Arzneimittel und Therapie

Die nächste Corona-Welle

Centaurus & Co. – was rollt da auf uns zu?

Die SARS-CoV-2-Sommerwelle ist überstanden, doch Experten fürchten, dass der Herbst eine nächste Infektionswelle der COVID-19-Pandemie bringen könnte. Anders als bei vorherigen Wellen scheint sich aber noch kein richtiger Kandidat dafür anzukündigen. Neue Varianten des Virus scheint die Omikron-Dominanz bislang nicht zuzulassen, und auch neue Subtypen haben es anscheinend schwer. Wir fassen hier zusammen, was derzeit bekannt ist.

Alpha, Beta, Gamma, Delta, Omikron – und dann Omikron in verschiedenen Schrifttypen. So liest sich das griechische Alphabet nach Corona. Seit SARS-CoV-2 vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist – vermutlich irgendwann Ende 2019 im chinesischen Wuhan –, hat es eine schnelle Evolution durchgemacht. Nicht unüblich bei Viren, die sich neu an den Menschen als Wirt anpassen. Die Abfolge immer neuer besorgniserregender und unter Beobachtung stehender Varianten bescherte mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung nach der jeweiligen Entdeckung eine Reihe von signifikanten Erkrankungswellen. In Deutschland verzeichnete man im Sommer die fünfte Welle seit Beginn der Pandemie. Nun sorgt man sich, dass im Herbst die sechste anstehen könnte.

Aber auch wenn seit etwa Anfang September die Infektionszahlen wieder sehr langsam steigen, zeichnet sich kein neuer Kandidat ab. Gab es bei den bisherigen Wellen immer einen deutlichen Ausbruch neu aufgetretener Varianten oder Subtypen in Ländern wie Großbritannien oder Indien im Vorfeld zu den dann später hier in Deutschland folgenden Infektionswellen, ist das diesmal so deutlich nicht der Fall. In Indien gibt es zwar seit dem Sommer einen Anstieg der Sub­variante BA.2.75, die auch den Namen Centaurus bekam, allerdings spielt dieser Subtyp ansonsten weltweit entgegen aller Befürchtungen keine wesentliche Rolle. In Deutschland etwa dominiert auch in der 39. Kalender­woche mit knapp 96% immer noch der Omikron-Subtyp BA.5. Der Anteil von BA.4 ist leicht gesunken und liegt bei 1,9% aller sequenzierten COVID-19-­Infektionsfälle, bei BA.2 ist ein leichter Anstieg auf 2% zu beobachten [wöchentlicher Lage­bericht des RKI].

Indien hatte allerdings auch anders als Deutschland keine BA.5-Welle. BA.2.75 vermag zwar unter anderem dank einer N460K-Mutation (einem Austausch von Asparagin durch Lysin an Position 460) sowie weiterer Mutationen die Immunabwehr von bereits zuvor mit Delta Infizierten besser zu umgehen als BA.5. Wer aber bereits mit BA.5 infiziert war, ist wohl auch gegen BA.2.75 recht gut geschützt.

Foto: AMO/AdobeStock

BU und BQ als neue ­Subvarianten?

Weitere Subvarianten, vor denen etwa vor Kurzem US-amerikanische Virologen warnten, sind BU und BQ. Mit 24 weiteren Subtypen im Abwasser der amerikanischen 300.000-Einwohner-Stadt St. Louis gefunden, trauen die Forscher den beiden Subtypen zu, in naher Zukunft eine bedeutende Rolle im Infektionsgeschehen zu spielen. Beide sind aber ebenfalls „nur“ weitere Omikron-Subtypen, die nun allerdings weitere neue Mutationen ins­besondere am Spike-Protein tragen – dem „Schlüssel“, mit dem das Virus in die Zellen gelangt.

Bislang hat sich noch keine deutliche Infektionswelle mit diesen neuen Untervarianten abgezeichnet – die Möglichkeit besteht allerdings. Forscher vermuten aber, dass die Impfungen und auch wahrscheinlich überstandene Infektionen zumindest weiterhin vor schweren Verläufen einer COVID-19-Infektion schützen.

VOC und VOI

  • Variants of Concern (VOC): besorgniserregende Varianten, bei denen es Hinweise auf eine erhöhte Übertragbarkeit gibt, einen schwereren Krankheitsverlauf und/oder eine immunevasive Wirkung (Alpha (B.1.1.7), Beta (B.1.351), Gamma (P.1), Delta (B.1.617.2) und Omikron (B.1.1.529)
  • Variant of Interest (VOI): Varianten, die unter Beobachtung stehen, weisen charakteristische Aminosäure-Austausche auf, die mit einer erhöhten Übertragbarkeit, Virulenz und/oder veränderter Immunantwort assoziiert sind
  • Variant under Monitoring (VUM): Virusvarianten mit bedenklichen Mutationen
  • Variant under Investigation (VUI): Varianten, die sich zu einer kritischen Variante entwickeln könnten

„Friedliche Koexistenz“ mit dem Virus?

Offiziell ist bei der Weltgesundheits­organisation (WHO) jedenfalls Omikron mit seinen diversen Sub­typen weiterhin die einzige VOC – Variant of Concern, die noch im Umlauf ist. Alle vorherigen sind bis auf marginale Delta-Vorkommen vollständig verschwunden. Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) listet Stand 22. September 2022 BA.2, BA.4 und BA.5 als besorgniserregend, BA.2.75 als VOI (Variant of Interest) und BA.4 und BA.5 mit den zusätzlichen Mutationen R346X (Arginin durch eine unbekannte Aminosäure ersetzt an Position 346) als VUM (Variant ­under Monitoring).

Ein klares Bild für den Herbst ergibt sich damit aus den bisherigen Daten weltweit nicht. Vorbei ist die Pandemie nicht – mit etwas Glück allerdings hat sich das Virus so weit angepasst, dass zukünftig hauptsächlich (jedenfalls bei nicht vorbelasteten Menschen) nur noch leichte Verläufe zu erwarten sind. Ein gut angepasstes Virus tötet seinen Wirt nämlich nicht. Die Evolution läuft langfristig auf eine Art von Koexistenz heraus wie etwa bei den Cytomegalie-Viren (CMV), die fast jeder Mensch in sich trägt, aber nur in Ausnahmefällen bemerkt.

Allerdings kann es durchaus passieren, dass neue „unangepasste“ Mutationen auftauchen, die auch schwere Verläufe und Todesfälle hervorrufen. |

Literatur

Wöchentlicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19). Informationen der Robert Koch-Instituts (RKI), Stand 13. Oktober 2022, www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2022-10-13.pdf?__blob=publicationFile

Volker Budinger, Diplom-Biologe

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