Nobelpreise

Ausgezeichnete Clicks und Neandertaler

Nobel-Preise für Moleküldesigner und Evolutionsforscher

vb/daz | Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften hat in Stockholm mit den diesjährigen Preisträgern der Nobel-Preise für Chemie und Medizin die Molekülforschung und die Paläogenetik in den Mittelpunkt gerückt.

Die Auszeichnung auf dem Gebiet der Chemie geht an die Molekülforscher Carolyn Bertozzi (USA), Morten Meldal (Dänemark) und Barry Sharpless (USA) als Ehrung für die Erforschung der Click-Chemie und deren Nutzung für bioorthogonale Reaktionen. Wenn in der Natur komplexe Biomoleküle synthetisiert werden, funktioniert das meist nach einem einfachen, variier­baren und energieeffizienten Prinzip – Schritt für Schritt aus immer gleichen Modulen. Auch die Proteinbiosynthese läuft so: angefangen beim schrittweisen Zusammenbau der Boten-RNA (mRNA) aus Nukleotiden, die aus dem Zuckergrundgerüst Ribose und einer der vier Basen Adenin, Uracil, Guanin und ­Cytosin bestehen, bis zum Zusammenbau der Proteine aus den Aminosäuren. Wie in einem Molekülbaukasten kann man sich das vorstellen – die einzelnen Elemente lassen sich quasi zusammenklicken und ergeben große komplexe Moleküle.

Foto: Johan Jarnestad / The Royal Swedish Academy of Sciences

„It just says click“ Für die Erforschung der Click-Chemie und deren Nutzung für bioorthogonale Reaktionen und die Synthese komplexer Biomoleküle wurden Carolyn Bertozzi, Barry Sharpless und Morten Meldal ausgezeichnet.

Komplexe chemische Reaktion bei Raumtemperatur ...

2001 begründete der US-Chemiker Karl Barry Sharpless die Click-Chemie, die dieses Prinzip der Natur für die Synthese von komplexen Biomolekülen nachahmt und erhielt dafür seinen ­ersten Nobelpreis für Chemie – damals für seine Arbeiten über stereoselektive Oxidationsreaktionen. 2022 darf er sich zum zweiten Mal über diese Auszeichnung freuen, für eben jene Click-Chemie. Er ist damit einer der wenigen Menschen, die den Preis zweimal erhielten (vor ihm Marie Curie, Linus Carl Pauling, John Bardeen und Frederick Sanger). Konkret würdigte die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften allerdings die Entdeckung der „Kupferkatalysierten Azid-Alkin-Cycloaddition“, mit der sich ­Kohlenhydrate modifizieren lassen. Diese als bekannteste Reaktion der Click-Chemie geltende organisch-chemische Reaktion entwickelte Sharpless 2003 – und unabhängig von ihm auch der dänische Forscher Morten Meldal. Diese Reaktion funktioniert bei Raumtemperatur im Lösungsmittel Wasser. Damit benötigt sie wenig ­Energie und hat einfache Reaktions­bedingungen. Bedeutung hat dieser Zweig der organischen Chemie ins­besondere für die Pharmaforschung – so lässt sich etwa im Hochdurchsatz-Screening oder auch am Computer nach geeigneten Molekülen suchen, die eine gewünschte Wirkung erzielen. Indem die Synthese dann in Einzelschritten nach dem Click-Chemie-­Verfahren schrittweise aufgebaut wird, lassen sich auch hochkomplexe Bio­moleküle mit wirtschaftlichen Reagenzien und Reaktionsbedingungen vollsynthetisch erzeugen.

... und Kartierung von Zellen

Eine andere Anwendung der Click-Chemie ist in diesem Jahr ebenfalls ausgezeichnet worden: die US-Amerikanerin Carolyn Bertozzi erforscht bioorthogonale Reaktionen, die in einer lebenden Zelle ablaufen, ohne die Funktionen der Zelle zu stören. Sie nutzte diese Reaktionen, um zunächst in Zellkultur und später auch in vivo Strukturen zu markieren und Zellen kartieren zu können. Da Kupfer in der Regel für viele Zellen toxisch ist, entwickelte Bertozzi die kupferfreie Click-Chemie. Dazu modifizierte sie die 1,3-dipolare Cycloaddition nach Huisgen, sodass sie bei Raumtemperatur ohne Katalysator abläuft. Damit werden mit dem Nobel-Preis für Chemie sowohl die Grundlagen für Wirkstoffforschung als auch die Erforschung von Synthesewegen von Wirkstoffen gewürdigt – neben ­zahlreichen ­weiteren Anwendungsmöglichkeiten der Reaktionen der ­Click-Chemie.

