Die Seite 3

Zornesröte

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Mit der Veröffentlichung des Schiedsspruchs ist jetzt der Weg frei für honorierte pharmazeutische Dienstleistungen. Allen voran darf nun Patienten mit Polymedikation eine erweiterte Medikationsberatung angeboten werden. Dazu wird die gesamte Medikation des Patienten einschließlich OTC-Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel erfasst und diese einer Prüfung anhand eines Kriterienkatalogs unterzogen. Ganz wichtig: es findet keine Prüfung einer leitliniengerechten Medikation statt. Ziel der Analyse ist es, arzneimittelbezogene Probleme wie Interaktionen, Nebenwirkungen und Adhärenzprobleme zu identifizieren und zu lösen. Ein Unterfangen, das neben der Analyse mindestens zwei intensive Patienten­gespräche beinhaltet. Angesetzt werden dafür 80 Minuten, die mit 90 Euro honoriert werden. Daraus ergibt sich ein Stundenlohn für einen akademischen Heilberufler, für den sich manch ein Handwerker nicht auf den Weg machen würde.

Doch vielen ärztlichen Kollegen und Lobbyisten treibt diese Summe die Zornesröte ins Gesicht: Von einem märchenhaften Honorar spricht die Ärztezeitung. Der knappe Etat der gesetzlichen Krankenkassen werde so weiter geschröpft, echauffiert sich ein Leserbriefschreiber. Die Ärzte scheinen um ihre Pfründe zu fürchten!

Besonders bemerkenswert sind die Ängste von Dr. Wolfgang Miller, seines Zeichens Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg. In einer Pressemitteilung beschwört er das Schreckgespenst von Apothekern als „Hausärzte light“, die ärztliche Leistungen erbringen wollen. Er sieht ein Aufweichen der Grenzen, das die qualitativ hochwertige Versorgung, vor allem die der chronisch Kranken gefährde.

Bei so viel Empörung und Falschinformation können wir uns nur verwundert die Augen reiben. Wohltuend und besonnen ist vor diesem Hintergrund die Stimme des Präsidenten der Ärztekammer Schleswig-Holstein, Prof. Dr. Henrik Herrmann, zu vernehmen. Er hat sich der Diskussion mit den Mitgliedern der Apothekerkammer Schleswig-Holstein gestellt (s. S. 12) und in diesem Zusammenhang die zornigen Reaktionen seiner ärztlichen Kollegen als Rituale aus dem vorigen Jahrtausend dorthin verwiesen, wo sie auch hingehören. Solche Rituale seien nicht mehr zeitgemäß und nicht aus Versorgungssicht gedacht. In Schleswig-Holstein folge man dem skandinavischen Vorbild und arbeite lösungsorientiert und konsensfähig zusammen.

So viel (skandinavische) Weitsicht und Gelassenheit ist all den ärztlichen Kollegen zu wünschen, die gerade so über die Maßen aufgebracht sind. An anderer Stelle wurde schon vorgerechnet, dass pharmazeutische Leistungen keinesfalls besser honoriert werden als ärztliche (DAZ 2022, Nr. 24, S. 14). Eine Neiddebatte ist also völlig fehl am Platz. Und: Apothekerinnen und Apotheker werden auch in Zukunft nicht zu „Hausärzten light“ mutieren, denn sie werden keine Therapieentscheidungen treffen. Ihr Auftrag ist es, arzneimittelbezogene Probleme zu identifizieren und sie in vertrauensvoller Zusammenarbeit nicht nur mit den Patienten, sondern auch und vor allem mit den Ärzten zu lösen. Letztlich geht es darum, dass jeder Patient eine maßgeschneiderte Arzneimitteltherapie erhält, die er auch optimal umsetzen kann. Dieses Ziel kann nur zusammen mit den Ärzten erreicht werden, nicht ohne sie.

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