Pandemie Spezial

Nicht nur Antikörper ante portas

Neue Arzneimittel gegen COVID-19 machen Hoffnung

Die Anstrengungen zur Entwicklung von Arzneistoffen für COVID-19-Patienten haben Früchte getragen. Einige Wirkstoffe sind bereits zugelassen, weitere werden folgen.

Die Entschlüsselung des Genoms von SARS-CoV-2, die bereits im Januar 2020 erfolgte, bildete den Ausgangspunkt für die gezielte Suche nach Wirkstoffen, die die Vermehrung des Virus in mensch­lichen Zellen behindern können. Weitere potenzielle Wirkprinzipien gegen COVID-19 sind die Verhinderung des Andockens an und der Verschmelzung mit der Wirtszelle durch Entry- und Fusionsinhibitoren sowie der Freisetzung der neu gebildeten Viren durch Release-Inhibitoren. Nicht zuletzt ist die rechtzeitige Gabe von neutralisierenden Antikörpern eine Option zur Behandlung von Menschen, die sich mit SARS-CoV-2 infiziert haben (s. Abb.).

Abb.: SARS-CoV-2-Vermehrungszyklus und Targets für antivirale Arzneistoffe (nach [Schubert-Zsilavecz M. pharmacon@home])

Arzneimittel gegen COVID-19 – wie ist der Stand?

Wie Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main, in einem Vortrag auf der virtuellen Fortbildungsveranstaltung pharmacon@home erläuterte, hat die Wirkstoffentwicklung bisher virusneutralisierende Antikörper, Protease-Inhibitoren und RNA-Polymerase-Inhibitoren hervorgebracht, die zum Teil schon bei Patienten angewendet werden. Darüber hinaus kommen bei COVID-19 derzeit auch Immunmodulatoren zum Einsatz, die keine antiviralen Eigenschaften besitzen, mit deren Hilfe aber die potenziell gefährlichen überschießenden Immunreaktionen bekämpft werden können (s. Tab.). Sie besitzen bereits Zulassungen für andere Erkrankungen, bei denen entzündliche Prozesse eine Rolle spielen, wie beispielsweise die rheumatoide Arthritis. Eingesetzt werden sie ausschließlich in der Klinik bei Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung.

Tab.: Arzneimittel gegen COVID-19, Stand 7. Januar 2022
Wirkstoffe
Präparate
Target/Wirkprinzip
Zulassungsstatus bei COVID-19
antivirale Wirkstoffe
Casirivimab/Imdevimab (i. v., s. c.)
Ronapreve®
Antikörper gegen Spike-Protein
zugelassen
Molnupiravir (p. o.)
Lagevrio®
RNA-Polymerase von SARS-CoV-2
EMA prüft Zulassung
Nirmatrelvir/Ritonavir (p. o.)
Paxlovid®
3CL-Protease
EMA prüft Zulassung
Regdanvimab (i. v.)
Regkirona®
Antikörper gegen Spike-Protein
zugelassen
Remdesivir (i. v.)
Veklury®
RNA-Polymerase von SARS-CoV-2
zugelassen
Sotrovimab (i. v.)
Xevudy®
Antikörper gegen Spike-Protein
zugelassen
Tixagevimab/Cilgavimab (i. m.)
Evusheld®
Antikörper gegen Spike-Protein
im Rolling-Review-Verfahren
Immunmodulatoren
Baricitinib (p. o.)
Olumiant®
JAK1/JAK2-Inhibitor
EMA prüft Zulassung
Dexamethason (i. v.)
Fortecortin®, Generika
Glucocorticoid
zugelassen
Kineret (s. c.)
Anakinra®
Interleukin-1-Inhibitor
zugelassen
Tocilizumab (i. v.)
RoActemra®
IL-6-Rezeptorantagonist
zugelassen

Auch wirksam gegen Omikron?

Werden Medikamente mit virusneutralisierenden Antikörpern, von denen bereits drei zugelassen sind (Ronapreve®, Regkirona®, Xevudy®), in der Frühphase von COVID-19 eingesetzt, kann die Ausbreitung der Viren im Körper behindert werden. Die Antikörper-Kombination Evusheld® ist Dank der intramuskulären Anwendung leichter applizierbar. Sie befindet sich bei der EMA noch im Rolling-Review-Verfahren, erläuterte Schubert-Zsilavecz. Das Target aller Virus-neutralisierenden Antikörper ist das Spike-Protein auf der Oberfläche der Viren. Daher stellt sich die Frage, ob sie gegen Virusvarianten mit mutationsbedingt stark verändertem Spike-Protein, wie bei der derzeit dominierenden Omikron-Variante, überhaupt noch wirksam sind. Aktuelle In-vitro-Daten geben zu der Hoffnung Anlass, dass Sotrovimab auch gegen die Omikron-Varianten wirksam ist.

