Arzneimittel und Therapie

Muskelschmerzen unter Statinen erneut im Fokus

Ausgeprägter Noceboeffekt in Metaanalyse beobachtet

Viele Patienten klagen unter einer Statin-Therapie über Muskelschmerzen. Doch sind diese tatsächlich dem Wirkstoff zuzuordnen? ­Autoren einer Metaanalyse schätzen die Häufigkeit muskulärer Symp­tome weitaus geringer ein als angenommen. Ihnen zufolge sind muskuläre Beschwerden unter einer Statin-Einnahme bei über 90% der Betroffenen nicht auf das Statin zurückzu­führen.

Statine gehören aufgrund ihrer günstigen Einflüsse auf kardiovaskuläre und atherosklerotische Parameter zu den häufig verordneten Wirkstoffen. In seltenen Fällen können muskuläre Schäden wie Myopathien oder Rhabdomyolysen auftreten. Deren Häufigkeit wird mit rund einem zusätzlichen Fall je 10.000 Personenjahre (für Myopa­thien) beziehungsweise zwei bis drei Fällen je 100.000 Personenjahre (für Rhabdomyolysen) geschätzt. Dies steht im Widerspruch zu den häufig ge­äußerten Muskelbeschwerden unter einer Statin-Einnahme, die zu einem Therapieabbruch führen können. Um das Ausmaß Statin-bedingter Muskelschmerzen verifizieren zu können, führte die englische Arbeitsgruppe Cholesterol Treatment Trialists’ Collaboration eine umfangreiche Metaanalyse durch. Zur Auswertung kamen 19 placebokontrollierte klinische Studien, von denen jede mindestens 1000 Teilnehmer aufwies, die wenigstens zwei Jahre lang ein Statin eingenommen hatten. Das mediane Follow-up lag bei 4,3 Jahren. Des Weiteren wurde auf vier doppelblinde Studien zurückgegriffen, in denen eine intensive mit einer weniger intensiven Statin-Therapie verglichen wurde. Insgesamt lagen die Daten von mehr als 150.000 Probanden vor. Damit war gewährleistet, dass ein häufig auftretendes, unspezifisches Symptom, wie Muskelschmerzen, einer bestimmten Gruppe – in diesem Fall Statin-Anwendern – zu­geordnet werden kann.

Foto: roger ashford/AdobeStock

Risiko im ersten Jahr erhöht

Im Verlauf eines gewichteten durchschnittlichen medianen Follow-Ups von 4,3 Jahren klagten 27,1% der Probanden der Statin-Gruppen (n = 16.835) über meist milde Muskelschmerzen, in der Placebogruppe waren es 26,6% (n = 16.446); das entspricht einer Risikoerhöhung um 3% (Rate Ratio [RR] = 1,03, 95%-Konfidenzintervall [KI] = 1,01 bis 1,06). Im ersten Jahr war der Effekt etwas ausgeprägter, hier führte die Statin-Einnahme im Vergleich zu Placebo zu einer relativen Zunahme von Muskelschmerzen oder Muskelschwäche um 7% (RR = 1,07, 95%-KI = 1,04 bis 1,10). Das entspricht elf zusätzlichen Ereignissen pro 1000 Personenjahre. Oder anders ausgedrückt: Im ersten Jahr der Statin-Einnahme war rund einer von 15 berichteten Fällen von muskulären Beschwerden auf eine Statin-Einnahme zurückzuführen, was weniger als 10% entspricht. Nach dem ersten Jahr gab es in den Statin-Gruppen im Vergleich zu den Placebogruppen keinen signifikanten Unterschied mehr bezüglich der Häufigkeit von Erstberichten zu Muskelbeschwerden.

Art des Statins ohne Einfluss

Im Hinblick auf die Intensität der Statin-Therapie ergab sich über alle Jahre gesehen folgendes Bild: Ein intensiveres Statin-Regime (z. B. einmal täglich 40 mg bis 80 mg Atorvastatin oder 20 mg bis 40 mg Rosuvastatin) führte zu einem höheren relativen Risiko für das Auftreten von Muskelbeschwerden als weniger intensive oder mäßig intensive Regime. Im Vergleich zu Placebo war das relative Risiko bei intensiveren Regimen um 8% und bei weniger intensiver oder mäßig intensiver Statin-Therapie um 3% erhöht (RR = 1,08 [95%-KI = 1,04 bis 1,13] vs. 1,03 [95%-KI = 1,00 bis 1,05]).

Die Art des eingesetzten Statins hatte keinen Einfluss auf die Häufigkeit von Muskelbeschwerden. Das Auf­treten von Muskelbeschwerden hatte einer Studie zufolge nach einem Jahr Therapie kaum Auswirkungen auf die Ad­härenz.

Fazit

Die Studienautoren schlussfolgern: Die meisten unter einer Statin-Therapie berichteten Muskelbeschwerden sind nicht dem Statin geschuldet. Der nachgewiesene kardiovaskuläre Nutzen einer Statin-Therapie sei weitaus höher einzuschätzen als das Risiko für muskuläre Beschwerden, die dem ­Statin zuzuschreiben sind. |

Literatur

Reith C et al. Effect of statin therapy on muscle symptoms: an individual participant data meta-analysis of large-scale, randomised, double-blind trials. Lancet 2022;400(10355):832-845, doi: 10.1016/S0140-6736(22)01545-8, Erratum: Lancet 2022;400(10359):1194

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

Das könnte Sie auch interessieren

Einnahme ist mit geringerem Risiko assoziiert

Statine könnten vor Glaukom schützen

Autoimmunmyopathien im Blick behalten

Wenn unter Statinen die Muskeln schwächeln

Therapieabbruch, Therapiewechsel oder „Augen zu und durch“?

Wenn Statine nicht vertragen werden

Harmloser Muskelkater, ernsthafte Erkrankung oder Arzneimittelnebenwirkung?

Was hinter Muskelschmerzen steckt

Wie sich eine Statin-Therapie auch bei Muskelsymptomen fortführen lässt

Nocebo-Effekt bremst Statine aus

Wie man herausfindet, wer Lipidsenker wirklich nicht verträgt

Das Statin-Roulette

Muskelschmerzen im Beratungsgespräch aufgreifen

Großer Nocebo-Effekt bei Statinen

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.