Wie Neandertaler noch heute unsere Gesundheit prägen

Foto: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Der Genetiker Svante Pääbo rekonstruierte das Erbgut ausgestorbener Früh­menschen und zeigte, dass der moderne Mensch mit dem Neandertaler mehr gemein hat, als lange vermutet wurde.

Der Nobel-Preis für Medizin geht an den in Leipzig forschenden Schweden Svante Pääbo für seine Erkenntnisse zur menschlichen Evolution. Er versucht mit seiner Forschung zu beantworten, woher wir kommen und in welcher Beziehung wir zu denen stehen, die vor uns kamen. Svante Pääbo gilt als Gründer der Paläogenetik, einer neuen wissenschaftlichen Disziplin. Die Forschung von Pääbo wird als bahnbrechend eingeschätzt, weil er etwas scheinbar Unmögliches geschafft hat: die Sequenzierung des Neander­taler-Genoms. Er entwickelte völlig neue Methoden zur Bestimmung von Erb­gut-Sequenzen aus historischen Über­resten (ancient DNA) und konnte so mitochondrische DNA-Sequenzen aus dem Knochen eines Neandertalers ­gewinnen und über drei Milliarden Basenpaare des Zellkerngenoms des ausgestorbenen Urmenschen sequenzieren. Dadurch konnte erstmals das Genom des modernen Menschen mit dem des Neandertalers verglichen und belegt werden, dass sich frühe Europäer mit Neandertalern vermischt haben. Zudem hat er eine neue, bereits ausgestorbene Gattung unserer Vorfahren entdeckt, den Denisova-Menschen. Wichtig ist seine Forschung, weil wir auch heute noch Gene dieser Vorfahren in uns tragen. Bei den heutigen Menschen europäischer oder asiatischer Abstammung sollen etwa 1 bis 4% des Genoms von den Neandertalern stammen, in Südostasien sollen die heutigen Menschen 6% der Gene des Denisova-Menschen in sich tragen. Einige der Gene, die vom Neandertaler weitervererbt wurden, sind für heute lebende Menschen von Vorteil. Viele tragen jedoch zur Anfälligkeit für Krankheiten bei. Svante Pääbo untersucht auch die Rolle dieser Gene bei der Entstehung von Krankheiten. Die Vergabe des Medizin-Nobelpreises an einen einzelnen Forscher ist eher selten, zuletzt war das 2016, 2010 und 1999 der Fall. |

Weitere Nobel-Preise 2022

Foto: JeanLuc/AdobeStock

Der Friedens-Nobelpreis 2022 geht zu gleichen Teilen an den Rechtsanwalt Ales Bjaljatzki (Belarus), die Menschenrechtsorganisationen Memorial (Russland) und Center for Civil Liberties (CCL, Ukraine) für ihren Kampf für Bürgerrechte in ihren Heimatländern. Die Preisträger ­repräsentieren in ihren Heimatländern jeweils die Zivilgesellschaft und setzen sich seit Jahren für das Recht zur Kritik an der Macht und fundamentale Bürgerrechte ein, so in der Begründung. Die Vorsitzende des CCL, Olexandra Matwijtschuk, hat am 29. September bereits den alternativen Nobel-Preis 2022 der Right-Livelihood-Stiftung erhalten.

Den Literatur-Nobelpreis 2022 erhielt die französische Autorin Annie Ernaux. Die Schwedische Akademie zeichnet die Autorin „für den Mut und die ­klinische Schärfe, mit der sie die ­Wurzeln, Entfremdungen und kollektiven Fesseln der persönlichen ­Erinnerung aufdeckt“, aus.

Der Physik-Nobelpreis 2022 geht für Arbeiten auf dem Gebiet der Quantenforschung an den Franzosen Alain Aspect, den US-Amerikaner John Clauser und den Österreicher Anton Zeilinger. Ihre Experimente hätten den Grundstein für eine neue Ära der Quantentechno­logie gelegt, begründete die ­Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften ihre Entscheidung. Die Laureaten hätten mit bahnbrechenden Experimenten gezeigt, dass es möglich ist, Teilchen zu untersuchen und zu kontrollieren, die sich in verschränkten Zuständen ­befinden.

Der Nobel-Preis für Wirtschafts­wissenschaften geht zu gleichen Teilen an die drei US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Ben Bernanke (Brookings Institution), Douglas Diamond (University Chicago) und Philip Dybvig (Washington University), die die wichtige Rolle von Banken in Wirtschaftskrisen und zugleich deren Verletzlichkeit erforscht haben. Der Preis für Wirtschaftswissenschaften ist streng genommen kein echter Nobel-Preis, denn er geht nicht auf Alfred Nobels Testament zurück, sondern wurde nachträglich von der Schwedischen Reichsbank gestiftet und 1969 zum ersten Mal verliehen.

Alle Nobel-Preise werden traditionell am 10. Dezember überreicht, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.

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