Prisma

Die anonymen Plastik-Verdauer

PET-zersetzendes Enzym in menschlichem Speichel gefunden

mp | In den 1940er-Jahren sitzen die beiden britischen Chemiker J. R. Whinfield und J. T. Dickson in ihren Laboren. Ihr Plan: chemische Verbindungen kondensieren, die eine hitzebeständige, stabile Kunstfaser bilden. Der Durchbruch gelingt ihnen, als sie schließlich Terephthalsäure und Ethylen­glycol zum Polyester Poly­ethylenterephthalat – kurz PET – vereinen.
Foto: pedrosala/AdobeStock

Über die nächsten Jahrzehnte legt ihr Material eine Erfolgsgeschichte hin. Heute wird PET zu Textilien, Flaschen, Gemüseverpackungen oder in Photovoltaik-Anlagen verarbeitet. Mit dem Erfolg kamen aber auch Probleme: Rund 30 Millionen Tonnen Polyethylenterephthalat werden jährlich produziert. Viele Materialien werden nicht recycelt und landen etwa in den Meeren. Im Pazifik treiben heute Plastikinseln, doppelt so groß wie der US-Staat Texas. Natürlicherweise zersetzt sich PET so langsam, dass erst im Jahr 2400 die ersten Fasern abgebaut sein werden, die Whinfield und Dickson Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals synthetisierten. Wissenschaftler suchen daher nach Wegen, den Abbau zu beschleunigen. Einige Hydro­lasen fanden sie schon in Bakterien und optimierten diese, um Plastik-­verdauende Mikroben zu entwickeln. Die tatsächliche Lösung für Probleme liegt jedoch manchmal auf der Zunge. Chemiker aus Thailand entdeckten kürzlich, dass dies beim PET-Problem im wahrsten Sinne des Wortes der Fall sein könnte. Denn im menschlichen Speichel stießen sie auf eine neuartige PET-Hydrolase, die sie „MG8“ tauften. Ihren Fund veröffentlichten sie im Juni 2022. Zuvor hatten sie das Metagenom des menschlichen Speichels durchforstet. Das Metagenom berücksichtigt ­neben dem menschlichen auch das Erbgut der unzähligen Mikroorganismen, die sich in unserem Körper tummeln. Dort fanden sie ein Gen, das ihre PET-Hydrolase MG8 verschlüsselt. Sie pflanzten das Gen in andere Bakterien und kamen zu dem Schluss: MG8 baut PET effektiver ab als alle zuvor entdeckten Hydrolasen. Von welcher Bakterienspezies die Hydro­lase im menschlichen Speichel stammt und wie sie sich dort entwickeln oder hingelangen konnte, wissen die Studien­autoren nicht. Sie erkannten jedoch Ähnlich­keiten zu Meeresbakterien, die schon in der Nähe riesiger Plastikinseln im ­pazifischen Ozean gefunden wurden. |

Literatur

Eiamthong B et al. Discovery and Genetic Code Expansion of a Polyethylene Terephthalate (PET) Hydrolase from the Human Saliva Metagenome for the Degradation and Bio-Functionalization of PET. Angewandte Chemie 2022, doi: 10.1002/anie.202203061

Podbregar N. „Plastikfresser“ im menschlichen Speichel – Enzym aus Speichelmikroben kann PET-Kunststoffe zersetzen. Scinexx 2022

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