Arzneimittel und Therapie

Warten auf Digimerck minor 0,07 mg

Lieferengpass entspannt sich nur langsam

Herzglykoside gelten in der Therapie der Herzinsuffizienz nur noch als Reservemittel. Einige ältere Patienten sind jedoch schon seit Jahren stabil auf Digitoxin eingestellt. Die aktuellen Digimerck®-Lieferschwierigkeiten könnten ihre Behandlung ins Wanken bringen. Welche Alternativen es gibt und warum Digi­toxin in Zukunft eine Renaissance erleben könnte, erfahren Sie in diesem Artikel.

Herzwirksame Glykoside waren lange Zeit Mittel der ersten Wahl bei Herz­insuffizienz. Ihre Wirkung ist schon seit über 200 Jahren bekannt. Nach Bindung an die Magnesium-abhängige Na+/K+-­ATPase steigern sie die Kontraktionskraft der Herzmuskulatur (positiv inotrop), verlangsamen die Schlagfrequenz (negativ chronotrop) und erschweren die Erregungsleitung (negativ dromotrop). Zudem wirken sie positiv bathmotrop, das heißt, sie begünstigen eine heterotope Er­regungsbildung durch Senkung der Reizschwelle, was insbesondere zu Beginn der Therapie zu Extrasystolen und bei Überdosierung zu Kammerflimmern führen kann.

Immer seltener verordnet

Diese lebensbedrohlichen Nebenwirkungen und die enge therapeutische Breite lassen herzwirksame Glykoside mit Vorsicht genießen. Vor allem aber ist es die fehlende Evidenz für prognostisch günstige Wirkungen, die dazu geführt hat, dass die Verordnungszahlen in den vergangenen Jahren stetig zurückgegangen sind. 2017 waren es deutschlandweit geschätzt nur etwa 250.000 Patienten, die dauerhaft mit Herzglykosiden behandelt wurden, heutzutage sicher noch weitaus weniger.

Die Autoren der Nationalen Ver­sorgungsleitlinie „Chronische Herzinsuffizienz“ stufen Digitalis-Glykoside als zusätzliche Reservemedikamente ein, wenn Patienten im Sinusrhythmus trotz leitliniengerechter Therapie mit ACE-Hemmern (bzw. Angiotensin-Rezeptorblockern), Betablockern und Mineralocorticoid-Rezeptorantagonisten symptomatisch bleiben. Digoxin oder Digitoxin wirken nicht lebensverlängernd, können aber die Symptomatik und Lebensqualität verbessern sowie die Belastungstoleranz erhöhen und die Hospitalisierungsrate senken, heißt es in der Leitlinie.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Digimerck minor fehlt, was tun?

Lichtblick KW 40

Seitdem im Jahr 2019 die Zulassung des Präparats Digimed in den Stärken 0,07 und 0,1 mg erloschen ist, konkurrieren heute noch die Firmen Merck und Teva auf dem Markt. Nach Angaben des Herstellers ist derzeit das Präparat Digimerck nur in der Stärke 0,07 mg nicht lieferbar. Voraussichtlich sollen 100-Tabletten-Packungen ab der 40. Kalenderwoche 2022 wieder an den pharmazeutischen Großhandel geliefert werden können. Infolge von Bemühungen, die Patienten zumindest mit dem Wirkstoff versorgen zu können, haben Apotheken aber zeitweise auch mit Lieferengpässen in den Stärken 0,05 mg und 0,1 mg zu kämpfen. Hier ändert sich die Liefersituation von Tag zu Tag. Digitoxin AWD 0,07 mg ist bereits seit Anfang August wieder verfügbar, versichert Teva und nennt Lieferverzögerungen, personelle Ressourcen sowie eine erhöhte Nachfrage als Gründe für den Lieferengpass.

Cave Substitutionsausschlussliste

Doch Vorsicht: Digitoxin steht auf der Substitutionsausschlussliste. Soll im Notfall auf ein anderes Präparat ausgewichen werden, muss das Rezept vom Arzt neu ausgestellt oder geändert werden, sonst drohen Retaxationen.

DGK: Engpass nicht kritisch

Nicht wenige Apotheken standen in den vergangenen Wochen vor dem Problem, dass kein einziges Digitoxin-Präparat zu beschaffen war. Diese Situation stellte auch die behandelnden Ärzte vor Herausforderungen, da ein Wechsel des Wirkstoffs in diesem Fall schwierig ist. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) bewertet den derzeitigen Lieferengpass von Digitoxin dagegen nicht als kritisch. In einem Statement wird darauf hingewiesen, dass Digitoxin in der Kardiologie nur noch ein begrenztes Anwendungsgebiet habe. Dieses bestünde im Wesentlichen in der Frequenzkontrolle von Vorhofflimmern. Betablocker oder auch bradykardisierende Calcium-Antagonisten wie Verapamil oder Diltiazem seien die Medikamente erster Wahl. In der Regel komme Digitoxin nur dann zum Einsatz, wenn diese Medikamente nicht ausreichend wirken, nicht ausreichend hoch dosiert werden können, kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden. Diese Konstellationen seien jedoch selten. Als Alternative zu Digitoxin nennt die Fachgesellschaft primär Digoxin. Eine weitere Option zur Frequenzkontrolle stelle Amiodaron dar, auch wenn dieses primär zur Rhythmuskontrolle eingesetzt wird.

