DAZ aktuell

Alles in Ordnung?

Ein Gastkommentar

Dr. Christian Fehske, seit 2016 Leiter der Rathaus-Apotheke, internationale Apotheke Dr. Fehske e. K. in Hagen

Nachdem die Apothekerinnen und Apotheker auf die Probleme der Fiebersaft-Engpässe wochenlang hingewiesen hatten, kreißte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nun also – und gebiert satt einer Lösung eine Analyse? „Wir haben noch mal nachgerechnet, und es müsste eigent­lich genug da sein“ – Ernsthaft? Ob man das wohl übersetzen darf in: „Stellt Euch nicht so an, irgendwo gibt es mystische Apothekenkeller voller Fiebersäfte. Die jammernden Eltern müssen ihre fiebernden Kinder nur geduldig durch die Kälte von Apotheke zu Apotheke tragen, um sie zu finden.“

Liebes BfArM, würde eure Analyse zu lokalen Unwettern auch lauten: „Alles in Ordnung – die relative Niederschlagsmenge für Deutschland ist im Jahresverlauf unauffällig?“ Nichts ist ok, erst recht nicht, wenn sich unsere oberste Arzneimittelbehörde lieber der Realität verweigert, statt sich um eine Lösung eines dringenden Problems zu kümmern. Zu uns kommen verzweifelte Eltern, die zum Teil dutzende Apotheken abgeklappert haben, weil wir Fiebersäfte – an der Grenze der Belastbarkeit – selbst herstellen. Wer redet noch von einer Bevorratung mit (mehr als) dem, gesetzlich vorgeschriebenen Wochenbedarf? Seit Monaten hatten wir kaum je eine Chance auf einen Tages­bedarf an Industriesäften, sondern vielmehr inzwischen über 1000 (!) Flaschen Ibuprofen- sowie Paracet­amol-Saft, dazu Hunderte Zäpfchen von beiden Wirkstoffen hergestellt, wie viele andere Apotheken es auch tun.

Dinge, die aus Sicht des BfArM gar nicht gebraucht werden dürften, weil es ja eigentlich genug von allem gibt? Die Bezugnahme auf den zahnlosen § 52b des Arzneimittelgesetzes (AMG) erscheint dabei eher verstörend als beruhigend: Als „kontinuierliche Belieferung“ würde das BfArM wahrscheinlich auch noch die Auslieferung einer täglichen Flasche Fiebersaft durchwinken, selbst wenn sich alle bald weniger als 18.000 Apotheken darum streiten müssten. Und die gesetzlich geforderte „bedarfsgerechte Belieferung“ anhand von Nachfrage-Indikatoren (z. B. Defekt-Meldungen von Apotheken und Großhändlern) zu ermitteln erscheint wohl zu abwegig, wenn man doch stattdessen Hersteller fragen kann, welche Nachfrage sie „normal“ finden. Ohnehin scheint dem zitierten § 52b nur auf eine sehr eigentümliche Art Beachtung geschenkt zu werden: Wenn Hersteller hochpreisiger Zytostatika erklären, einfach keine Lust auf bedarfsgerechte Großhandlungsbelieferung zu haben, wird das milde lächelnd vom BfArM akzeptiert. Wenn aber Hersteller generischer Kinderarzneimittel nach dem Rückzug von Wettbe­werbern unter Verweis auf fehlende Kostendeckung in einer Phase steil ansteigender Nachfrage infolge von rekordverdächtigen Zahlen von Atemwegsinfektionen den Bedarf einfach nicht decken können? Na klar, dann müssen die letzten verbliebenen Fiebersaft-Hersteller dafür vor dem Beirat für Liefer- und Versorgungsengpässe strammstehen – richtig so! Dem die Ohren lang ziehen, der nicht schnell genug weg war. Es fühlt sich gerade an, als würde im überfluteten Ahrtal ein bedächtig nickender Feuerwehrmann den fassungslosen Hausbesitzern mitteilen: „Wir können nicht ausschließen, dass einige von Ihnen beim Verlassen der Häuser nicht alle Wasserhähne abgedreht hatten, was die Lage verschlimmert haben könnte. Schämen Sie sich also bitte.“ – Ah so, vielen Dank, sehr hilfreich. Ob dem BfArM bewusst sein mag, dass sich wohlhabende Eltern längst Fiebersäfte als Rezepturen kaufen, während weniger Wohlhabende weiter verzweifelt suchend durch die Kälte laufen (senkt das Fieber vielleicht auch?), weil Rezepturen auf GKV-Rezept vielleicht „befürwortet“ werden – von Kinderärzten aber aus Sorge vor Regressen bei fehlender Dokumentation der Notwendigkeit im Einzelfall weiterhin kaum verordnet werden? Eine aus Albanien stammende Mitarbeiterin berichtete kürzlich nach einem Heimaturlaub: „Zu Hause haben wir genug Fiebersäfte - was ist in Deutschland los?“ Wenn man das BfArM fragen würde, könnte die Antwort also lauten: „Nichts, alles in Ordnung, wenn da nur die hamsternden Apotheken nicht wären.“ Noch ein Tipp für die Analysten aus dem Elfenbeinturm des BfArM zum Auffinden jener Apothekenkeller voller gehamsterter Fiebersäfte: Hinterm Yeti links, an der Einhorn-Herde vorbei kann es nicht mehr weit sein. Und bald ist ja auch Weihnachten: Vertrauen wir doch einfach drauf, dass uns der Weihnachtsmann welche bringen mag. Denn von anderer Stelle scheinen wir kaum Hilfe erwarten zu dürfen.

Das könnte Sie auch interessieren

Erleichterungen für Apotheken bleiben vorerst bestehen / Ruf nach Pharmadialog

Engpässe: Bayern will pragmatisch bleiben

Während Corona-Krise: Keine Großhandelsbelieferungen mehr über den normalen Bedarf hinaus

BfArM ordnet Kontingentierung an

Ein Gespräch zur Lieferengpass- und Versorgungssituation in deutschen Kliniken

Beatmungsplätze gesichert – Sedativa und Narkotika Fehlanzeige?

Spannungsverhältnis zwischen Kontrahierungszwang und Kontingentierung

Künstliche Engpässe durch Direktvertrieb?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.