Die Seite 3

Eine Ermessenssache

Foto: DAZ/Alex Schelbert
Dr. Doris Uhl, 
Chefredakteurin der DAZ

Die EMA hat den Weg frei gemacht für Auffrischimpfungen mit Impfstoffen, die an die Omikron-Variante BA.1 angepasst wurden. Ein Durchbruch? Oder sind die neuen bivalenten mRNA-Impfstoffe der Firmen Moderna und Biontech/Pfizer lediglich „nice to have“?

Fakt ist, dass mit Auftreten der Omikron-Variante BA.1 die beiden Firmen ihre mRNA-Impfstoffe erst einmal auf diese Variante hin getrimmt haben. Doch das mutationsfreudige Virus hat allen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Variante BA.1 spielt momentan nur noch eine untergeordnete Rolle, schon seit Wochen dominiert hier wie in den USA BA.5, weshalb die FDA die Ansage gemacht hat, dass nur BA.4/BA5.-adaptierte Impfstoffe in den USA gewünscht seien.

Die Firmen standen unter Druck, denn die Generierung präklinischer und klinischer Daten benötigt auch bei Anpassungen von mRNA-Impfstoffen Zeit. Daher konnten sie so schnell keine klinischen Daten vorlegen, weshalb die FDA einfach kurzerhand darauf verzichtet und eine angepasste Notfallzulassung erteilt hat. Sie verweist auf die klinischen Studien mit den BA.1-adaptierten Impfstoffen und beruft sich auf die Erfahrungen mit den Anpassungen von Grippeimpfstoffen. Die FDA ist zuversichtlich, dass Booster mit den BA.4/BA.5-Impfstoffen den gewünschten Benefit bringen werden.

Nicht so die EMA. Sie fordert ein Minimum an klinischen Studien. Die liegen jedoch nur für die BA.1-adaptierten Impfstoffe vor, weshalb erst einmal nur diese in der EU für die Boosterimpfung zugelassen wurden (s. S. 29). Doch schützen sie überhaupt gegen die derzeit zirkulierende BA.5-Variante? Und wenn ja, schützen sie besser als die gegen das Ursprungsvirus gerichteten monovalenten Impfstoffe? Und sind die beiden adaptierten Impfstoffe gleich gut?

Valide Antworten auf diese Fragen werden wir so schnell nicht erhalten. Immerhin konnte gezeigt werden, dass die beiden neuen bivalenten Impfstoffe nicht nur gegen das Wuhan-Virus und BA.1 neutralisierende Antikörper induzieren, sondern auch – allerdings schwächer – gegen BA.5. Daraus resultiert die Hoffnung, dass eine vierte Impfung mit den adaptierten Impfstoffen auch schwere BA.5-induzierte Verläufe und Todesfälle effektiv verhindern wird. Zudem weisen Daten aus Portugal darauf hin, dass Geimpfte nach einer BA.1.-Durchbruchsinfektion gut vor einer weiteren Infektion mit BA.5 geschützt sein sollen. Umgehend wurde spekuliert, dass dann wohl auch eine Impfung mit den adaptierten BA.1-Vakzinen einen besseren Schutz vor BA.5 bieten sollte. Eine zunächst fromme, wenig evidenzbasierte Hoffnung. Mehr Evidenz gibt es hingegen für die Ursprungsvakzine von Biontech/Pfizer. Daten aus Israel zufolge schützte eine vierte Impfung mit dieser Vakzine besser vor Impfdurchbrüchen und schwerem Verlauf während der Omikron-Welle als die Dreifachimpfung (s. DAZ 2022, Nr. 32, S. 33).

Die STIKO empfiehlt bislang nur für Risikogruppen und Ältere ab 60 Jahren eine vierte Impfung bevorzugt mit den ursprünglichen mRNA-Impfstoffen. Ob sie auf Basis der dünnen Datenlage weitergehende Empfehlungen geben wird, erscheint fraglich. Bis zum Redaktionsschluss lagen solche zumindest nicht vor. Wer jetzt eine dritte, vierte oder gar fünfte Impfung mit einer adaptierten Vakzine erhalten soll, liegt damit zunächst im Ermessen der für die Impfung Verantwortlichen.

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