Zwei Polymerase-Inhibitoren entwickelt

In der Gruppe der RNA-Polymerase-Inhibitoren, die das Schlüsselenzym für die Vermehrung von SARS-CoV-2 in der Wirtszelle blockieren, sind zwei Arzneistoffe entwickelt worden. Remdesivir (Veklury®) ist bereits zugelassen zur stationären Behandlung von COVID-19 bei Erwachsenen und Jugendlichen ab zwölf Jahren mit mindestens 40 kg Körpergewicht mit einer Pneumonie, die eine zusätzliche Sauerstoffzufuhr zu Therapiebeginn erfordert. Nach Schubert-Zsilavecz ist die Wirksamkeit dieses Arzneistoffs jedoch nicht überzeugend. Bei Molnupiravir, das in Europa noch nicht zugelassen, aber seit 3. Januar 2022 bereits in Deutschland verfügbar ist, liegt der Vorteil in der oralen Appli­kation. Im Körper wird Molnupiravir zum Ribonukleosid-Analogon N-Hydroxy-Cytidin verstoffwechselt, dann in ein Triphosphat überführt und durch die virale RNA-Polymerase in die virale RNA eingebaut. Es kommt daraufhin zu Fehlern im viralen Erbgut, und die Virusvermehrung wird gehemmt. Ob durch diesen Wirkmechanismus auch neue Virusvarianten entstehen können, ist derzeit noch unklar.

In Studien konnte gezeigt werden, dass ein früher Einsatz von Molnupiravir bei infizierten Personen mit hohem Risiko für schwere Krankheitsverläufe Klinikeinweisungen oder Todesfälle signifikant stärker verhindern konnte als Placebo. Zurzeit gibt es keine Hinweise auf schwerwiegende Arzneimittel-Interaktionen. Wegen der Teratogenität von Molnupiravir ist Schwangerschaft eine absolute Kontraindikation.

„Boostereffekt“ durch Wirkstoffkombination

Protease-Inhibitoren werden bereits bei anderen Viruserkrankungen wie HIV erfolgreich eingesetzt und können sich laut Schubert-Zsilavecz auch bei COVID-19 zu „Game-Changern“ entwickeln. Sie hemmen Enzyme, die Vorläuferproteine zu wichtigen maßgeschneiderten Eiweißen für den Aufbau neuer Viren zerschneiden. Die Haupt-Protease des SARS-CoV-2, die 3C-like Protease, kann durch Nirmatrelvir gehemmt werden. Um zu verhindern, dass Nirmatrelvir nach oraler Applikation rasch abgebaut wird, enthält das potenziell neue Arzneimittel Paxlovid® den CYP3A4-Hemmer Ritonavir, der außerdem ein Hemmstoff des P-Glykoproteins ist. Durch diese Kombination werden ausreichend hohe Plasmaspiegel von Nirmatrelvir gewährleistet, Ritonavir besitzt also einen Boostereffekt. Paxlovid® wird eingesetzt in der Frühphase der Erkrankung, wenn die Viruslast hoch ist, aber kaum Sym­ptome auftreten und eine Hospitalisierung nicht oder noch nicht erforderlich ist. Bei diesem Arzneimittel sind Ärzte und Apotheker besonders gefragt, um Interaktionen zu verhindern. Denn Ritonavir hemmt auch den Abbau von anderen Arzneistoffen, die durch CYP3A-Enzyme metabolisiert werden, sodass Plasmakonzentrationen im toxischen Bereich entstehen können. Schubert-Zsilavecz äußerte seine Zuversicht, dass im Laufe des Jahres 2022 noch weitere Arzneimittel zur Behandlung von COVID-19 zugelassen werden. |

 

Literatur

Cameroni E et al. Broadly neutralizing antibodies overcome SARS-CoV-2 Omicron antigenic shift. Nature 2021, online publiziert am 23. Dezember 2021, doi: 10.1038/s41586-021-04386-2

Fachinformationen der zugelassnen Präparate, Rote Liste online

N.N. Antivirale Mittel für die Frühtherapie bei COVID-19? arznei-telegramm 2022;53(1):1-5

Schubert-Zsilavecz M. Vortrag „Update Corona – allgemeine Situation und Wirkstoffe“, 17. Januar 2022, pharmacon@home

Wu F et al. A new coronavirus associated with human respiratory disease in China. Nature 2020;579(7798):265–269

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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