COVID-19

Autoantikörper und Mikrozirkulation als Schlüssel zum Verständnis von Long-COVID

Warten auf klinische Studie mit dem DNA-Aptamer BC 007

tmb | Das DNA-Aptamer BC 007 gilt als Hoffnungsträger für Long-COVID-Patienten, seit die Augenärztin Priv.-Doz. Dr. Bettina Hohberger damit an der Uniklinik Erlangen erfolgreiche Heilversuche durchgeführt hat. Die DAZ berichtete darüber im Juni. Für eine Studie warten die Forscherin und ihre Patienten jedoch auf das Arzneimittel des Herstellers Berlin Cures. Wir sprachen mit Hohberger über den Stand der Studie und ihre jüngsten Untersuchungen zur Mikrodurchblutung bei Long-COVID.

Schon im Juni liefen die Vorbereitungen für „reCOVer Erlangen“ auf Hochtouren (siehe DAZ 2022, Nr. 23, S. 26). Diese Studie zum Einsatz des DNA-Aptamers BC 007 bei Long-COVID-Patienten mit Autoantikörpern gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren ist mit dem größeren Projekt „disCOVer“ (Diagnosis Long-COVID Erlangen) verbunden, bei dem die Pathogenitätsmechanismen der Betroffenen unterschieden werden. Im Sommer berichteten jedoch verschiedene Publikumsmedien über Verzögerungen der Studie zu BC 007. Dabei habe eine Rolle gespielt, dass der Hersteller von BC 007, das Pharmaunternehmen Berlin Cures, ein internationales Unternehmen mit der Organisation von Studien beauftragt habe. Priv.-Doz. Dr. Bettina Hohberger bestätigte nun, dass die Vorbereitungen für die Studie an der Uniklinik Erlangen auf Hochtouren laufen und die Patienten jederzeit rekrutiert werden können. Die Dokumente, die vom Pharmaunternehmen zur Verfügung gestellt werden müssen und zur Einreichung des Studienprotokolls beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte notwendig sind, seien bereits Ende September 2022 erwartet worden, aber derzeit bekäme die Universität kein Lieferdatum dafür genannt.

Foto: Seventyfour/AdobeStock

Biomarker gesucht

Die zentrale Herausforderung für Therapie-Studien mit Long-COVID beginnt jedoch bereits früher. Es fehlen derzeit noch objektive Biomarker für Long-COVID, meint Hohberger. Die Krankheit sei immer eine Zweitkalibrierung neben einer Hauptdiagnose, aber es gebe keine Primärkodierung für Long-COVID. Das sei die große Herausforderung. Ohne ein­deutigen, objektiven Biomarker ist es auch schwer, den Behandlungserfolg in einer Studie zu messen. „Wir brauchen ein objektives Kriterium. Dann ist viel gewonnen“, erklärt Hohberger. Dazu könnten die Unikliniken mit ihrer Forschung viel beitragen. Allerdings erwartet Hohberger nicht den einen Biomarker, mit dem sich Long-COVID messen lässt, sondern eher ein Diagnosekonzept, das sich auf das Zusammentreffen mehrerer Parameter und zusätzlich auf funktionelle Einschränkungen stützt.

Autoantikörper nicht allein ­entscheidend

Den Ansatzpunkt ihrer Forschung bilden die Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, die Hohberger zunächst bei Glaukom-Patienten untersucht hatte. Solche Autoantikörper fielen dann auch bei Long-COVID-Patienten auf, aber Hohberger sieht sie nur als Teil eines Pathogenitätsmechanismus für Long-COVID, ähnlich wie beim Glaukom. Diese Überlegungen bilden einen zentralen Aspekt bei ihrer jüngsten Publikation, die als Zwischenauswertung der Studie „Diagnosis Long-COVID Erlangen“ entstanden ist. Die Arbeit geht von der Hypothese aus, dass das Vorliegen von Autoantikörpern gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren mit einer verschlechterten Mikrozirkulation in der Retina und anderen kleinen Gefäßen einhergeht. Zugleich wird Long-COVID vielfach sowohl mit dem Einfluss von Autoantikörpern als auch mit einer gestörten Mikrozirkulation in Verbindung gebracht. Diese Erklärungsansätze verweisen auf Effekte von Mikrogerinnseln oder Neutrophilen oder auf direkte Einflüsse des Virus auf die Blutgefäße. Daher könnte die Visualisierung der verschlechterten Mikrodurchblutung die Forschung voranbringen.

