandlungs­tagen wird zweimal täglich eine Kapsel (231 mg) Diroximelfumarat eingenommen, anschließend soll die Dosis auf zweimal zwei Kapseln täglich erhöht werden. Treten Nebenwirkungen wie Hautrötungen oder Magen-Darm-Probleme auf, kann der Arzt die Dosis vorübergehend reduzieren.

Die Kapseln werden im Ganzen geschluckt. Da sie einen magensaftresistenten Überzug besitzen, dürfen sie weder zerdrückt, gekaut oder geöffnet werden. Vumerity® kann mit oder unabhängig von einer Mahlzeit eingenommen werden. Bei Patienten, die unter Hitzegefühl oder Magen-Darm-Nebenwirkungen leiden, kann die Verträglichkeit durch Einnahmen zum Essen verbessert werden.

Einordnung in die MS-Therapie

Die S2k-Leitlinie zur Behandlung der multiplen Sklerose unterteilt die verfügbaren Wirkstoffe zur verlaufsmodifizierenden Therapie in drei Kategorien (s. Kasten „Wirksamkeitskategorien für MS-Arzneimittel“). Diese Einordnung soll Ärzten als Entscheidungshilfe dienen. Direkte Vergleichsstudien gibt es nur für wenige Präparate. Auch die ­Nebenwirkungsraten sind nur eingeschränkt vergleichbar. So ist zwar die Rate schwerer Nebenwirkungen bei Arzneimitteln der Wirksamkeitskategorie 1 meistens niedriger als bei Substanzen der Kategorien 2 und 3. Die ­Verträglichkeit im Alltag kann dennoch für Substanzen der Kategorie 1 schlechter sein als für Substanzen anderer Gruppen. Da die Leitlinie regelmäßig aktualisiert wird, ist die Einordnung von Diroximelfumarat in eine der drei Kategorien bald zu erwarten. |

Literatur

Fachinformation Vumerity® 231 mg magensaftresistente Hartkapseln, Stand November 2021

Hemmer B et al. Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen, S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Stand Februar 2021

Naismith RT et al. Diroximel fumarate (DRF) in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis: Interim safety and efficacy results from the phase 3 EVOLVE-MS-1 study. Mult Scler 2020a;26(13):1729-39

Naismith RT et al. Diroximel fumarate demonstrates an improved gastrointestinal tolerability profile compared with dimethyl fumarate in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis: results from the randomized, double-blind, phase III EVOLVE-MS-2 study. CNS Drugs 2020b;34(2):185-96

Vumerity (Diroximelfumarat), Übersicht über Vumerity und warum es in der EU zugelassen ist, Information der European Medicines Agency, EMA/538965/2021, www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/vumerity, Abruf am 11. Januar 2022

Vumerity®. Summary of product characteristics (EPAR), www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/vumerity, Abruf am 11. Januar 2022

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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