Digoxin – eine gute Alternative?

Herzglykoside haben die gleiche pharmakodynamische Wirkung, unterscheiden sich aber in ihrer Pharmakokinetik und nicht zuletzt in ihrem Sicherheitsprofil. Bis in die 1960er-Jahre hinein war Digitoxin in Deutschland das Mittel der Wahl bei Herzinsuffizienz. Man verwendete das Herzglykosid allerdings in Dosierungen von 0,15 bis 0,2 mg – also weitaus höher dosiert als heute und verbunden mit vielen Nebenwirkungen wie Herzrhythmusstörungen, Benommenheit und gestörtem Farbsehen. Aus Amerika kam die Empfehlung, auf Digoxin umzusteigen, das eine wesentlich kürzere Halbwertszeit hat und damit besser steuerbar ist. Digoxin ist nach wie vor im angelsächsischen Raum weit verbreitet und hat bis heute die deutlich umfangreichere Datenlage vorzuweisen.

Bei eingeschränkter Nierenfunktion ist bei Digoxin im Gegensatz zu Digitoxin eine Dosisanpassung erforderlich, da es sonst kumulieren und toxische Spiegel erreichen kann. Diese Gefahr besteht bereits, wenn bei großer Hitze zu wenig getrunken wird. Vorsicht zur Verhinderung einer Überdosierung ist auch bei alten Patienten, Frauen, untergewichtigen bzw. schlecht ernährten Personen geboten, erinnert die DGK.

Andere Herzglykoside

In der Priscus-Liste von 2010 (derzeit in Überarbeitung) werden nur Digoxin und seine Derivate als für ältere Patienten ungeeignet bewertet, nicht aber Digitoxin. Im Alter besteht eine erhöhte Glykosid-Empfindlichkeit. Das Risiko einer Vergiftung steigt und ist bei Frauen größer als bei Männern. In Deutschland fällt die Wahl in der Regel auf Digitoxin. ­Digoxin (Lanicor®, Lenoxin®) wird heute noch seltener verordnet als Acetyl­digoxin (Novo­digal®) und Metildigoxin (Lanitop®). Metildigoxin wird zu Digoxin metabolisiert, ist aber aufgrund seiner Lipophilie mit einem erhöhten Risiko für zentrale Nebenwirkungen verbunden. Digoxin und Beta-Acetyldigoxin werden zu 80% renal eliminiert, Metildigoxin zu 60% und Digitoxin nur zu etwa 35%. Die Halbwertszeiten liegen bei 168 bis 192 Stunden für Digitoxin, 48 Stunden für Metildigoxin und 40 Stunden jeweils für Digoxin und Acetyldigoxin.

Digitoxin-Potenzial verkannt?

Die Therapie mit Herzglykosiden gilt heute als risikobehaftet und überholt und hat nur noch einen geringen Stellenwert. Dabei basieren die verfügbaren Daten und Erkenntnisse fast ausschließlich auf Studien mit Digoxin. Es gibt unter Experten durchaus die Meinung, dass die Geschichte der Herzglykoside anders verlaufen wäre, wenn man sich mehr um Digitoxin bemüht hätte. Das will man mit der ­DIGIT-HF-Studie nun nachholen (www.digit-hf.de). Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte, prospektive, randomisierte und doppelblinde Studie untersucht, inwieweit eine Therapie mit Digitoxin zur etablierten und leitlinien­gerechten Standardtherapie einen zusätzlichen Nutzen bringt und welchen Stellenwert Herzglykoside in der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz besitzen. Es konnte gezeigt werden, dass Digitoxin die endotheliale NO-Synthase (eNOS) aktiviert und die Produktion von Sauerstoffradikalen vermindert, sodass so auch die endotheliale Dysfunktion verbessert werden könnte. In die Studie sollen etwa 2200 Patienten eingeschlossen werden. Es sind ca. 40 Zentren in Deutschland beteiligt, mit der Medizinischen Hochschule Hannover in der Leitungsfunktion. Die Studie läuft noch bis 2024. |

 

Literatur

Nationale Versorgungsleitlinie „Chronische Herzinsuffizienz“. Stand: 22. Oktober 2019, AWMF-Register-Nr. nvl-006

Mutschler E, Geisslinger G, Kroemer HK, Menzel S, Ruth P. Mutschler Arzneimittelwirkungen. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 10. Auflage, 2013

Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK). Statement zum Lieferengpass Digitoxin vom 9. August 2022, https://dgk.org/news/lieferengpass-digitoxin/ (letzter Aufruf am 11. August 2022)

Holt S et al. PRISCUS-Liste potenziell inadäquater Medikation für ältere Menschen. Stand: 1. Februar 2011, https://media.gelbe-liste.de/documents/priscus-liste.pdf (letzter Aufruf am 11. August 2022)

MHH-Ärzte wollen Therapie von Herzinsuffizienz verbessern. Pressemitteilung vom 16. Dezember 2019

Schwabe U et al. Arzneiverordnungs-Report 2017. Springer-Verlag, 2017

Apothekerin Rika Rausch

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.