Arzneimittel und Therapie

Der rätselhaften Hepatitis bei Kindern auf der Spur

Ursache ist möglicherweise das Adeno-Virus AAV2

Seit April dieses Jahres erkrankten mehr als 1000 Kinder in zahlreichen Ländern an einer rätselhaften Hepatitis mit schwerem Verlauf. ­Eine Genomanalyse einiger Patienten wies auf die Beteiligung des adeno-assoziierten Virus 2 (AAV2) hin. Im Preprint auf MedRxiv erschienene Publikationen unter­mauern diese Vermutung.

Im April erkrankten in Schottland fünf junge Kinder an Gelbsucht und schwerer akuter Hepatitis unbekannter Ätiologie. Weitere häufige Symptome waren Erbrechen, entfärbte Stühle, Durchfall und Lethargie. Weitere Fälle folgten; einige Kinder benötigten eine Lebertransplantation. Die WHO berichtet von 1010 Fällen in 35 Ländern. Die üblichen Ursachen einer Hepatitis, Infektionen mit Hepatitis A-, B-, C- und E-Viren, Herpes-simplex-Viren oder Epstein-Barr-Viren, konnten ausgeschlossen werden. Hingegen wurde in der Mehrheit der Fälle ein Adeno-Virus (HAdV) nachgewiesen. Bei neun frühen Fällen und 58 Kindern einer Kontrollgruppe erfolgte daraufhin eine metagenomische Sequenzierung. Dabei konnte im Plasma und in der Leber das vollständige Genom des adeno-assoziierten Virus 2 (AAV2) nachgewiesen werden, bei der Kontrollgruppe nicht. In einer weiteren Studie wurden 28 Hepatitisfälle bei Kindern untersucht und bei 94% das Genom des adeno-­assoziierten Virus 2 gefunden. In Kontrollgruppen mit Kindern ähnlichen Alters fand sich hingegen kaum AAV2, auch nicht bei Kindern mit einer Leberentzündung, die auf eine bereits geklärte Ursache zurückzuführen war.

Situation in Deutschland

In Deutschland wurden die pädiatrischen und gastroenterologischen Fachgesellschaften durch das RKI informiert und sensibilisiert. Ärzte und Ärztinnen wurden auf die Meldepflicht nach § 6 nach Infektionsschutzgesetz hingewiesen. In den pädiatrischen Leberzentren in Deutschland wurden bisher keine Signale eines Anstiegs der Fallzahlen von akuten Hepatitiden unbekannter Ätiologie bei Kindern über das übliche Hintergrundgeschehen hinaus verzeichnet. Das RKI befindet sich im engen Austausch mit den klinischen Zentren, sodass etwaige Veränderungen der Situation rechtzeitig bemerkt werden.

Replikation mit Helferviren

AAV2 kann sich nicht ohne fremde Hilfe replizieren und benötigt dazu Helferviren, normalerweise humane Adeno-Viren (HAdV) oder ein Herpes-Virus. In der Tat wurden diese Viren teilweise in den Plasmaproben der erkrankten Kinder detektiert. Und zwar humane Adeno-Viren Typ F und C bei sechs Kindern und das humane Herpes-Virus 6 B (HHV6B) bei drei Kindern – von beiden Viren sind „Helfereigenschaften“ bekannt. Die Studienautoren mutmaßen, dass humane ­Adeno-Viren dem Adeno-Virus AAV2 den Eintritt in die Leberzellen ermöglichten. Dies erklärte indes nicht, warum einige Kinder sehr schwer erkrankten. Möglicherweise lag bei diesen eine genetische Prädisposition vor, da acht von neun der untersuchten Kinder eine genetische Variante eines Gens (HLA-DRB1*04:01) trugen, die in der schottischen Bevölkerung sehr viel seltener auftritt (nur bei 15,6%).

Mehrere Hypothesen

Aufgrund dieser Erkenntnisse beschreiben die Studienautoren den möglichen Entstehungsweg der Leberentzündungen als Immunreaktion infolge einer Infektion mit AAV2 und/oder einem anderen Virus bei Kindern mit entsprechenden Erbanlagen. Durch den Lockdown kam es zu einer zeitlichen Verschiebung in den Epidemien von HAdV und AAV2. Beide könnten in diesem Jahr zur gleichen Zeit aufgetreten sein, was dann die schweren Infektionen begünstigt haben könnte.

Dem Robert Koch-Institut (RKI) zufolge findet die Theorie eines beteiligten Kofaktors derzeit die meiste Zustimmung. Dieser löst bei Kindern mit einer Adeno-Virusinfektion, die unter normalen Umständen leicht verlaufen würde, eine schwerere Infektion oder immunvermittelte Leberschäden aus. Bei dem Kofaktor wird verschiedenen Hypothesen nachgegangen:

  • erhöhte Suszeptibilität, z. B. aufgrund einer fehlenden früheren ­Exposition gegenüber Adeno-Viren während der Pandemie;
  • eine frühere Infektion mit SARS-CoV-2 oder einer anderen Infektion; eine Koinfektion mit SARS-CoV-2 oder einer anderen Infektion; oder eine Toxin-, Arzneimittel- oder ­Umweltexposition. |
     

Literatur

Adenovirus AAV2 könnte Ursache von schweren Hepatitiden bei Kindern sein. Deutsches Ärzteblatt online vom 26. Juli 2022, www.aerzteblatt.de/nachrichten/136217/Adenovirus-AAV2-koennte-Ursache-von-schweren-Hepatitiden-bei-Kindern-sein

Fälle akuter Hepatitis unklarer Ätiologie (non A bis E) bei Kindern. Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI), Stand: 31. Mai 2022, www.rki.de/DE/Content/Infekt/Ausbrueche/aktuell/Hepatitis-unklarer-Aetiologie.html

Ho A et al. Adeno-associated virus 2 infection in children with non-A-E hepatitis. www.medrxiv.org/content/10.1101/2022.07.19.22277425v1.full-text

Morfopoulou S et al. Genomic investigations ofachute hepatitis of unknown aetiology in children. https://media.gosh.nhs.uk/documents/MEDRXIV-2022-277963v1-Breuer.pdf

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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