Aus den Ländern

„Gute Gründe, sich endlich aufzulehnen“

Graue besorgt um wirtschaftliche Situation und Datenschutz

HAMBURG (tmb) | Bei der Mitgliederversammlung des Hamburger Apothekervereins am 15. November 2022 betonte der Vorsitzende Dr. Jörn Graue den Handlungsbedarf angesichts der wirtschaftlichen Situation der Apotheken. Außerdem mahnte er, den Datenschutz ernst zu nehmen. Dabei drohe ein neues Problem wegen der anlasslosen Übermittlung von Chargen­nummern.
Foto: DAZ / tmb

Dr. Jörn Graue sieht aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Apotheken dringenden Handlungsbedarf.

In seinem Bericht knüpfte Graue zunächst an Gedanken an, die er am 3. September als Vorsitzender des Norddeutschen Apotheken-Rechenzentrums vorgetragen hatte (siehe DAZ 2022, Nr. 36, S. 70).
Graue hob den fehlenden Inflationsausgleich für die Apotheken als Grundproblem der geltenden Preisbildung hervor. Die Berufspolitik habe dabei eine Aufgabe, „deren Bewältigung für viele Apotheken über Sein oder Nichtsein entscheiden wird“. Es müsse darum gehen, „das Fixum zu erhöhen oder zusätzliche Vergütungselemente zu kreieren, deren Benefit nicht durch einen entsprechenden Aufwand zunichte gemacht wird“. Doch angesichts des Defizits im Gesundheitswesen und ohne durchgreifende Reformen der Krankenkassen und der Krankenhäuser seien Beitragserhöhungen und noch höhere Einbußen bei den Leistungserbringern zu befürchten. Entsprechende „Folterwerkzeuge“ könnten eine Deckelung der Marge und massive indirekte Einflüsse sein, beispielsweise die Deckelung der Herstellerabgabepreise, Herstellerrabattverluste bei Insolvenzen von „Zombiefirmen“ und Verluste bei einer Mehrwertsteuersenkung, die aber nach Einschätzung von Graue aus vielerlei Gründen nicht im Mittelpunkt stehen werde. Graue folgerte: „Das Maß ist voll.“ Doch dann hätten wir noch „einen sich ständig selbst reformierenden Gesundheitsminister“, der die noch verbliebenen Kühe melken wolle, „bis diese erledigt oder weg sind.“ Graue kritisierte diesen „Sozialpopulismus“ und die „Neigung, immer mal wieder Lokalrunden zu spendieren“ und die Rechnung am Ende „den angeblich heiß geliebten Apothekern rüberzuschieben“. Solche Politiker würden den Staat viel Geld kosten und hätten nur „Schattenvorstellungen von privatwirtschaftlich geführten Apotheken“. Die Apotheken würden nur noch von der Substanz leben. „Die Betriebsergebnisse reichen möglicherweise zum Leben, aber gewiss nicht zum Investieren. Das wirkt zwar langsam, ist aber am Ende doch tödlich für die Apotheke“, erklärte Graue. „Der Baum ist entlaubt, der dürre Stamm zeigt keine Sprossen mehr“, konstatierte Graue. Er sehe gute Gründe, „sich endlich aufzulehnen, auch wenn allgemeiner Konsens ausbleibt“. Nur vier Apothekerverbände hätten zum jüngsten Streiktag aufgerufen, aber Graue sieht dies als „unverzichtbar im Gehege einer immer unberechenbareren und durchaus auch bösen Politik“.

Mehr Respekt vor Datenschutz!

Mit Blick auf das E-Rezept verwies Graue auf das „Verdienst beruflich Verantwortlicher und außenstehender Kritiker“, Schwächen beim Datenschutz zu benennen. Dem Datenschutz werde bei der Datenübermittlung zu wenig Respekt gezollt, obwohl es dabei um Grundrechte gehe, die das Bundesverfassungsgericht auch als objektive Werteordnung für alle Bereiche betrachte. Daher beschrieb Graue die Einstellung der Pilotprojekte für das E-Rezept in Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe als folgerichtig. Die Begründung, der Datenschützer sei schuld daran, verwechsle den Zusammenhang von Ursache und Wirkung.

In diesem Umfeld sei er auf einen „höchst unglücklichen“ Vorgang gestoßen, berichtete Graue. Es gehe um die Frage, wie die Verpflichtung zur regelhaften Angabe der Chargennummer des abgegebenen Arzneimittels im Abgabedatensatz des E-Rezepts in die diesbezügliche Vereinbarung mit dem GKV-Spitzenverband geraten sei und was die Rechtsgrundlage dafür sei (ausführlich zu Graues Darstellung siehe AZ Nr. 47; zum Hintergrund siehe auch DAZ Nr. 46, S. 50 ff.). Wegen der sehr seltenen Fälle eines Schadenersatzes der Krankenkassen gegenüber Arzneimittelherstellern bei Arzneimittelrückrufen müsse nun jede Apotheke bei allen ­E-Rezepten die Chargennummer übermitteln, aber das gehe extrem über das hinaus, was der Gesetzgeber verlange, nämlich nur eine Mitwirkung in solchen Fällen, erklärte Graue. Die hundertprozentige Übermittlung sei dagegen nicht erforderlich und nicht verhältnismäßig. Vielmehr schaffe sie zusätzliche Retaxmöglichkeiten, und die Verbindung mit personenbezogenen Daten sei hochsensibel. Graue folgerte: „Hier tickt wieder einmal eine Zeitbombe.“ Er habe dazu zwei Rechtsgutachten vom Datenschutz Nord und vom Apothekenrechtler Prof. Dr. Hilko Meyer eingeholt, die unabhängig voneinander zum Ergebnis kämen, dass die anlasslose Übermittlung der Chargennummer ohne Rechtsgrundlage unzulässig ist (zum Gutachten von Prof. Dr. Hilko Meyer siehe Seite 90 in dieser Ausgabe der DAZ). Außerdem habe er bei den Landesdatenschützern angefragt.

Wann lernt das E-Rezept ­laufen?

Graue warnte davor, den Datenschutz zu ignorieren, „bis das Kind wieder einmal in den Brunnen gefallen ist“, nur um die schnelle Einführung des E-Rezepts durchzusetzen. „Mitnichten sollen wir uns das Image eines obrigkeitshörigen Berufsstands anheften lassen“, wie dies schon in ­sozialen Medien zu vernehmen sei, mahnte Graue und forderte, ein ­System wie das E-Rezept dürfe erst in Kraft gesetzt werden, wenn es rund laufe. Graues Fazit zum E-Rezept war: „Bin wirklich gespannt, wann dieser Homunkulus endlich das Laufen lernt“.

Preis- statt Packungsdynamik

Vereinsgeschäftsführer Georg Zwenke verwies im Geschäftsbericht auf die sinkende Zahl der Vereinsmit­glieder als Folge der Abnahme der Zahl der Apotheken, insbesondere der Hauptapotheken. Dagegen sei der Anteil der Mitgliedsapotheken gestiegen und betrage 96,8 Prozent der 375 Apotheken in Hamburg. Außerdem vermittelte Zwenke einige grundsätzliche Gedanken zu den Belastungen der Apotheken und zum jüngsten Apothekenstreik, die er bereits am 29. Oktober bei der Mitgliederversammlung des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein ausgeführt hatte (siehe DAZ 2022, Nr. 44). Er betonte, dass es bei den GKV-Ausgaben keine Packungs-, ­sondern eine Preisdynamik gibt. |

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