Retina stellvertretend für ­gesamte Mikrodurchblutung

Da die Retina vergleichsweise gut zu beobachten ist, bietet sie sich als Marker für die gesamte Mikrozirkulation an. Dazu hat das Team um Hohberger die optische Kohärenz-Tomografie-Angiografie genutzt und dabei wahrscheinlich erstmals die Mikrozirkulation der Retina bei Long-COVID-Patienten in Verbindung mit Autoanti­körpern untersucht. Als Maß für die Qualität der Durchblutung diente der Quotient aus der Anzahl der bewegten Elemente (Blutzellen) und der unbewegten Elemente (Gewebe) in den Bildscans. In der Untersuchung an 92 Augen von Long-COVID-Patienten und Kontrollpersonen wurden in mehreren Schichten der Retina bei Vorhandensein verschiedener Auto­antikörper jeweils signifikante Verschlechterungen der Mikrozirkulation gefunden, die bei Frauen stärker ausgeprägt waren. Damit könnte ein Bogen zur Therapie geschlagen werden. Denn für Therapieansätze, die auf die Entfernung oder Bindung der Autoantikörper zielen, wurden Verbesserungen der Symptome berichtet, beispielsweise für BC 007.

Ischämie als Kofaktor

Zum Pathogenitätsmechanismus diskutieren die Autoren um Hohberger, dass nicht allein das Vorhandensein der Autoantikörper, sondern ihre funktionelle Aktivität relevant sei, die wiederum von zusätzlichen Bedingungen oder Kofaktoren abhänge. Insbesondere könne die Konformation des Rezeptors durch eine bestehende Ischämie verändert sein. Dazu wird auf frühere In-vitro-Untersuchungen verwiesen, nach denen die Ischämie eine Voraussetzung für vasokonstriktorische Effekte von Autoantikörpern ist. Nach der Bindung des Autoantikörpers wären der Rezeptor und damit die folgende Signalkaskade dauerhaft aktiviert. Diese permanente Aktivität könne die zelluläre Calcium-Homöo­stase stören, daraufhin Apoptose auslösen und auch die Ischämie verstärken, womit sich der Kreis dieses Pathogenitätsmodells schließt. Bei den betrachteten Rezeptoren steht das Renin-Angiotensin-System (RAS) im Mittelpunkt. Denn das Spike-Protein von SARS-CoV-2 bindet an ACE-2. Bei den Long-COVID-Patienten wurden Autoantikörper gegen mehrere Rezeptoren innerhalb des RAS gefunden, und solche Autoantikörper wurden bereits mit kardiovaskulären Erkrankungen in Verbindung gebracht.

Für eine weitere Zwischenauswertung der Studie „Diagnosis Long-COVID Erlangen“ zur Beziehung zwischen Fatigue bei Long-COVID und der Mikrozirkulation wird die Veröffentlichung demnächst erwartet. Trotz dieser umfangreichen Ergebnisse bedauerte Hohberger im Gespräch mit der DAZ, dass die oft nur kurzfristige Finanzierung von Forschungsarbeiten ein großes Hindernis für die Besetzung von Stellen und damit für das Gewinnen neuer Erkenntnisse zu Long-COVID sei. |

Literatur

Szewczykowski C et al. Long COVID: Association of Functional Autoantibodies against G-Protein-Coupled Receptors with an Impaired Retinal Microcirculation. Int J Mol Sci 2022;23(13):7209, https://doi.org/10.3390/ijms23137209

Das könnte Sie auch interessieren

Bindung von Autoantikörpern mit BC 007 auf dem Prüfstand

Auf drei Wegen gegen Long-COVID

BC 007 bessert Symptomatik durch Neutralisation von Autoantikörpern

Ein Licht am Ende des Long-COVID-Tunnels?

Therapieansätze für Long-COVID sind so zahlreich wie die Beschwerden

Die Symptome kurieren

Expertengespräche auf dem ersten Long-COVID-Kongress

Aufklärung, Forschung und Pragmatismus sind gefragt

Was wir über das chronische Fatigue-Syndrom wissen

Einfach nur fix und fertig!

Studien für die Zukunft und Supportiva für heute

Vielfältiger Arzneimitteleinsatz bei Long-COVID

Stand des Wissens zu einem Syndrom, das mehr Gesichter hat als unser Körper Organe

Long-COVID und kein Ende

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.